Sturmernte. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623489
Скачать книгу
die Polizisten zurück und blickten mehr oder weniger erwartungsvoll in Richtung Gröber. Es lag an ihm, die nächste Runde einzuläuten. Als dieser das letzte Bild aus der Hand gelegt hatte, wandte er sich an den jüngsten Kollegen.

      Neubauer!

      Ein leichtes Zusammenzucken.

      Ja, Herr Dr. Gröber?

      Gehen Sie doch mal ein Stockwerk tiefer und bringen Sie jedem einen Cappuccino, während wir das mal auf uns wirken lassen.

      Merkliches Lächeln in den Augen der meisten Besprechungsteilnehmer. Neubauer ausgenommen, war Nico Berner der einzige, der sich durch seine Nichtreaktion von den Übrigen zu distanzieren suchte.

      Sarah fand sein Benehmen befremdlich, fast noch unangenehmer als das von Gröber. Sie wusste, dass Berner auf einer Hacienda in Argentinien aufgewachsen war, Enkel deutscher Auswanderer, der in den ersten Jahren seines Lebens vom Zimmermädchen bis zum Chauffeur alles hatte, was man sich als betuchte Familie in Südamerika leisten konnte. Das Geld und auch das Umfeld mussten ihn zu dem Macho gemacht haben, der er heute war. Seine Gestik und Mimik deuteten eigentlich ständig an, was er für eine Meinung von seinem Gegenüber oder dessen augenblicklichem Niveau hatte, und dass er sich selbst für etwas Besseres hielt. So gesehen war es nicht dumm von Gröber gewesen, ihm die blitzgescheite und selbstbewusste Karen Polocek zur Seite zu stellen. Trotz ihres polnischen Namens war sie ein mediterraner Typ mit langen schwarzen Haaren und fast ebenso dunklen Augen. Ihre ziemlich füllige Figur hatte sie anfangs zu einem Objekt Berners plumper Sprüche werden lassen. Aber da sie äußerst schlagfertig, gebildet und eine gute Ermittlerin war, musste dieser sehr schnell erkennen, dass ihm Karen überlegen war – auf so manchen Gebieten. Nach wenigen Versuchen, ihr auf verschiedenste Weise ihre Position ihm gegenüber klarzumachen, hatte er es aufgegeben und seitdem funktionierten die beiden als Team auf einer sehr distanzierten, professionellen Ebene recht gut.

      Nach wenigen Minuten trat Neubauer ein, auf einem Tablett balancierte er sieben dampfende Becher. Angefangen bei Gröber stellte er jedem einen an seinen Platz. Dieser nahm einen Schluck Cappuccino.

      Als Erstes irgendwelche Fragen an die Kollegen Bierman und Hansen?, lud er die Ermittler ein.

      Pfefferle ergriff das Wort.

      Fundort ist ja offensichtlich nicht der Tatort. Irgendwelche Hinweise auf das Transportmittel? Reifenabdrücke, Bremsspuren, Schleifspuren, Fußabdrücke?

      Er blickte Sarah an. Sie schüttelte den Kopf.

      Absolut nichts Verwertbares.

      Irgendwelche Hinweise auf die Tatwaffe?

      Sarah schilderte kurz, was sie mit Schwarz in der Gerichtsmedizin diskutiert hatten. Danach hielt im Sitzungsraum mehr oder weniger Stille Einzug.

      Ok, dann lassen Sie Ihren Assoziationen mal freien Lauf, forderte Gröber auf, nachdem er einige Sekunden von Einem zum anderen geschaut hatte.

      Wer schreibt am Whiteboard?

      Ohne einen Ton zu sagen stand Berner auf, griff sich einen Stift und blickte ausdruckslos in die Runde.

      Täter und Opfer standen in einer Beziehung zueinander. Bei einem Zufallsopfer, bei Raub oder einer Streiterei hätte der Täter sich nicht die Mühe gemacht, die Spuren so zu verwischen. Er hat Angst, dass man ihn über das Opfer identifiziert.

      Karen hatte sich vorgebeugt.

      Und diese Mühen zeugen davon, dass der Täter sich sicher ist, unerkannt bleiben zu können. Das spricht dafür, dass es bei der Tat keine Zeugen gab, er also mit dem Opfer alleine war.

      Thomas nickte. ... oder mit den Tätern... was wiederum untermauert, dass Opfer und Täter sich gekannt haben. Oder aber der Angriff kam so überraschend und schnell, dass unser Toter seinen Angreifer nicht bemerkt hat. Es könnte auch eine Kombination von beidem sein.

      Gibt es Grund zur Annahme, dass es mehrere Personen waren? Oder konkrete Hinweise, dass es sich nur um einen Einzelnen handelt?, hakte Karen nach.

