Timeflyer. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660262
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ihn aber nicht entfernen, um kein Risiko einzugehen." Er gab ‘unserem’ Kaninchen einen Stups, weil es sich wieder zu nahe an den Tischrand gewagt hatte, dann schaute er zu mir herüber, und unsere Blicke trafen sich. “Nein, nein, Herr Doktor, ich vergesse es nicht,” antwortete ich und kritzelte in ein paar schnellen Sätzen auf den Block, was ich gerade gesehen hatte.

       “Das Universum bricht also nicht zusammen, wenn sich ein Lebewesen selbst begegnet, wie einmal jemand behauptet hat,” stellte Prof. Riechling zufrieden fest. Er hatte verschiedene Apparaturen am Rande des Tisches aufgebaut und half nun dem Doktor dabei, dem zweiten Kaninchen Kontakte anzulegen, um verschiedene Körperfunktionen und Reaktionen des Tieres zu testen und zu messen.

       “Um auf Ihre Bemerkung von vorhin zurückzukommen, Professor,” begann Dr. Degenhardt, nachdem er den Vorbereitungen eine Weile zugeschaut hatte. “Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie davon überzeugt, daß dieses Experiment auch mit Menschen möglich wäre.”

       “Theoretisch schon,” antwortete Prof. Riechling. “Der ‘Timeflyer’ funktioniert, - ganz gleich, was oder wen Sie daran befestigen.”

       “Davon rate ich aber entschieden ab,” meinte Frau Dr. Ebenstreit ernst. “Die Auswirkungen auf die menschliche Psyche könnten katastrophal sein.”

       “Ha, würde mich schon reizen, mir selbst mal guten Tag zu sagen,” mischte sich Herr Fröbel amüsiert ein.

       “Das wäre vielleicht gar nicht so lustig, wie Sie sich das vorstellen. Diese Begegnung könnte selbst bei Ihnen eine Art Schock auslösen.”

       Herr Fröbel lachte. “Das war deutlich!” In gespielter Verzweiflung schaute er sich suchend um. “Ein Königreich für einen Spiegel. Ist der Eindruck, den ich bei meinen Mitmenschen hinterlasse, tatsächlich so schockierend? Dabei dachte ich immer, ich sei ein einigermaßen hübscher Kerl.”

       “Spaß beiseite,”schaltete sich Prof. Riechling ein und gab damit zu verstehen, daß er die Situation für viel zu ernst hielt, als daß man darüber seine Späße machen sollte. “Wenn man eines Tages tatsächlich eine Zeitreise mit einem Menschen durchführen sollte, würde man natürlich großen Wert darauf legen, eine derartige Begegnung zu vermeiden,” erklärte er. “Übrigens, wenn Sie sich für die letzten Ergebnisse im Zusammenhang mit diesem neuen Experiment interessieren, Herr Fröbel, bin ich jetzt gerne bereit, sie Ihnen zu erläutern.”

       Unser Gast aus der Zukunft war gesund und munter. Sein Herz schlug normal, er reagierte auf heiß und kalt und andere äußere Reize und Einwirkungen, und er verhielt sich seinem zweiten Ich gegenüber genauso, wie das von ihm erwartet worden war. Mit dem gleichen Appetit wie zwei Stunden zuvor machte er sich über die Karotte her, die ich ihm hinhielt, und genauso bereitwillig ließ er sich von Frau Dr. Ebenstreit zwischen den Ohren kraulen.

       Punkt 15 Uhr, wie vorausbestimmt, - Dr. Weißgerber war gerade rechtzeitig mit allen Untersuchungen fertig geworden, - war der Spuk wieder vorüber, und das Zukunftskaninchen kehrte in seine eigene Zeit zurück.

       Während Dr. Weißgerber und Prof. Riechling für weitere Fragen zur Verfügung standen, beschäftigte ich mich wieder mit ‘unserem’ Kaninchen. Ich streichelte es, trug es im Zimmer umher und ließ es auf dem glatten Leder der Couch spazieren.

       Kurz vor 16 Uhr kam der Doktor zu mir herüber und nahm es mir ab. “Es ist jetzt soweit,” sagte er, “wir müssen unseren Freund langsam auf seinen Start vorbereiten.”

       “Keine Angst,” sagte ich noch einmal zu dem Häschen und streichelte es, fuhr ihm mit dem Zeigefinger ganz sacht über das rosa Näschen, “dir wird nichts passieren. Alles wird gutgehen.”

       Dr. Weißgerber lächelte. “Es kann nichts mehr schiefgehen,” meinte er, “davon konnten wir uns doch bereits um 14 Uhr überzeugen.”

