Sarah nickte.
Wir hatten in den Grundkursen zur Kriminaltechnik einen Beispielfall. Aber die Wahrscheinlichkeit ist bedeutend geringer als bei einer computergestützten Suche nach Fingerabdrücken oder DNA.
Du meinst, fasste Karen Polocek an Thomas gewandt zusammen, dass der Täter deiner Überlegung folgend die Zähne verschonte, aber sehr wohl einkalkuliert hat, dass sich die Fingerabdrücke des Opfers möglicherweise bei einer Recherche hätten finden lassen können. Entweder weil er weiß, dass das Opfer bereits „Kontakt“ zu den Behörden hatte, oder aber, weil er das Risiko genauso wie du eingeschätzt hat und ihm ebendieses einfach zu groß war. Das würde dann sogar von einer Abgeklärtheit zeugen, die deine Profitheorie eher untermauert, als ihr zuwider spricht!
Alle, inklusiv Gröber und Neubauer, nickten, während Nico versuchte, das Wort Profikiller irgendwie sinnvoll in seine Aufzeichnungen am Whiteboard einzufügen.
Eines scheint mir sicher: Das war keine Zufallstat oder eine Handlung im Affekt, ließ Pfefferle verlauten, dagegen sprechen zu viele Details, die von einem durchdachten Vorgehen des Täters zeugen. Er wusste genau, was er tat und hat nie die Kontrolle verloren. Es war ein kaltblütiger und fast perfekt verübter Mord.
Wieder vermittelten die nachdenklichen Mienen der Tischrunde Zustimmung.
In die Stille hinein fragte Sarah Thomas: Woher weißt du eigentlich schon wieder so genau, wie bei den Geheimdiensten dieser Welt Menschen lautlos kaltgemacht werden?
Das fragen Sie ihn ein andermal, schnitt Gröber Thomas die Antwort ab, es geht jetzt um die zu erledigenden Aufgaben! Die Fakten, die wir haben, sind mehr als mager, die Theorie mit dem Profi halte ich nicht für abwegig, aber auch nicht wirklich für zwingend. Bierman, wie wollen Sie weiter vorgehen?
Solange wir nicht alle Untersuchungsergebnisse des Erkennungsdienstes und der Untersuchungen der Leiche haben, halte ich es für müßig, viel Energie in wenig versprechende Richtungen zu lenken. Ich denke, das Einzige, was wir derzeit machen können, ist die Suche in den Vermisstendatenbanken weniger restriktiv zu gestalten, in der Hoffnung, einige vage Treffer zu erhalten, die es sich lohnt, weiter zu untersuchen. Der Tote könnte Ausländer sein, deswegen schlage ich vor, dass wir Kontakt zu den Behörden der Nachbarländer aufnehmen und auch deren Vermisstendatenbanken auf mögliche Übereinstimmungen untersuchen. Ich denke, das wird die Beschäftigung für den Nachmittag sein. Morgen Vormittag können wir mit weiteren Laborergebnissen rechnen, dann sehen wir weiter.
Ok, einverstanden, gab Gröber zurück.
Wie sieht es mit der Presse aus?, fragte Karen Polocek.
Vielleicht können wir über einen sehr vorsichtig formulierten Artikel Informationen aus der Bevölkerung bekommen?
Nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt!, gab Gröber unumwunden und fast aggressiv zurück.
Ich bin froh, dass die Öffentlichkeit nichts über dieses Verbrechen weiß und dementsprechend auch kein Interesse hat! Die Lösung dieses Falles scheint für mich im Moment in so weiter Ferne, ich will nicht in die Schusslinie der Medien geraten und uns unter Druck setzen lassen. Bierman, was ist mit den Leuten, die die Leiche gefunden haben?
Sind entsprechend instruiert, antwortete er, als Weiteres gebe ich zu Bedenken, dass es von Nachteil für unsere Ermittlungen wäre, wenn der Täter erführe, dass sein Opfer gefunden wurde. Im Moment wiegt er sich in Sicherheit. Wenn er von der Entdeckung erfährt, könnte er unseren Ermittlungen gezielt entgegenwirken oder sich einfach absetzen. Immer vorausgesetzt, es handelt sich um eine Person hier aus dem süddeutschen Raum.