      Sarah nahm die Frage auf.

      Weder das Eine, noch das Andere. Die Indizien zeigen eindeutig, dass es einem kräftigen Mann durchaus möglich war, sowohl das Opfer zu töten, als es auch mit einer gewissen Anstrengung zu verpacken und an die Fundstelle zu verfrachten. Es spricht nichts zwingend für Helfer. Aber wie gesagt, das bedeutet nur, dass es eine Person getan haben könnte und schließt das Vorhandensein Weiterer nicht aus!

      Stichwort „Opfer töten“.

      Nico Berner hatte auf dem Whiteboard die Möglichkeiten der alleinigen sowie mehrfachen Täterschaft notiert.

      Gibt es Erkenntnisse darüber, wie die Tat genau stattgefunden hat?

      Thomas nickte, riss den vollkommen ahnungslosen Thorsten Neubauer von seinem Stuhl und demonstrierte, was sie in der Rechtsmedizin mit Schwarz diskutiert hatten.

      So kann man das Zustandekommen der Wunde perfekt erklären... Einzeltäter!

      Er drehte sich, den verschüchterten Kollegen noch immer fest im Griff, zu Pfefferle und bat ihn, in der jetzigen Stellung als zweiter Täter auf verschiedene Arten zuzustechen. Es wurde allen schnell klar, dass, egal wie Pfefferle sich stellte oder wie er sein „Messer“ auch hielt, die Verletzung nur unter seltsamen Annahmen und unsinnigen Griffhaltungen zustande kommen konnte. Gegen jede Alternative gab es stichhaltige Einwände, die verdeutlichten, dass die Theorie vom hinter dem Opfer stehenden Einzeltäter die wahrscheinlichste war. Thomas ließ den leicht verkrampften Neubauer los und schlug ihm auf die Schulter.

      Gut gemacht!

      Ok, damit wissen wir allerdings nicht, ob noch andere anwesend waren, fasste Nico Berner zusammen.

      Diese Frage ist also noch offen.

      Ist zum derzeitigen Stand auch nicht von Relevanz, angesichts der verschwindend geringen Menge an Fakten, knurrte Gröber.

      Was ziehen Sie aus den Umständen der Tat für Schlüsse, Bierman?

      Zumindest ein Verdacht, der sich mir aufdrängt, ist ein sehr unangenehmer. Die Art, wie das Opfer unseren Vermutungen nach zu Tode kam, wird bei den Spezialeinheiten und Geheimdiensten als eine von verschiedenen perfekten Methoden gelehrt, einen einzelnen Gegner aus dem Hinterhalt heraus im Nahkampf zu töten.

      Warum sticht man dann nicht von hinten ins Herz?, fragte Thorsten Neubauer, der sich zum Erstaunen der anderen zu Wort meldete.

      Ist doch sicherer und schneller!

      Falsch!, stellte Thomas richtig.

      Erstens ist die Gefahr, bei der Attacke auf das Herz von hinten an der Wirbelsäule oder den Rippen hängen zu bleiben, viel zu groß. Zweitens führt der Stich ins Herz keinesfalls zum sofortigen Tod! Das Opfer kann noch eine ganze Weile leben und dabei, und das ist jetzt das Entscheidende, sprechen, weglaufen und auch schreien. Der wichtige Punkt dieser Methode hier ist, dass, wenn man es richtig macht, praktisch kein Laut mehr über die Lippen des Opfers kommt. So tötet man lautlos! Und da diese Methode ein spezielles Wissen und auch eine gewisse Übung voraussetzt, hege ich den Verdacht, dass es sich bei unserem Täter um einen Profi handeln könnte. Die Tat war so perfekt umgesetzt, dass ich hier nicht an einen Zufall glaube.

      Betretenes Schweigen in der Runde zeigte an, dass jeder der Anwesenden Thomas’ Ausführungen für stichhaltig und glaubwürdig erachtete und zumindest die Möglichkeit gegeben war, dass er mit seiner Theorie, das Opfer könnte von einem Profi getötet worden zu sein, recht haben könnte. Dann war es wieder Thorsten Neubauer, der, für seine Verhältnisse fast schon vorlaut, mit einem neuen Gedanken aufwartete.

      Aber wenn er ein Profi ist, dann weiß er auch, dass eine Person genauso gut wie über ihre Fingerabdrücke auch über ihr Gebissschema identifiziert werden kann. Wenn er sich, wie jetzt schon vielfach festgestellt, so unendliche Mühe gemacht hat und sogar die Fingerabdrücke verschwinden ließ, dann hätte er als Profi doch auch die Zähne ziehen oder ausschlagen müssen.

      Sofort wanderten alle Augen zu Thomas, der wenige Augenblicke nachdachte und dann den Kopf schüttelte.