Sturmernte. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623489
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trotzdem kurz sprechen?, fragte Sarah.

      Bevor sie nach Hause geschickt werden, sage ich ihnen noch ein paar Worte.

      Er sah den Fahrweg hinunter, wo gerade der große Mercedes Vito der Spurensicherung und dahinter Schwarz’ Familienkombi um die Ecke bogen und schwerfällig über die Hindernisse auf dem Schotterweg krochen. Thomas winkte die zwei Autos vorbei, damit sie sich oberhalb der anderen Fahrzeuge an den Wegrand stellen konnten. Schwarz hatte die Seitenscheibe heruntergelassen und warf den beiden im Vorbeifahren ein „Schönen guten Morgen“ zu. Kaum ausgestiegen begannen die Beamten der Spurensicherung und Schwarz, ihre Ausrüstung vorzubereiten. Thomas sah Klein an und bedeutete ihm mit einer knappen, fast schon unhöflichen Geste, er möge doch die Kollegen kurz in die knappen Fakten einweisen. Er und Sarah würden sowieso noch warten, bis die Spurensicherung den Weg zum Fundort genauestens untersucht und freigegeben hatte. Der Uniformierte hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte und ging gemächlichen Schrittes zu den Kollegen.

      Und, sonst alles klar bei dir?, fragte Thomas Sarah.

      Erfreut registrierte sie die Frage nach ihrem persönlichen Befinden. Lange Zeit hatte Thomas nicht einmal eine solche fast selbstverständliche Floskel über die Lippen gebracht. Erst seit sie an jenem besagten Abend zum ersten Mal zu zweit weg gewesen waren, öffnete er sich etwas und ließ auch hin und wieder ein persönliches Gespräch zu.

      Ja, ja alles ok, sagte sie, vielleicht etwas zu lässig.

      Sie wollte nicht abweisend klingen!

      Das Wetter war ja atemberaubend am Wochenende, ich habe es genutzt, um meine Staffelei einzupacken und ein bisschen zu malen.

      Du malst?, fragte er ein wenig erstaunt, das wusste ich ja gar nicht.

      Das klang etwas unbeholfen, fast steif. Sarah stellte zum wiederholten Male fest, dass sie tatsächlich sehr wenig voneinander wussten, dafür, dass sie seit nunmehr fast drei Jahren eng zusammenarbeiteten. Sie bedauerte das. Menschen waren ihr immer sehr wichtig. Und in Thomas‘ Fall, das musste sie sich eingestehen, schwang auch ein klein wenig mehr mit als nur Sympathie. Er hatte ihr durch seine verschlossene Art aber nie die Chance gegeben, auf ihn zuzugehen. Sie hatte das respektiert. Aber immerhin hatte es in letzter Zeit kleine Anzeichen einer Öffnung gegeben.

      Ja, ist eine Leidenschaft von mir, es sind so meine Auszeiten! Ich genieße es, in der Natur zu sein und einfach nur alle Eindrücke auf mich wirken zu lassen. Manchmal kommt es sogar vor, dass ich, ohne einen Pinselstrich getan zu haben, wieder nach Hause komme. Aber meistens versuche ich, sämtliche Empfindungen irgendwie auf der Leinwand festzuhalten. Sogar Geräusche und Gerüche.

      Sie unterbrach sich, da sie unsicher war, ob Thomas das alles überhaupt interessierte. Doch die Chance, das Gespräch nun zu beenden oder in eine andere Richtung zu lenken, nutzte er nicht. Im Gegenteil.

      Geräusche und Gerüche... muss ich mir die Ergebnisse dann eher abstrakt vorstellen?, fragte er.

      Nicht die, die ich im Freien male, antwortete sie, das sind meistens wirklich gegenständliche Bilder und ich versuche, was ich sehe, tatsächlich wiederzugeben. Wenn ich im Keller male, dann drehe ich meinen mp3-Player voll auf und tobe mich aus. Das hat dann etwas von Actionpainting, da erkennst du dann wirklich nichts. Hängt von meiner Stimmung ab, je nach dem, was ich gerade brauche. Sie versuchte in seinem Gesichtsausdruck eine Reaktion zu erkennen. Fand er das, was sie sagte, überdreht? Redete sie einfach zu viel? Sie wechselte die Taktik.

      Und was hast du denn mit dem verlängerten Wochenende angefangen?, fragte sie.

      Ich habe die Chance genutzt und bin mit einem alten Freund noch Freitagnacht runter an den Gardasee zum Surfen gefahren. Leon, das ist ein Freund aus meiner Zeit beim Bund, hat dort unten einen Wohnwagen stehen.

      Thomas blickte jetzt zum Streifenwagen und beobachtete, wie eine Ermittlerin der Spurensicherung den beiden Geocachern die Fingerabdrücke abnahm und anschließend die Abdrücke der Schuhsolen mit Hilfe einer selbstklebenden Folie ebenfalls sicherte.

