Wir haben, sagte er, ein Mordwerkzeug, von dem wir wegen der notwendigen Schärfe annehmen, dass es sich um ein Messer handelt, und dessen Klinge mit Vaseline eingefettet wurde. Damit würde ich behaupten, ist klar, um was genau es sich dabei gehandelt hat.
Diesmal war es an Thomas, die spannungsgeladene Stille einige Momente länger als notwendig genüsslich auszukosten.
Ok, ich sag es euch. Es war ein Tauchermesser. Die Vaseline dient quasi dem Rostschutz der Klinge.
Ein Tauchermesser?, wiederholte Sarah mit einem ziemlich skeptischen Blick.
Konservieren Taucher etwa ihre Messer mit Vaseline?
Das mag für dich vielleicht komisch klingen, aber: Ja, Taucher konservieren ihre Messer mit Vaseline.
Thomas sagte das sehr bestimmt und Sarah hatte ein wenig Angst, dass er ihre spontane Reaktion als Kritik an seinen Rückschlüssen aufgefasst hatte. So oft er sehr zugänglich für ihre Anregungen und Ergänzungen war, manchmal reagierte er, ohne dass man es vorhersagen konnte, ihrer Meinung nach einfach ziemlich eingeschnappt. Ihr gegenüber war das zwar äußerst selten, aber es kam vor. Und trotz aller Anstrengung war es ihr noch nicht gelungen, dahinterzukommen, nach welchem Muster seine Reaktionen ausfielen. Vielleicht war es auch einfach nur Launenhaftigkeit.
Ich hätte nur gedacht, dass man auf die Idee kommt, bei Messern, die unter Wasser verwendet werden sollen, ein sehr widerstandsfähiges Material wie etwa rostfreiem Edelstahl zu verwenden, erklärte Sarah ihr Unverständnis und ihre Nachfrage.
Das ist natürlich auch so, sagte Thomas und seine Stimme verriet ihr, dass er nicht verärgert war
Aber selbst die allermeisten Edelstähle reagieren auf Meerwasser zumindest längerfristig korrosiv. Daher nehmen Taucher ihre Messer regelmäßig auseinander und fetten Klinge und Angel dick mit Vaseline ein, um das gute Stück zu schützen.
Gibt es denn keine Messer aus Titan oder einem ähnlich haltbaren Stoff?, fragte Schwarz nach.
Es gibt mittlerweile sogar solche aus Keramik, aber Fakt ist, es werden immer noch die allermeisten Taucheresser aus Edelstahl, in der Regel 420er, gefertigt, die der geflissentliche Taucher brav mit Vaseline einfettet, weil sie die beste Wirkung bietet, eine gute Haftung hat und obendrein spottbillig ist.
Kann denn nicht trotzdem irgendetwas Anderes in Frage kommen?, tönte Schwarz’ Stimme aus dem Telefon.
Ich will nicht ausschließen, dass man sich auch andere Szenarien ausdenken kann, bei dem sich ein scharfer Gegenstand in Verbindung mit Vaseline als Mordwaffe nutzen lässt, aber warum die Fantasie anstrengen, wenn wir so offensichtliche Indizien auf einen doch sehr gängigen Gegenstand haben?
Weder Schwarz noch Sarah gaben darauf eine Antwort.
Gehen wir also von einem Tauchermesser aus, hielt Thomas nach angemessener Bedenkzeit fest.
Sarah ergriff ereifert das Wort.
Das hilft uns bei der Tätersuche aber ein riesiges Stück weiter! Unser Täter ist auf jeden Fall ein aktiver Taucher! Ich könnte mir zwar vorstellen, dass die meisten Tauchermesser, die über die Ladentheke gehen, niemals mit Wasser in Berührung kommen. Aber wenn jemand ein solches Messer nicht zum Tauchen benutzt, wird er es ziemlich sicher nicht mit Vaseline einfetten. Alleine schon deswegen, weil er als Landratte nicht weiß, dass es „echte“ Taucher so machen. Wir haben somit eine erhebliche Einschränkung des Täterkreises.
Langsam, langsam, bremste Thomas den fast euphorischen Ausbruch von Sarah, die mit einer beachtlichen Geschwindigkeit diesen Schluss gezogen hatte.
Weißt du, wie viele aktive Taucher es alleine im südbadischen Raum gibt? Ich kenne keine Zahlen, aber der Sport ist mittlerweile so beliebt, das geht in die Zehntausende. Nicht zu vergessen, dass wir aber auch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür haben, dass unser Täter überhaupt von hier ist. Solange wir vom Täter ausschließlich wissen, dass er Taucher und groß und kräftig gebaut sein könnte, gleicht unser Problem immer noch der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Aber zumindest haben wir doch die Option, bei den Tauchshops und -schulen...
