Timeflyer. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660262
Скачать книгу
nicht, sie sollte doch mal zum Arzt gehen?"

      "Ist nur zu schwach. Guck sie dir doch an, sie ißt zu wenig.”

      Kalle schüttelte den Kopf. “Daran allein kann es nicht liegen.”

      “Ärzte wollen nur Geld machen. Von den Schmarotzern brauchen wir keinen. Wenn sie sie in ein Krankenhaus stecken, das kostet dann auch nur wieder.”

      “So ein Unsinn.” Kalle begriff nicht, wie Josch so stur sein konnte, wenn es um Bienes Gesundheit ging. "Das kostet nichts, wenn man nichts hat. Und die Hauptsache ist doch, daß sie wieder gesund wird.”

      Josch warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. “Wird sie auch so. Muß nur wieder richtig essen. Außerdem braucht sie Ruhe, hat bisher immer bei dem albernen Schmuckzeugs geholfen. Muß mal einen Tag Pause machen."

      "Es geht mir schon wieder viel besser," meldete sich nun auch Biene vom Sofa her. Schuldbewußt sah sie Josch nach, der seine Wanderung durchs Zimmer wieder aufgenommen hatte. "Morgen früh bin ich wieder ganz in Ordnung."

      "Morgen bleibst du noch mal zu Hause, verstanden?" sagte Josch streng.

      "Nein, das geht nicht.”

      "Und ob das geht!"

      Biene schaute ihn ängstlich an. "Josch...," bat sie leise.

      "Nix Josch!" Er wurde jetzt lauter und hob drohend den Zeigefinger. "Die kommen auch ohne dich klar."

      Kalle lehnte sich an den Wasserstein, in dem ein paar ungespülte Schüsseln und Tassen standen. Eine dicke schwarze Fliege machte sich an den Resten zu schaffen. "Josch hat recht, Biene," sagte er, "bleib noch mal einen Tag zu Hause und kurier dich aus."

      "Das geht wirklich nicht," jammerte sie. "Ich bin doch heute schon ausgefallen. Wie soll es denn weitergehen, wenn ich morgen auch wieder fehle? Fritz liegt mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus, und Barbara flippt jedesmal aus, wenn sie ganz alleine am Stand ist. Fredy hat genug anderes zu tun, der kann ihr auch nicht immer helfen. Und es ist wirklich nicht gut, wenn man ganz allein am Stand ist, das ist viel zu gefährlich. Da sollte immer zusätzlich jemand da sein, der ein bißchen aufpaßt.” Und etwas leiser fügte sie hinzu: “Außerdem können wir es uns nicht leisten, für einen weiteren Tag auf das Geld zu verzichten.”

      Kalle überlegte. "Und wenn ich einspringe?" fragte er dann. "Ich meine, aufpassen kann ich auch. Dadurch ginge dir zumindest deine Tagesprämie nicht verloren."

      Bienes Gesicht hellte sich auf. Sie wollte etwas sagen, aber Josch kam ihr zuvor. "Wie willst'n das machen, du hast doch deine Arbeit."

      "Ich könnte Urlaub nehmen."

      "Kriegste denn welchen?"

      Kalle hob die Schultern. "Ein paar Tage stehen mir zu, glaube ich. Ich könnte mal fragen."

      Biene lächelte. "Das wäre wirklich nett von dir, Kalle."

      Josch brummte, was ebenso Zustimmung wie Ablehnung bedeuten konnte.

      "Ich werde mich morgen früh erkundigen,” sagte Kalle noch einmal, “und jetzt mach dir mal keine Sorgen mehr, Biene. Irgendwie werden wir das schon hinkriegen."

      Das Mädchen lehnte sich in die Kissen zurück und seufzte erleichtert. Auch Josch hatte sich inzwischen wieder beruhigt. Er öffnete die Kühlschranktür. "Trinkst'n Bier mit mir?" fragte er Kalle über die Schulter.

      Der schüttelte den Kopf. "Ich will noch eine Weile in den Schwarzen Kater," sagte er und schaute auf die Uhr.

      Josch grinste und boxte ihn freundschaftlich in die Seite. "Gehst verdammt oft hin in letzter Zeit. Hast wohl was aufgerissen, was?"

      Kalle hob abwehrend die Hand, aber Josch lachte gönnerhaft. “Warum nicht? Wünsch dir jedenfalls viel Spaß."