Und nicht um einen CIA-Agenten, ergänzte Nico Berner etwas spöttisch.
Du missverstehst meinen Ausdruck „Profi“! Wenn sich ein Geheimdienst des Opfers angenommen hätte, und sei es einer der unseren, dann hätten wir jetzt keinen Fall, da sei dir mal sicher!, entgegnete Thomas etwas gereizt.
Wenn ich Profi sage, meine ich, dass die Person das Töten gelernt hat und es vielleicht sogar gewöhnt ist!
Sarah hatte schon des Öfteren festgestellt, dass er auf Spötteleien seine Person oder Kompetenz betreffend mitunter recht wirsch reagieren konnte. Aber jetzt atmete er nur einmal tief durch, und während Gröber seine Unterlagen zusammenpackte und beim Verlassen des Raumes lediglich die Hand hob, begann er, die Rollen für den Nachmittag zu verteilen.
Ok, fangen wir mit den unmittelbaren Nachbarn an! Karen, du hattest doch letztens mit den Schweizer Kollegen in Basel zu tun... Kriminaloberkommissar Stimpfli wird sich bestimmt an dich erinnern, das heißt, Schweiz für dich.
Karen nickte beflissentlich. Noch bevor Thomas weiterreden konnte, steckte Gröber den Kopf noch einmal durch die Tür herein.
Bierman, fassen Sie alles, was wir bis jetzt haben, heute noch in einen kurzen Bericht. Ich habe um 9.30 Uhr ein Treffen mit dem Staatsanwalt. Das heißt: 8 Uhr auf meinem Schreibtisch!
Sofort war die Tür wieder geschlossen. Thomas runzelte die Stirn und nahm den Faden wieder auf.
Zu welchem Kollegen in Mulhouse oder Straßburg haben wir einen guten Draht?
Comissaire Dufour in Straßburg, meldete sich Sarah, den kann ich übernehmen.
Sehr gut, und da du auch die Einzige bist, die hier ein nennenswert gutes Französisch spricht, würde ich dich auch bitten, die Kollegen in Luxemburg zu kontaktieren. Nico, knöpf du dir bitte Bregenz vor. Hans, du und Herr Neubauer, Ihr könnt die Kollegen in Liechtenstein ansprechen, die Kollegen dort können ausgezeichnet Deutsch. Wenn ihr mit den nächsten Nachbarn ergebnislos durch seid, würde ich dich, Sarah, bitten, weiter Richtung Belgien zu gehen. Hans, ihr könnt Tschechien und die Slowakei mit einbeziehen. Karen, du kannst dich ja dann mit den grenznahen Städten in Polen in Verbindung setzen, da hast du ja keine Sprachbarriere. Wenn das alles nichts bringt, was ich leider befürchte, weiten wir die Suche entsprechend aus. Aber bis morgen die nächsten Untersuchungsergebnisse kommen, haben wir zumindest was zu tun. Alles klar soweit?
Zustimmendes Gemurmel und allgemeines Herumkramen in den Unterlagen war Thomas Zeichen genug, dass die Sitzung von allen als beendet angesehen wurde. Er selbst nahm den letzten Schluck seines nunmehr kalten Kaffees und packte auch seine Papiere zusammen. Die Anwesenden machten sich auf den Weg in ihre Büros, um mit den entsprechenden Nachforschungen zu beginnen.
Thomas und Sarah verließen gemeinsam als Letzte den Sitzungsraum und gingen schweigend den Gang hinunter. Als sie vor dem Aufzug warteten, griff Sarah ihre Frage von vorher noch einmal auf.
Gröber hat dich vorhin so rüde unterbrochen, als ich dich fragte, woher du die verschiedenen Arten der – nennen wir es mal „Spezialisten“ – zu töten, Bescheid weißt. Ist das nur wieder etwas von deinen unendlich vielen Interessensgebieten oder hat das einen anderen Hintergrund?
Thomas