Sturmernte. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623489
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die sich linkerhand unterhalb des dunklen Waldes befand, hinter sich gelassen hatte, fuhr sie weiter Richtung Schauinsland. An dessen Fuß musste sie nun aufpassen, um den kleinen Fahrweg, den ihr Gröber genannt hatte, nicht zu übersehen. Geradeaus ging es weiter zur Talstation der Seilbahn, die wanderwillige oder aussichtsuchende Touristen und Einheimische bis fast zum Gipfel des Freiburger Hausbergs brachte. Aus dieser Richtung wäre sie gekommen, hätte sie sich vorhin zu dem Umweg durchringen können. Vielleicht auf dem Rückweg, dachte sie sich und folgte der Schauinslandstraße, die links Richtung Gipfel führte. Früher, das wusste Sarah, war diese einzigartige Straße Austragungsort von Bergrennen gewesen, und Oldtimerfahrten fanden dort auch heute noch regelmäßig statt. Doch leider lag die Strecke nicht auf dem Weg zu ihrem Ziel: Noch bevor sie an deren unzähligen Kurven und Serpentinen kam, sah sie rechts einen von den für den Südschwarzwald typischen geschotterten Forstwegen, den Gröber ihr beschrieben hatte. Das musste es sein! Sie bog rechts ab und folgte der Fahrstraße. Ein, zwei Höfe gab es hier noch, dann aber wurde der Weg enger und nach einer kleinen Kurve war Sarah ganz und gar von hohen Bäumen umgeben.

      Mit dem Eintauchen in den Wald wurde es auch sehr unwegsam. Während der letzten Woche waren lange und sehr ergiebige Regenfälle niedergegangen. Diese hatten den Schotter in beinahe regelmäßigen Abständen komplett weggespült. Da, wo das Wasser in kleinen Sturzbächen über die Fahrstraße geflossen sein musste, hatten sich richtige Wälle gebildet. Diese hohen Buckel machten das Vorankommen auch im ML alles andere als komfortabel. Vor jeder Rinne musste Sarah auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen, um nicht heftig durchgeschüttelt zu werden.

      Schier endlos zog sich der Forstweg hin, bis Sarah endlich vor sich einen Streifenwagen in einer Ausweiche stehen sah. Daneben stand ein uniformierter Polizist, ein wenig abseits von ihm ein junges Pärchen, sicherlich hatten sie den Fund gemeldet. Die beiden standen einander umarmend am Wegrand und der Mann strich der jungen Frau mit der Hand durch die Haare. Offensichtlich versuchte er, sie zu trösten. Sie mochten so um die 20 Jahre alt sein. Beide trugen dem lauen Wetter entsprechende moderne Outdoorkleidung und feste Schuhe. Neben ihnen lagen zwei Mountainbikes am Rand der Fahrstraße, womit für Sarah auch geklärt war, wie die beiden hierhergekommen waren. Sie stellte den Wagen direkt hinter dem Passat Kombi des Streifendienstes ab, griff zu ihrer Einsatztasche und stieg aus.

      Guten Morgen! Hansen, Kripo Freiburg, stellte sie sich kurz vor.

      Den Kollegen in Uniform kannte sie nicht.

      Guten Morgen Frau Hansen! Kleine vom Polizeirevier Süd, und das sind Frau Müller und Herr, ähhh DaCelli, sie haben den Leichnam gefunden.

      Sarah nickte den beiden lächelnd zu und registrierte, dass sie sehr bleich waren. Sichtlich verstört und unsicher erwiderten sie Sarahs Gruß ebenfalls mit einem kurzen Nicken. Jetzt bemerkte Sarah auch, dass der Mann und die Frau ein wenig zitterten und sie konnte den leicht säuerlichen Geruch von Erbrochenem wahrnehmen. Sie blickte an den beiden herunter und sah die riesigen Flecken auf beiden Schienbeinen der jungen Frau, wo entweder sie sich selber oder ihr Begleiter sich über ihre Beine übergeben haben musste.

      Die Armen, dachte Sarah, einen morgendlichen Fahrradausflug mit dem Fund einer Leiche zu beenden, damit rechnet ja nun niemand.

      Noch wusste sie nicht, in welchem Zustand der oder die Tote war, aber sie erinnerte sich noch sehr gut an ihr erstes Mal, als sie als Frischling von der Akademie mit ihrem damaligen Partner zu einer Wohnung in einem Mietshaus gerufen wurde. Nachbarn hatten den Bewohner lange nicht gesehen und einen unerfreulichen Geruch gemeldet. Die Bilder, wenn auch schon einige Jahre her, hatte sie immer wieder im Kopf. Auch sie hatte sich damals recht abrupt von ihrem Frühstück verabschieden müssen. Folglich konnte sie ziemlich gut einschätzen, wie sich die Beiden nun fühlten. Wie lange mochten sie hier schon so stehen? Sie hatten offensichtlich einen leichten Schock und auch wenn sie es bis jetzt geschafft hatten, wollte Sarah kein Risiko eingehen.

