Sturmernte. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623489
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die gereizte Stimmung hatte dafür gesorgt, dass sie beide abwinkten, als, es war spät am Abend, in die Runde gefragt wurde, wer denn noch auf ein Bier mitgehen wollte. Als alle gegangen waren, hatten sich irgendwie ihre Augen getroffen und es war ihnen beiden sofort klar geworden, dass es auch sie noch nicht nach Hause zog.

      Und, wo sollen wir hingehen?, war das Einzige, das Thomas im Büro gefragt hatte.

      Das „Cheers“ hat noch auf, war ihre kurze Antwort gewesen, und so saßen sie kurz darauf in der beliebten Studentenkneipe am Altstadtrand und sprachen zum ersten Mal nicht ausschließlich über berufliche Angelegenheiten. Wirklich private Dinge hatten sie nicht angeschnitten, aber sie wusste nun immerhin, dass er ein Fan von Quentin Tarantino war, überhaupt sehr gerne ins Kino ging, dass er gerne Krimis im Stile von Simon Beckett, Stieg Larsson und Henning Mankell las, aber sonst keinen übermäßigen Bezug zur Kunst in Form von klassischer Musik oder Malerei hatte.Die Beach Boys und die amerikanischen Gruppen aus dieser Zeit mochte er sehr und überhaupt schien der „California way of life“ die richtige Daseinsform für ihn zu sein. In diesem Zusammenhang hatte er auch seiner Begeisterung für den Sport Ausdruck gegeben, der für ihn fast schon ein Credo war. Irgendwie hatte sie seine scheinbare Oberflächlichkeit, die im krassen Gegensatz zu ihrer bisherigen Wahrnehmung stand, zwar überrascht, aber keineswegs gestört, zumal sie vermutete, dass es noch viel, viel mehr bei ihm zu entdecken gab.

      Das Klingeln des Telefons riss Sarah aus ihren Gedanken. Thomas’ Apparat. Sie lokalisierte den Platz, wo das Telefon ungefähr stehen musste und griff beherzt unter den zur Seite gerutschten Stapel Schnellhefter und Akten.

      Hansen, Apparat Bierman, guten Morgen!, sie fischte nach einem Zettel und einem Stift.

      Hier Gröber, dröhnte die Stimme des Ressortleiters aus der Muschel. Kein Guten Morgen oder Ähnliches.

      Schön, dass ich wenigstens Sie im Büro erreiche.

      Ein überflüssiger Seitenhieb, denn er wusste genau, dass Sarah meist vor der Zeit an ihrem Arbeitsplatz anzutreffen war. Dass er auf Thomas‘ Apparat anrief, obwohl er sich sicher sein konnte, dass dieser um drei Minuten nach acht den Anruf nicht entgegen nehmen würde, war ebenso Bestandteil seiner alltäglichen Gängeleien.

      Leichenfund. Offenbar Gewaltverbrechen. Mehr weiß ich nicht. Sehen Sie zu, dass Sie schnell hinkommen, es ist nur eine Streife da, um den Tatort abzusichern. Sagen Sie Schwarz und der Spurensicherung Bescheid. Ich selbst bin derzeit unabkömmlich.

      Der harsche Ton, das Fehlen jeglicher Begrüßung, der Hinweis auf seine Unabkömmlichkeit, alles Ausdruck seines fast krankhaften Zwanges, einem jedem bei jeder Gelegenheit zu sagen: „Ich bin der Chef!“

      Auch die Tatsache, dass entgegen sonst üblicher Vorgehensweisen immer er es war, der von der Telefonzentrale zuerst informiert werden musste, passte in das Gesamtbild. Sarah lächelte, während sie die genauen Daten des Fundortes notierte.

      Ja, Herr Dr. Gröber, ich kümmere mich darum und bin auch gleich unterwegs!

      Einen Doktortitel hatte Henning Gröber nicht. Aber irgendwann hatte einmal ein Kollege angefangen, ihn aus Stichelei Herr Dr. Gröber zu nennen. Man munkelte, dass Gröber mit seiner Dissertation kläglich gescheitert war, und er den Posten des Ressortleiters nur seiner Frau und deren guten Beziehungen zur lokalen Politprominenz zu verdanken hatte. Schließlich musste man dem Mann der damals jüngsten Juraprofessorin einen Arbeitsplatz verschaffen, wollte man die hochgehandelte Koryphäe dazu bringen, dem Ruf an die hiesige Fakultät zu folgen. War bisher die Staatsanwaltschaft im direkten Kontakt mit den Leitern der Kommissionen, wurde kurzerhand die Stelle des sogenannten Ressortleiters geschaffen, die dann mit Gröber besetzt wurde. Als Jurist war er den Gerüchten zufolge eine ebenso große Niete wie als Vorgesetzter und als Ermittler. Gegen die Anrede Herr Dr. Gröber hatte er sich nie gewehrt und so hatte sie sich mit der Zeit durchgesetzt.

      Ich sage auch Bierman Bescheid, er ist nur kurz aus dem Büro, um...

      Bemühen Sie sich nicht, unterbrach Gröber, ich habe ihn bereits zu Hause erreicht. Er ist unterwegs. Also unterlassen Sie in Zukunft Ihre geradezu lächerlichen Versuche, Ihren Kollegen zu decken, haben Sie das verstanden?