      Der Schwarze Kater war eine kleine Eckkneipe zwei Querstraßen weiter, in der Kalle schon so manchen Abend totgeschlagen hatte. Zwar war nicht besonders viel los dort, und die Gestalten, die entlang der Theke hockten, waren nicht unbedingt interessante Gesprächspartner, aber ab und zu konnte er eine Partie Billard mit ihnen spielen, oder er leistete sich eine Runde am Flipper-Automaten. Die einzige, mit der er manchmal ein paar Worte redete, war Erna, die Bedienung. Sie war geschieden und hatte allein für zwei Kinder zu sorgen, und obwohl sie die Mitte der Vierzig bereits überschritten hatte, sah sie noch immer recht hübsch aus mit ihrem Pferdeschwanz und dem roten Minirock, den sie für gewöhnlich trug. Für Kalle hatte sie immer ein freundliches Wort, und hin und wieder schob sie ihm schon mal ein Bier auf Kosten des Hauses zu, wenn die anderen Gäste bereits gegangen waren und es ihm schwerfiel, in das muffige kleine Zimmer in der Schwanenstraße zurückzukehren.

      "N'Abend, Kalle. Feierabend?"

      Er hob die Hand zum Gruß. “N’Abend, Erna. Machst du mir n'Bier?"

      "Na klar."

      Er lief an der Theke vorüber in den hinteren Teil der Gaststube, wo es außer dem Billardtisch auch einige Geldspielautomaten und den Flipper gab. Er hätte Lust zum Flippern gehabt, doch ein Anderer stand davor und versuchte sein Glück. Ein magerer kleiner Kerl von achtzehn oder neunzehn Jahren, in abgetragenen Kleidern und mit struppigen Haaren und hungrigen Augen. Kalle setzte sich an einen der Tische und sah ihm eine Weile zu. Ganz plötzlich kam ihm die Idee, zu Hause anzurufen. Er verwarf sie gleich wieder, doch sie ließ ihm keine Ruhe mehr, so sehr er auch versuchte, an etwas anderes zu denken. Schließlich stand er auf. "Kann ich mal telefonieren?" fragte er Erna.

      "Klar." Sie wies auf das Telefon am Ende der Theke.

      Er zögerte. "Kann ich nicht woanders...?"

      "Ferngespräch, was?" Sie nickte und öffnete eine Schiebetür, die in eine kleine unordentliche Küche führte. Den Apparat stellte sie auf einen Tisch neben dem Herd, auf dem sie Platz machte, indem sie einen halbvollen Suppentopf und ein paar schmutzige Teller zur Seite schob. "So," sagte sie, "hier bist du ungestört."

      "Danke." Er lächelte und wartete, bis sie die Tür von außen wieder zugeschoben hatte, dann fing er an zu wählen. Er mußte schlucken, als es in Bretzingen läutete, und ob er wollte oder nicht, sein Herz begann, wie wild zu klopfen. Er wünschte, Biggie würde abnehmen, gleichzeitig fiel ihm aber ein, daß sie um diese Zeit wahrscheinlich längst zu Bett gegangen war. Und sollte Walter an den Apparat kommen... Er überlegte, ob er dann gleich wieder auflegen, oder wenigstens kurz mit ihm reden sollte.

      "Bräuninger." Es war eine Frauenstimme, die sich meldete. Ihm war, als schnüre ihm jemand die Kehle zu, und er brachte kein Wort heraus.

      "Hallo, wer ist denn da?" fragte die Stimme ungeduldig.

      "Mama."

      "Kalle?" fragte die Frau vorsichtig, als traue sie ihren Ohren nicht. "Kalle, bist du's?"

      "Ja."

      "Kalli! Wie schön, daß du anrufst. Wie geht's dir denn? Du hast so lange nichts von dir hören lassen. Bist du gesund?"

      "Ja, Mama, mir geht's gut. Und euch? Ist bei euch alles in Ordnung?"

      "Ja, sicher."

      Im Hintergrund hörte man Walter reden, und sie erklärte ihm ungeduldig: "Der Kalle ist dran!", um gleich darauf weiter zu fragen: "Was machst du denn so, Kalli? Hast du Arbeit? Wohnst du immer noch bei dem Jungen, den du von früher her kanntest? Oder hast du schon was anderes gefunden?"

      "Ja, ich wohne immer noch bei Josch. Ich..."

      "Wie machst du's mit dem Essen? Hast du jeden Tag ein richtiges Mittagessen? Was Warmes, meine ich. Und die Miete? Kannst du sie bezahlen? - Vielleicht kann ich dir nächsten Monat ein bißchen Geld schicken, du mußt mir nur deine genaue Adresse sagen..."

      "Mama!" unterbrach er sie. "Es geht mir wirklich gut. Ich arbeite bei einer Baustoffgroßhandlung, und ich verdiene nicht schlecht. Und bei Josch kann ich wohnen bleiben, solange ich will." Daß er jede Nacht auf einer übelriechenden Matratze schlief, zugedeckt mit einer schmutzigen Decke, daß er fast nicht mehr wußte, was ein schönes heißes Bad war, und daß er längst wieder eines nötig hatte, das sagte