      Sie haben sicherlich etwas sehr Furchtbares gesehen, aber versuchen Sie mal, nicht daran zu denken! Atmen Sie ganz tief ein und aus! Ja gut so! Und jetzt setzen Sie sich erst mal in das Auto, damit Sie uns hier nicht zusammenklappen.

      Sarah bemerkte im Augenwinkel ein nervöses Zucken im Gesicht von ihrem Kollegen, der offensichtlich nicht begeistert von der Idee war, die Polster seines Dienstfahrzeuges mit dem ehemaligen Mageninhalt der jungen Leute zu versauen. Sofort erkannte Sarah, dass dies auch der Grund sein musste, warum die beiden trotz ihres angeschlagenen Zustandes nicht schon früher zum Sitzen eingeladen wurden. Sie nahm dem jungen Mann den kleinen Trekking-Rucksack ab, den er immer noch auf dem Rücken trug und bugsierte die beiden auf Fahrer- und Beifahrersitz. An der Seite des Rucksacks war eine große Trinkflasche, die sie abnahm und ins Fahrzeug reichte. Sie ermahnte beide, ausreichend zu trinken und ließ die Türen weit offen stehen. Dann wandte sie sich wieder ihrem Kollegen zu.

      Wo ist denn nun unsere Leiche? Und überhaupt, sind Sie eigentlich alleine hier?

      Der Polizist schüttelte den Kopf.

      Nein, mein Kollege ist beim Fundort, um sicherzustellen, dass mit der Leiche nichts passiert... jetzt, wo sie quasi freigelegt wurde... es ist ja jede Menge Tierzeug unterwegs. Ich bin lieber wieder zu Frau Müller und Herrn DaCelli hierhergekommen, falls... Sie wissen schon...

      Sarah wusste schon.

      Nur dein Auto mit Kotze versauen wolltest du dir offensichtlich nicht, dachte sie. Naja, die Beiden hätten sich auch auf den Boden oder in den Kofferraum setzen können, aber gut. Jetzt waren sie erst mal versorgt und brauchten sich das hier auch nicht anzuhören.

      Da Sarah nichts erwiderte, fuhr der Polizist fort:

      Das Opfer befindet sich mitten im Wald, etwa 80 Meter von hier. Sie können es von hier aus nicht sehen. Wenn Sie weiter unten über einen kleinen Erdwall kommen, stehen sie direkt über der Stelle. Dann können Sie meinen Kollegen nicht verfehlen.

      Das Opfer? Ist denn sicher, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt?, entgegnete Sarah.

      Sie wusste, dass Menschen, die sich selbst das Leben nahmen, manchmal die entlegensten und abenteuerlichsten Stellen suchten, um aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen ein Auffinden unmöglich zu machen.

      Was macht Sie so sicher, dass es kein Suizid war?

      Weil sich Selbstmörder nicht in Gewebeplane einwickeln, das Ganze mit Seilen zubinden, und sich dann in einen Reisekoffer quetschen, um den Reißverschluss von außen zu schließen.

      Immerhin, schlagfertig war ihr Kollege offensichtlich. Sarah hätte sicherlich über die Antwort gelächelt, hätte er nicht das Wort Selbstmörder benutzt. Mord war schließlich ein Straftatbestand. Ein Mensch, der den Freitod wählt, war in Sarahs Augen entweder pathologisch krank oder von einem so unglaublichen Schmerz und einer so hoffnungslosen Verzweiflung erfüllt, dass er es nach langem und leidvollem Kampf trotzdem vorzog, Kinder, Verwandte und Freunde mit zermarternden Schuldgefühlen zurückzulassen. Wer so weit kam, hatte den Weg durch die Hölle hinter sich. Als Sarah sechzehn Jahre alt war, war ihr Vater, der sie liebevoll umsorgt hatte, unerwartet und plötzlich verstorben. In der Folge hatte ihre Mutter, die schon immer ihren persönlichen Ehrgeiz und ihre unmenschlichen Ansprüche auf Sarah übertragen hatte, ihren Druck und ihre Strenge weiter erhöht. In dem Gefühlschaos aus Verlust, Trauer, Verzweiflung und Ausweglosigkeit war auch Sarah auf diesem Weg durch die Hölle gewesen. Ihrem Kollegen gegenüber ließ sie sich ihre Gedanken jedoch nicht anmerken.

      Sagen wir einmal so: zumindest handelt es sich um die illegale Entsorgung eines Leichnams, entgegnete sie nur trocken und trat an den Rand der Fahrstraße.

      Sie blickte durch den dichten Wald nach unten. In einiger Entfernung konnte sie den beschriebenen Erdwall ausmachen, aber weiter konnte sie in dem Dickicht nicht sehen.

      Haben Sie auf dem Weg zur Leiche auf Spuren geachtet? Schleifspuren, Fußabdrücke, geknickte Zweige?

      Der Kollege nickte.

      Das haben wir, aber wirklich auffällig war nichts. Zumal ja nicht sicher ist, ob die Leiche von genau hier aus nach dort unten verbracht worden ist. Sehen Sie diese weite Kurve? Er kann praktisch von überall aus die Leiche dort hinunter geschleppt haben.

      Kleine wies