      Ohne Sarahs Antwort abzuwarten hatte er aufgelegt. Auch Teil des Katz-und-Maus-Spiels. Sarah lächelte trotz des Anschisses immer noch. Denn so autoritär sich der Choleriker Gröber auch gab, letzten Endes hatte er kein Rückgrat. Sarah wusste, dass die kleine Flunkerei genauso wenig Konsequenzen haben würde, wie Gröbers Androhungen Thomas gegenüber, ihn wegen seiner Undiszipliniertheit und seines ständigen Zuspätkommens zu belangen. Dafür waren dessen Ergebnisse einfach zu gut und schließlich zögerte er auch nicht, notfalls 48 Stunden oder länger im Büro oder bei Ermittlungen zu verweilen. Immerhin war Gröber clever genug, um zu wissen, dass er ohne engagierte Ermittler wie Thomas und Sarah ziemlich schlecht und erfolglos dastehen würde.

      Sarah gelang es irgendwie, den Telefonhörer wieder auf seinen Platz zu bekommen. Dabei stieß sie an einen ohnehin recht labil wirkenden Aktenstapel und musste mitansehen, wie dieser in Schieflage geriet und nun ein Ordner nach dem anderen wie in Zeitlupe herunterrutschte und über die Schreibtischkante auf den Boden fiel.

      Ach, scheiße!

      Ohne sich weiter um die Akten am Boden zu kümmern, setzte sie sich auf ihren Stuhl und zog ihren eigenen Telefonapparat zu sich herüber. Dann suchte sie im Kurzwahlspeicher die Nummer von der Spurensicherung. Nachdem sie die Kollegen instruiert hatte, wählte sie zu guter Letzt die Nummer von Peter Schwarz, dem Leiter der Rechtsmedizin, der bei Verdacht auf ein Tötungsdelikt trotz seiner vielfachen Verpflichtungen diese Fälle immer persönlich übernahm.

      Ach, warum die Eile. Wenn die erste Diagnose des anwesenden Streifenpolizisten richtig ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass unser Opfer nicht weglaufen wird.

      Gerade Peter Schwarz war natürlich bewusst, dass es entscheidend darauf ankommt, Spuren und Beweise an einem Tatort so früh wie möglich zu sichern, vor allem, wenn es sich um einen Ort im Freien handelt. Aber das war eben seine Art auf Sarahs Bitte, er möge sich beeilen, zu reagieren. Sie wusste, dass er alles unternehmen würde, um so schnell wie möglich mit seinen Untersuchungen beginnen zu können.

      Sie saß jetzt am Steuer des ML 420, des einzigen Geländewagen im Dienstwagen-Pool der Mordkommission. Naturgemäß war das Fahrzeug vor allem bei ihren männlichen Kollegen sehr beliebt, so sehr, dass bereits kurz nach der Anschaffung einige Auflagen erlassen wurden, was die Nutzung betraf. Nichts desto trotz, der Fundort der Leiche war offensichtlich inmitten des Waldes und nur über eine Schotterpiste zu erreichen, so dass Sarah sich ausreichend gerechtfertigt sah, das Geländefahrzeug zu reservieren. Zwar würden Schwarz und die Spurensicherung mit normalen Straßenfahrzeugen zum Fundort kommen, und auch die Streife, die bereits vor Ort war, war ja sicher nicht zu Fuß dorthin gelangt, aber egal. Sie fuhr das Auto einfach gerne und genoss die Fahrt in südlicher Richtung.

      Die Natur war bereits sattgrün und der Himmel so blau, wie sie ihn nur selten in Europa gesehen hatte. Im Frühjahr und Sommer war es hier in der Region auch bei Sonnenschein meist ein wenig diesig, doch heute Morgen war es so frisch und klar, dass alles gestochen scharf und die Farben fast unnatürlich intensiv waren. Ein herrlicher Tag! In diesem Moment bedauerte es Sarah fast, dass man von nahezu überall in Freiburg innerhalb kürzester Zeit bereits inmitten der Natur sein konnte. Dieser Umstand, den sie sonst so schätzte, bedeutete, dass die Fahrt zu dem gemeldeten Fundort wohl nicht länger als 25 Minuten dauern würde. Zu gerne wäre sie bei diesem Wetter noch länger durch die herrliche Landschaft gefahren. Aber nachdem sie schon Schwarz in Gröbers Namen zur Eile angehalten hatte, widerstand sie dem Verlangen, Richtung Hexental abzubiegen und so durch einen Umweg über das Selzental und über die Dorfgemeinde Horben zu dem von Gröber beschriebenen Fundort zu gelangen. Von Langacker aus, einer kleinen Gemeinde auf einem Sattel zwischen Hexen- und Günterstal, hatte man einen fantastischen Blick über die Täler und die Rheinebene. Bei diesem Wetter konnte man sicherlich den Kaiserstuhl und auch die Vogesen im benachbarten Elsass bestens erkennen.

      Warum nur musste sie ausgerechnet heute so unter Zeitdruck sein! Aber wirklich ärgern tat sie sich nicht. Zwar war die Strecke durch das Günterstal kürzer, aber nicht minder schön. Nachdem