Thomas unterbrach sie mit einem Kopfschütteln.
Die Option, ja. Aber im Moment halte ich das für voreilig. Dafür ist die Anzahl der Shops und Schulen einfach zu groß. Wir können uns das immer noch offenhalten, wenn uns die anderen Ergebnisse und Recherchen nicht weiterbringen. Vergiss nicht, wir sind in diesem Fall nur mit sechs Ermittlern besetzt, mehr kriegen wir von Gröber derzeit sicher nicht. Für diesen immensen Aufwand ist das Indiz einfach zu vage.
Vage? Ich meine, der Täter ist Taucher..., begann Sarah
Stopp!, sagte Thomas.
Wir gehen nur mit einiger Sicherheit davon aus, dass es sich bei der Mordwaffe um ein Tauchermesser handelt! Das mit der Vaseline, da gebe ich dir natürlich recht, weist auf ein Messer hin, das auch tatsächlich zum Tauchen verwendet wird oder wurde. Aber vielleicht ist unser Täter ja schon lange nicht mehr aktiv und das Messer lag jahrelang in der Nachttischschublade. Die Vaseline wäre auch nach langer Zeit noch vorhanden.
Er machte eine kurze Pause und sah Sarah mit einem beruhigenden, fast liebevollen Blick an.
Natürlich teile ich deine Rückschlüsse, fuhr er fort, gerade auch, weil die Theorie von einem aktiven Taucher, der seine Ausrüstung pflegt und dabei sehr gewissenhaft ist, irgendwie gut in unser Bild von einem abgeklärten, präzise vorgehenden Profi passt. Ich will nur, dass wir keine Schnellschüsse machen.
Ich finde, das ist die beste Spur, die wir derzeit haben, konterte Sarah ein bisschen weniger trotzig als sie es ursprünglich wollte.
Es könnte die beste Spur werden! Ich will nur sehen, ob wir dem Puzzle noch ein paar Details hinzufügen können, bevor wir uns in vielleicht unnötige Berge von Arbeit stürzen. Schwarz, sind Sie noch da?
Jaha!, tönte es aus einiger Entfernung durch den Lautsprecher und das leise, gerade soeben noch wahrnehmbare Klirren von Glas ließ Thomas vermuten, dass er sich gerade an der Bar in der hinteren Ecke seines Büros einen Drink einschenkte.
Um diese Zeit greifen Sie schon zu Ihrem Highland Park?, fragte er in Richtung des Telefons.
Sie wissen, wenn Sie irgendwie Hilfe benötigen...
Diese Stichelei konnte er sich erlauben, weil Schwarz alles andere als ein Trinker war. Er war nur der pure Genussmensch und seinen mittäglichen Dram Malt ließ er sich einfach nicht nehmen. Thomas, für den der wuchtige Schottische Whisky ein fürchterliches Gebräu war, zog ihn bei Gelegenheit ein wenig mit seiner Vorliebe auf.
Nach ein paar Sekunden, in denen aus dem Lautsprecher nichts zu vernehmen war, zeigte das Ächzen eines ledernen Bürostuhls an, dass Schwarz wieder am Schreibtisch angekommen war.
Was kann ich denn noch für Sie tun?, fragte er.
Kann man bei einem Toten, der sich im Zustand unseres Mordopfers befindet, noch anhand irgendwelcher Parameter feststellen, ob er in der Zeit vor seinem Tod getaucht hat?
Schwarz stockte einen Moment.
Wenn es nicht zu lange vor dem Exitus war, und die Leiche noch nicht lange gelegen hat, denke ich schon, dass das möglich sein könnte. Allerdings ist bei unserem kleinen Freund hier das Problem, dass er schon seit drei Wochen vor sich hin gammelt. Die Fäulnisgase verfälschen die zum Zeitpunkt des Todes vorherrschenden Gaskonzentrationen und auch die der im Blut gelösten Gase sehr schnell. Letzten Endes wird der ursprüngliche Zustand nicht mehr rekonstruierbar sein. Wobei... mhmm – ich hätte da vielleicht jemanden, der uns weiterhelfen könnte. Ich werde mich drum kümmern.
Wenn Sie da heute noch aktiv würden, wäre es natürlich großartig!
Ich kann Ihnen allerdings nicht sagen, ob überhaupt, und wenn ja, wann ich Ihnen hier schlüssige Ergebnisse liefern kann, aber ich mache mich gleich daran.