Timeflyer. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660262
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wissen würde, wie es weiterging.

      "Was machen die Mädchen?" fragte er.

      "Oh, denen geht's auch gut, Kalle. Biggie schläft schon, sie hat mir heute im Garten geholfen. Traudel und Nati sind in den Ferien wieder bei Tante Vera in Rastatt. Aber sag, wann kommst du uns denn endlich mal besuchen? Übers Wochenende vielleicht?"

      "Im Augenblick ist das unmöglich," antwortete er. "Wir haben viel zu tun in der Firma, müssen sogar Überstunden machen. Und mir tun so sehr die Knochen weh, daß ich am Wochenende ausschlafen will und keine Lust habe, wegzufahren. Später vielleicht."

      "Ja gut, Kalle. - Ach, Kalli! Ich freu mich so, daß ich wieder mal deine Stimme höre.”

      "Ja, ich freu mich auch. Grüß die Mädchen von mir."

      "Das mach ich. Walter sagt auch..."

      "Ich ruf mal wieder an," unterbrach er sie schnell.

      "Ja," sagte sie, "machen wir Schluß, sonst wird es für dich zu teuer. War wirklich lieb von dir, daß du angerufen hast. Also dann, gute Nacht, Kalle."

      "Gute Nacht, Mama."

      Er trug das Telefon wieder hinaus, stellte es an seinen Platz zurück und bezahlte die Gebühren, die Erna vom Zähler ablas. Dann bestellte er noch ein Bier und einen Klaren dazu. Beides trank er ex. "Noch mal das gleiche, Erna!" rief er.

      Es war schwer, damit aufzuhören, wenn man einmal angefangen hatte, deshalb dauerte es nicht lange, bis er betrunken war. Betrunken genug, um sich nun über den kleinen mageren Kerl zu ärgern, der noch immer den Flipperautomaten bearbeitete. Betrunken genug, um ihn am Kragen zu packen, gegen die Wand zu drängen und ihm eine Tracht Prügel anzudrohen, wenn er nicht binnen fünf Minuten verschwunden sein sollte. Jemand hielt ihn am Arm fest und redete beschwichtigend auf ihn ein, packte ihn dann an den Schultern und drückte ihn auf einen Stuhl. Zuerst wehrte er sich dagegen, schimpfend und fluchend, dann wurde ihm übel. Er schloß die Augen und sackte über dem Tisch zusammen.

      Am nächsten Morgen hatte er Schwierigkeiten mit dem Aufstehen. Im ersten Augenblick wußte er weder genau, was passiert, noch wie er nach Hause gekommen war. Sein Kopf brummte, seine Arme taten ihm weh. Die gerötete Haut auf Rücken und Schultern brannte noch immer. Erst, nachdem er sich gewaschen hatte, fiel ihm wieder ein, daß er vorgehabt hatte, Urlaub zu nehmen, um Biene an ihrem Schmuckstand zu vertreten.

      Der Lagerverwalter war selbst am Apparat, als er bei der Fischer KG. anrief. "Das hättest du uns früher sagen müssen, Schwarzkopf," meinte er vorwurfsvoll.

      "Weiß ich doch," antwortete Kalle, "ist auch nur eine Ausnahme. Ein Freund von mir ist ganz plötzlich krank geworden, und ich muß ein paar wichtige Sachen für ihn erledigen. Es ist nur für heute, nur für diesen einen Tag."

      "Tja, warte mal. Wie machen wir denn das am besten. Mmh." Es raschelte, und seine Stimme wurde undeutlich. Kalle stellte sich vor, wie er jetzt, den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, in einem Stoß mit Aufträgen herumblätterte.

      "Also gut, Schwarzkopf," sagte er schließlich, "aber ich muß mich drauf verlassen können, daß du morgen früh wieder pünktlich zur Stelle bist."

      "Klar doch, Mann. Danke."

       Juni 1987

       Klaus war von Anfang an dagegen gewesen, daß ich Dr. Weißgerbers Angebot, als seine Assistentin mit ihm zusammenzuarbeiten, angenommen hatte.

       "Er wird dich ausnutzen," hatte er prophezeit, "Leute wie er nutzen ihr Personal immer aus."

       "Das wird er nicht tun. Du kennst ihn doch gar nicht," verteidigte ich meinen neuen Chef.