       “Was wäre aber, wenn wir es jetzt nicht täten?" fragte ich. "Ich meine, wenn wir es jetzt einfach hier behielten, anstatt es in die Vergangenheit zu schicken?”

       “Es ist vorprogrammiert, daß wir es tun.”

       “Aber wenn wir es trotzdem nicht täten?”

       “Darüber sollten wir uns vorerst noch keine Gedanken machen. Es gibt vieles, was wir bis jetzt noch nicht wissen. Es ist ein breites unbekanntes Feld, das es noch zu erforschen gilt. - Übrigens, Karin, ich würde gern etwas mit Ihnen besprechen.”

       “Ja?”

       Er winkte ab.“Nein, nein, nicht jetzt! Das hat später noch Zeit.”

       Der letzte Teil des Experiments, die Reise des Kaninchens in die Vergangenheit, war fast schon Routine für uns. Der Doktor öffnete das Lederkästchen, das er sorgsam verschlossen in seinem Schreibtisch aufbewahrt hatte, nahm den silberglänzenden streichholzschachtelgroßen 'Timeflyer', den wir ja bereits vom zweiten Häschen her kannten, heraus und band ihn mit Hilfe des Ledergurtes, an dem er befestigt war, um den Körper des Tieres.

       Das verfrühte Schlagen der Turmuhr irritierte uns wieder, doch ich las die genaue Zeit von der Taschenuhr ab und gab sie an Dr. Weißgerber weiter. “Noch 30 Sekunden, 29..., 28..., 27...”

       Herr Fröbel konnte nicht umhin, grinsend dazwischenzuflüstern: “Der Countdown läuft!”, was ihm einen strengen Blick von Prof. Riechling einbrachte. Der Doktor ließ sich dadurch jedoch nicht beirren. Ein kurzer schneller Druck auf den Knopf, der den Zeitsprung auslöste, und im nächsten Augenblick befand sich das Kaninchen auf seiner Reise in die Vergangenheit. Und was es dort erlebte, wußten wir ja bereits.

       Die darauffolgende Stunde verbrachten wir nun ganz ohne Versuchstier. Der Doktor diskutierte mit seinen Gästen über verschiedene Aspekte, die das Phänomen Zeit betrafen.

       Ich erinnerte mich, daß ich bereits lange vor dem ersten Experiment begriffen hatte, worum es in den Ausführungen des Doktors ging, denn er hatte über die sogenannte 'temporale Verschiebung‘ geschrieben, durch die es angeblich möglich sein konnte, von einer Zeit in die andere zu gelangen, sofern man herausfand, wie das zu bewerkstelligen war.

       Doch was war Zeit überhaupt?

       Im Lexikon las ich: 'Zeit ist, für die gewöhnliche Auffassung, ein kontinuierliches Fortschreiten, innerhalb dessen sich alle Veränderungen vollziehen.' Und weiter hieß es: 'In der Physik ist die Zeit eine, nach der täglichen Erfahrung, nicht beeinflußbare physikalische Größe, eine zu den drei Raumkoordinaten hinzutretende vierte Koordinate.‘

       Dort stand es also Schwarz auf Weiß: ‘...nach der alltäglichen Erfahrung...‘ Das aber schloß die Möglichkeit nicht aus, daß eines Tages einmal jemand eine ganz andere Erfahrung machen konnte, und zwar die, daß Zeit eben doch beeinflußbar war.

       Am nächsten Tag sprach ich den Doktor darauf an und erzählte ihm, was ich einerseits in seinem Bericht, andererseits im Lexikon gelesen hatte. Er lächelte, es schien ihm zu gefallen, daß ich mich dafür interessierte. Er bat mich in sein Büro und forderte mich auf, auf der Ledercouch Platz zu nehmen. Dann setzte er sich neben mich und breitete ein Blatt Papier vor uns auf dem Mosaiktisch aus.

       “Man sagt, Zeit sei nur eine Illusion,“ begann er, “und alles, was geschähe, passiere in Wahrheit in einem einzigen Augenblickspunkt. Nun, für uns Menschen ist das unvorstellbar, denn wir empfinden sie als Aufeinanderfolge von Ereignissen, - anders kämen wir gar nicht damit zurecht. Früher stellten sich die Menschen die Zeit als eine gerade Linie vor, auf der wir, wie mit einem Schienenfahrzeug auf gerader Strecke vorwärtsfahren und nicht umkehren können. Durch die Allgemeine Relativitätstheorie, - Sie haben sicher schon davon gehört, nicht wahr? - wissen wir nun aber, daß die Zeit, wie auch der Raum,