Der Minister trug die Majorsuniform seines Kürassierregiments, bequem aufgeknöpft, hohe Reiterstiefel, den Pallasch an der Seite.
Ihm gegenüber saß der Legationsrath von Keudell in der Uniform der Landwehrreiter, beschäftigt mit der Durchsicht eingegangener Briefe.
»Benedetti bleibt lange aus,« sagte der Minister, von der Karte aufblickend, in deren Anschauen vertieft er lange dagesessen hatte — »es scheint, daß man in Wien noch große Hoffnungen hegt — oder vielleicht ein Doppelspiel spielen will. — Nun, lange soll man uns damit nicht hinhalten!« rief er lebhaft, indem er das Glas vollschenkte und es mit einem kräftigen Zug leerte, — »denn das lange Stillliegen hier kann nur unsere Position verschlimmern. Wenn auch langsam,« fuhr er fort, »wie Alles in Oesterreich, so kommt die Südarmee doch mehr und mehr herauf und die Cholera fängt an uns lästig zu werden. — Ich bedaure,« sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, »daß der König in seiner gewohnten Milde den Einzug in Wien aufgegeben hat, — nichts hatte uns aufgehalten und dieser österreichische Dünkel müßte in seiner eigenen Residenz gebrochen werden, — nun, wenn man sich nicht schnell zum Frieden bequemt, so wird hoffentlich die Langmuth des allergnädigsten Herrn erschöpft sein! — Ist ein Bericht aus Petersburg da?« fragte er sich unterbrechend Herrn von Keudell.
»Soeben habe ich einen Bericht des Grafen Redern geöffnet, Excellenz,« sagte Herr von Keudell.
»Geben Sie,« rief Graf Bismarck lebhaft und ergriff in rascher Bewegung über den Tisch hinüber das Schreiben, welches der Legationsrath ihm reichte.
Aufmerksam las er es durch und merkwürdig kontrastirte die unmittelbare tiefe Stille des Zimmers, in welchem man die Athemzüge der beiden Personen hören konnte, mit dem von draußen hereintönenden verworrenen Lärm.
Der Graf warf das Schreiben auf den Tisch.
»Es ist richtig,« rief er, »es zieht da eine Wolke herauf, welche eine peinliche Verlegenheit in sich bergen kann. — Wird man dort etwas thun,« sagte er halb zu sich selber sprechend, — »wird die Verstimmung zur Thal werden? — — ich glaube es nicht — immer aber ist das sehr unangenehm, — findet Oesterreich irgend eine Stütze, so wird man von Neuem alle Hebel ansetzen. — Zwar für Oesterreich,« fuhr er fort, »wird man in Petersburg nichts thun, — aber die notwendigen Veränderungen in Deutschland, und diese französische Vermittlung mit ihren Hintergedanken, — die Situation ist ohnehin schwierig genug und es wird vielleicht ebensoviel Mühe kosten, dieses Spinnennetz von diplomatischen Fäden zu zerreißen, mit welchen man uns umspinnen möchte, — als die österreichischen Linien zu sprengen. — Jedenfalls muß diese russische Wolke zerstreut werden,« rief er — »für jetzt und für die Zukunft! Denn der Zukunft wird noch Manches zu thun übrig bleiben,« sagte er sinnend.
Er stand auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, tief nachdenkend und hin und wieder die Lippen bewegend. Widerstreitende, mächtig arbeitende Gedanken drückten sich in den bewegten Zügen seines Gesichts aus.
Endlich schien die Gewalt seines Willens klare Ordnung und Ruhe in die sich kreuzenden Ideen gebracht zu haben, — er athmete befriedigt auf, trat zum Fenster und sog die frische Luft mit tiefen Zügen ein, bei denen seine breite mächtige Brust sich weit ausdehnte.
Ein Sekretär des auswärtigen Ministeriums trat ein.
Der Graf wandte sich nach ihm um.
»Der bayerische Minister von der Pfordten ist angekommen und bittet Eure Excellenz um eine Unterredung. Hier ist sein Brief!«
Graf Bismarck ergriff schnell das kleine, versiegelte Billet, erbrach es und überflog den kurzen Inhalt.
»Sie kommen alle,« sagte er mit stolzem Ausdruck — »alle diese großen Jäger, welche das Fell des Bären schon vertheilt hatten, und jetzt seine Tatzen fühlen. — Aber so schnell sollen sie nicht gutes Wetter finden.— Außerdem sehe ich noch nicht klar genug. — Sagen Sie dem Minister von der Pfordten,« rief er dem wartenden Sekretär zu, »daß Sie mir seinen Brief gegeben hatten und daß ich ihm meine Antwort senden würde.«
Der Sekretär entfernte sich.
Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück und sagte:
»Der französische Botschafter!«
»Ah!« rief Graf Bismarck.
Herr von Keudell stand auf.
»Haben Sie die Güte, lieber Keudell,« sagte der Minister nach einem augenblicklichen Nachdenken, »zu Herrn von der Pfordten zu gehen und ihm zu sagen, daß ich ihn als bayerischen Minister nicht empfangen könne, da wir noch im vollen Kriege mit Bayern begriffen seien, — ich sei indeß gern zu einer persönlichen Unterredung ohne alle Konsequenzen bereit und würde ihn bald die Stunde dafür wissen lassen.«
Herr von Keudell verneigte sich und ging hinaus.
Einen Augenblick später öffnete der Sekretär auf einen Wink des Ministers dem französischen Botschafter die Thüre.
Der Ausdruck auf dem Gesicht des Grafen Bismarck hatte sich völlig verändert, kalte Ruhe und höfliche Freundlichkeit lag auf seinen Zügen, — artig ging er dem Vertreter des Kaisers Napoleon entgegen und reichte ihm die Hand.
Herr Benedetti bildete in seiner Erscheinung einen merkwürdigen Gegensatz zu der kräftigen Gestalt und der festen, soldatischen Haltung des preußischen Ministers. Er stand in den fünfziger Jahren, sein dünnes Haar ließ die Stirn weit hinauf völlig frei und bedeckte nur spärlich den obern Theil des Kopfes, sein bartloses, glattes Gesicht gehörte zu den Physiognomieen, deren Alter sich schwer erkennen und bestimmen läßt, die in der Jugend älter, im Alter jünger erscheinen als sie sind. Es wäre schwer zu sagen gewesen, welcher Charakterzug, welche Eigenthümlichkeit sich in seinen Zügen ausdrücken möchte, — es lag eben nichts darin, als der glatte Ausdruck einer rezeptiven, intelligenten Empfänglichkeit für alle Eindrücke, — was hinter dieser gleichmäßig ruhigen und freundlichen Außenseite sich verbergen mochte, hätte man schwer zu erkennen vermocht. Sein Auge war offen und frei, scheinbar sorglos und gleichgültig und nur der außerordentlich schnelle und scharfe Blick, mit welchem er zuweilen alle Gegenstände seiner Umgebung in einem einzigen Griff zusammenzufassen schien, konnte vermuthen lassen, daß ein lebendiges Interesse ihn bewegte. Sein Gesicht sagte nichts, drückte nichts aus — und doch fühlte man unwillkürlich, daß hinter diesem Nichts etwas liegen müsse, das sich sorgfältig zu verbergen Veranlassung und Fähigkeit hätte.
Die Haltung seiner schlanken, mittelgroßen Gestalt war elegant, seine Bewegungen lebhaft wie die des Italieners, geschmeidig, elastisch wie die des Levantiners, seine leichte Sommertoilette von der äußersten Einfachheit, aber trotz der Reise, von der er unmittelbar zurückkehrte, von makelloser Frische.
»Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet,« sagte Graf Bismarck, indem der scharfe, durchdringende Blick seines stahlgrauen Auges sich fest auf das ruhige Gesicht des Botschafters richtete, — »was haben Sie in Wien gefunden — bringen Sie den Frieden?«
»Ich bringe wenigstens den Anfang dazu — ich bringe die Annahme des vom Kaiser vorgeschlagenen Programms für die Friedensverhandlungen —«
»Ah, so hat man sich in Wien entschlossen?« rief Graf Bismarck.
»Ich habe einen schweren Stand gehabt,« sagte Herr Benedetti, »und es war wahrlich nicht leicht, die Zustimmung Oesterreichs zu erlangen.«
Graf Bismarck zuckte die Achseln.
»Was kann man denn dort noch hoffen,« rief er, — »will man uns in Wien erwarten?«
»Man hofft auf den Eintritt der Südarmee in die Aktion, — auf eine große militärische Erhebung Ungarns,« sagte der Botschafter. —
»Vielleicht auch auf einen neuen Johann Sobiesky?« fragte Graf Bismarck mit leichtem Lächeln.
»Und ich muß in der That gestehen,«