       Klaus schüttelte den Kopf. "Dazu muß ich ihn nicht kennen. Überleg doch mal, du hast von Physik keine Ahnung, - jedenfalls weißt du nicht mehr, als das bißchen, das du in der Schule gelernt hast. Wie kannst du dann seine Assistentin sein? Du wirst nichts anderes sein, als seine Schreibmamsell."

       "Das ist nicht wahr! Es ist ein verantwortungvoller Job. Es ist mehr, als nur an der Schreibmaschine zu sitzen und zu tippen. Eine solche Chance bekomme ich nie wieder."

       Er rümpfte die Nase. "Chance? - Daß ich nicht lache!"

       Wir waren auf dem Weg zu Freunden, er hatte mich mit dem Wagen von zu Hause abgeholt. Obwohl ich mich so auf diesen Abend gefreut hatte, ärgerte ich mich nun, weil er es geschafft hatte, mir die Laune zu verderben. Ich schmollte.

       "Verantwortungsvoller Job. Wenn ich so etwas höre," spottete er weiter, ohne den Blick von der Fahrbahn zu wenden. "Du wirst immer und ewig von ihm abhängig sein. Von seiner Arbeitsweise und von seinen Launen."

       Die Enttäuschung trieb mir fast die Tränen in die Augen. Warum sah er alles so negativ, anstatt sich mit mir zu freuen?

       "Ich werde selbständig sein," sagte ich trotzig. "Ich werde ein eigenes kleines Büro haben, das ich mir so einrichten kann, wie ich möchte. Und eines Tages werde ich auch mehr Geld bekommen."

       "Und du wirst ihm seinen Kaffee kochen und servieren und bei Besprechungen seine Doktoren und Professoren bedienen. Vielleicht sogar seinen Aschenbecher und seinen Papierkorb leeren." Ärgerlich drückte er auf die Hupe, weil ein alter Mann nicht schnell genug die Straße überquerte.

       "Na und? Was wäre denn schon dabei?"

       "Glaub ja nicht, daß du dann noch pünktlich Feierabend machen kannst. Denkst du, du könntest auf den Gongschlag nach Hause gehen, wenn der gute Herr Doktor noch zu tun hat? Damit ist jetzt Schluß."

       Er hielt vor einer Ampel, die auf Rot stand. Hinter der Heckscheibe des Wagens vor uns saß ein Hund aus Pappmaché, der mit dem Kopf wackelte.

       "Ich seh's doch bei der Schumann, der Sekretärin unseres Chefs," spann Klaus sein düsteres Szenarium weiter. "Die sitzt manchmal bis abends acht, halb neun im Büro."

       "Das ist doch was anderes."

       "Ach ja?" Klaus griff nach der Marlboro-Schachtel auf der Ablage zwischen uns und zündete sich eine Zigarette an.

       "Du arbeitest in einem Handwerksbetrieb, da warten die Kunden darauf, daß die Arbeit rechtzeitig fertig wird. Bei uns läuft das etwas anders. Was glaubst du, wieviele mich um diesen Job beneiden werden."

       Er lachte trocken. "Klar! Dumme gibt's schließlich immer."

       Nun war ich ernsthaft böse und schaute mit zusammengepreßten Lippen aus dem Fenster.

       "He!" Sein Zeigefinger strich behutsam über meine Wange. "So hab ich's doch gar nicht gemeint. Ich will doch nur dein Bestes, Karin, begreifst du das nicht?"

       Die Ampel schaltete auf Grün. Der Wagen vor uns hatte Startschwierigkeiten und ruckte ein paarmal, dadurch wackelte der Kopf des Hundes wild hin und her, und ich mußte lachen. Klaus mißverstand das. "Wieder Freunde?" fragte er zärtlich.

       Unser Blicke trafen sich. "Aber die Dumme nimmst du zurück."

       "Na schön, es gibt Schlimmere..." Er duckte sich, bevor ich ihm einen Klaps versetzen konnte. "Du As-sis-ten-tin!" betonte er lachend, doch er wurde gleich wieder ernst. "Ich sehe die Dinge nun mal nüchterner als du. Ich mach mir einfach nur Sorgen um dich."

       "Das ist nicht nötig. Dr. Weißgerber ist keiner von denen, die andere ausnutzen, er ist ein sehr netter Chef."

       "Hoffentlich nicht zu nett."

       Ich kicherte, als ich mir ausmalte, wie sich Klaus den Doktor vorstellen mochte: Als einen gutaussehenden älteren Herrn mit graumelierten Schläfen, der seine Assistentin auf den Knien hielt, während er mit ihr die