      Und? War es gut?

      Sarah wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, jetzt, da Thomas etwas von sich erzählte.

      Geiler Wind, geiles Wetter, geiles Essen.

      Er brachte es wie immer kurz und knapp auf den Punkt.

      Wir waren eigentlich außer zum Essen und Schlafen nur auf dem Wasser. Was für dich das Malen, ist für mich das Surfen: Auszeiten! Der Kampf mit Wind und Wasser, da kriegt man ganz schnell einen freien Kopf. Trotz der ständigen Konzentration und der körperlichen Anstrengung findest du sehr, sehr schnell zu dir selbst. Es ist etwas so Elementares...

      Dass er in seiner Freizeit sehr viel Sport machte, wusste Sarah und es war ja auch unübersehbar. Wenn er im Sommer nur im T-Shirt am Schreibtisch saß, konnte man sehen, dass er gut mit Muskeln bestückt war. Nicht aufgepumpt wie ein Bodybuilder, sondern eher wie eine Mischung aus Boxer und Triathlet. Und einmal, als ihm beim Ausziehen eines Pullovers das Shirt mit nach oben gerutscht war, konnte sie sogar einen verstohlenen Blick auf seinen Waschbrettbauch werfen. Lecker!, war ihr einziger Gedanke in dieser Sekunde gewesen. Vom Snowboarden, Mountainbiking, Karate und Squashspielen hatte sie am Rande schon etwas mitbekommen, dass er auch surfen ging, verwunderte sie nicht.

      Und wie hast du dein Surfbrett mit deinem Motorrad an den Gardasee bekommen?, fragte sie lachend.

      Natürlich war das als Scherz gemeint, aber Sarah konnte in diesem Moment nicht umhin, sich Thomas mit einem Surfbrett unter dem Arm, den Mast über die Schulter gelegt, vorzustellen, wie er verzweifelt um Balance bemüht auf seiner Honda Richtung Süden fuhr. Mit diesem Bild im Kopf musste sie, auf Thomas‘ Antwort wartend, ihren Drang, loszulachen, sichtbar unterdrücken. Er schaute sie eine Sekunde sichtlich irritiert an, dann war ihm klar, dass die Frage nicht wirklich ernst gemeint war, sondern lediglich der Fortführung und Auflockerung der Konversation diente. Also stieg er darauf ein.

      Jaaa, den Mast habe ich mittig auf die Maschine geschnallt, darauf sitze ich dann, steht vorne und hinten ein bisschen über... nicht so schlimm. Den Gabelbaum habe ich dann wie einen Hula-Hupp-Reifen um die Hüfte gelegt und das Bord schnalle ich mir auf den Rücken. Der einzige Nachteil ist, dass ich dann stark nach vorne gebeugt fahren muss, das Kinn sozusagen auf der Lenkstange, was den Reisekomfort natürlich etwas einschränkt... .

      Nun begann Sarah tatsächlich laut zu lachen, hielt aber sofort inne, legte sich die Hand auf den Mund und schaute übertrieben schambewusst in Richtung der Spurensicherung.

      Tss, was sollen die Kollegen bloß von mir denken, und vor allem das junge Pärchen, stieß sie verschmitzt lächelnd hervor.

      Lass gut sein...

      Nein im Ernst, Leon hat mich mit seinem Defender abgeholt, die Boards und Rigg aufs Dach und den Rest hinten rein. Richtig zünftig. Mein Bike habe ich hier gelassen.

      Er sah jetzt auf die Uhr und wieder in Richtung der Kollegen.

      Ist das Surfen eigentlich schwierig, versuchte sie abermals das Gespräch in Gang zu halten.

      Jetzt schaute er sie etwas fragend an.

      Du bist doch bei Kiel aufgewachsen, nicht? Ihr habt doch tolle Reviere da oben! Hast du es denn nie probiert?

      Sarah schüttelte den Kopf.

      Nein, sagte sie, ich bin froh, dass mir meine Eltern erlaubt haben, schwimmen zu lernen.

      Sie zögerte, und überlegte einen kurzen Moment, wie weit sie ausholen sollte, beließ es dann aber dabei.

      Ich habe Dressurreiten gemacht und hatte jahrelang Ballettstunden. Aber Surfen ist sicher klasse! Wer weiß, vielleicht lerne ich es ja noch.

      Sie war ein wenig gespannt auf seine Reaktion, hatte sie ihm doch den Ball recht offensichtlich zugespielt. Ein lauter Pfiff von Schwarz würgte jedoch eine Antwort ab. Sie sahen beide hinauf zu den Kollegen. Die Beamten der Spurensicherung hatten sich bereits in ihre weißen Plastikoveralls gehüllt, die vermeiden sollten, dass von den Ermittlern Haare, Schweiß oder Ähnliches auf den Fundort übertragen wurden. Solche „Spuren“ erhöhten den kriminaltechnischen