"Ich hab keine."
"Dann trag's selbst, es würde dir gut stehen."
"Ja, vielleicht..."
"Würde toll aussehen auf deiner braunen Haut..." Für eine Sekunde ruhte ihr Blick auf seinem offenen Hemdkragen, und sie hob die Hand ein wenig, als wollte sie ihn berühren. Sie schien vergessen zu haben, daß Kalle ihr zusah, war gefesselt von ihrem eigenen Spiel. Sie kannte die Wirkung ihrer blauen Augen nur zu genau.
"Na, gut." Der Junge schluckte und zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche. "Zwanzig Mark, sagst du?"
"Ja, nur zwanzig Mark"
Nervös suchte er das Geld zusammen und zählte es ihr in die Hand.
Viola ließ das Kettchen mit dem Kreuz in ein Tütchen gleiten und verschloß es sorgfältig. "Wenn du mal wieder was brauchst..., wir stehen jeden Tag hier," lächelte sie und sah ihm noch einmal in die Augen.
Kalle lachte, als der Junge gegangen war. “Das also ist deine Masche. Du hast ihn regelrecht verführt."
Sie wurde ärgerlich. “Red keinen Unsinn.” Sie zählte das Geld in die Kasse und klappte geräuschvoll den Deckel zu.
“Immerhin hast du das Ding verkauft, alle Achtung. Wenn du mir's noch mal zeigst, so anschaulich wie eben, dann lern ich's vielleicht auch.” Er lachte noch immer. “Los, mach’s noch mal!” drängte er belustigt. “Da kommt schon wieder so ein armer Kerl. Der mit dem dunkelblauen T-Shirt, der wäre doch genau der Richtige.”
“Idiot,” zischte sie wütend, und fortan hielt sie sich nur noch am anderen Ende des Tisches auf und beachtete ihn kaum mehr.
Je höher die Sonne stieg, desto mehr machte ihnen die Glut zu schaffen, die sich in der Häuserschlucht der Kaiserstraße staute. Kalle ließ sich müde auf den Klappstuhl sinken. Durch die Nachwirkungen des Vortages fühlte er sich zerschlagen, und sein Kopf brummte. Außerdem war er durstig, und er langweilte sich. Viola hatte über eine Stunde kein Wort mehr mit ihm geredet.
An Interessenten mangelte es nicht, die meisten Leute wußten genau, was sie wollten und wonach sie suchten. Doch wenn das Geschäft einmal ein wenig nachließ und Viola wieder versuchte, nach bewährter Methode den Passanten ihre Schmuckstücke anzubieten, hielt sie sich so weit von Kalle entfernt, daß er ihr nicht mehr zuhören konnte. Sie hatte erstaunlich viel Erfolg. So mancher Ring oder Armreif, so manches Kettchen wechselte den Besitzer, und immer wieder hörte man den Deckel der Kasse klappen.
Schließlich zupfte Kalle Viola an den langen blonden Haaren, die sie sich mit einem Gummiband im Nacken zusammengebunden hatte. “He, Viola!"
Sie sah sich nach ihm um. "Was ist denn!"
"Ich find's einfach Klasse."
"Was!"
"Wie du das machst. Du bist eine tolle Verkäuferin.” Er sagte das jetzt ohne jeden Spott. “Die Leute können dir einfach nicht widerstehen. Das muß dir erst mal einer nachmachen.”
Im ersten Augenblick wußte sie nicht, wie sie darauf reagieren sollte, dann entschied sie sich, zu lächeln. “Findest du?”
“Ja, wirklich. - Aber komm!” Er zwinkerte ihr zu. “Jetzt sei nicht mehr böse. Laß uns wieder Freunde sein, okay?”
Sie seufzte. “Na gut, in Ordnung. Aber mach’ dich nie wieder über mich lustig.”
Um die Mittagszeit ging Viola kurz ins Kaufhaus hinüber, um einige Besorgungen zu machen. Während dieser Zeit verkaufte Kalle einem kleinen Mädchen einen Schmetterlingsanstecker und einer älteren Frau ein Armband aus kleinen Silberschlaufen. Obwohl er versucht hatte, die Schmuckstücke nach Violas Vorbild anzupreisen, hatte er damit keinen Erfolg. Das kleine Mädchen hatte ganz gezielt und ohne sein Zutun den Schmetterling genommen, und die Frau hatte ihn angestarrt und wie in Trance nach dem Armband gegriffen. Der Blick aus ihren freundlichen dunklen Augen hatte ihn verwirrt, denn wäre sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte er darauf wetten mögen, daß sie die Frau von der Haltestelle war, die er am Tag seiner Ankunft nach der richtigen Bahn gefragt hatte. Ihre Hände hatten ein wenig gezittert, als sie ihm das Geld gegeben und das Tütchen mit dem Armband entgegengenommen hatte. Er schien eine seltsame Wirkung auf ältere Damen zu haben, wunderte er sich.
Als Viola zurückkam und er ihr stolz erzählte, was er verkauft hatte, lobte sie ihn und meinte lachend: "Na prima! Nur schade, daß du schon einen Job hast." Und in ihren blauen Augen funkelten sie wieder, die tausend Spott-Teufelchen.
Kalle ertappte sich immer häufiger dabei, daß er Viola beobachtete und den ausgelegten Schmuck dabei ganz vergaß. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber ihre braungebrannte Haut hob sich reizvoll von dem Flachsblond ihres Haares ab. Ihre Wangen und ihre Nase waren übersät mit winzig kleinen Sommersprossen, und wenn sie lachte, dann lachten auch ihre blauen Augen, und dann mußte man sie einfach mögen. Sie war ein hochgewachsenes kräftiges Mädchen, die weißen Jeans spannten über den Schenkeln, und unter dem ärmellosen ausgeschnittenen Shirt, das sie trug, zeichnete sich ein großer runder Busen ab. Kalle malte sich aus, wie es sein könnte, ihn zu berühren.
Am späten Nachmittag war aus der Ferne leises Donnergrollen zu hören, und dann zog innerhalb kurzer Zeit vom Westen her eine dunkle Wolkenwand auf, die hin und wieder von zuckenden Blitzen erhellt wurde. Viola begann eilig, die Schmuckstücke in den Koffer zurückzulegen. "Eigentlich bleiben wir sonst länger," meinte sie, "aber schau dir das an!" Besorgt blickte sie hinauf zu den grauen Wolken, die allmählich fast den ganzen Himmel bezogen. "Hoffentlich kommt Fredy rechtzeitig, um uns zu holen, damit wir nicht noch naß werden."
Bald war die Sonne ganz verschwunden, und Blitz und Donner kamen aus allen Richtungen. In der Kaiserstraße herrschte hektisches Hin und Her, jeder wollte sich noch schnell in Sicherheit bringen oder sein Ziel erreichen, bevor das Unwetter losging. Wenige Minuten später war es so dunkel, daß Autos und Straßenbahnen die Scheinwerfer einschalten mußten. Ein heftiger Wirbelwind fegte durch die Straße und ließ Papierfetzen in Sand- und Staubwolken tanzen. Ein paar Mädchen hielten kreischend ihre aufflatternden Röcke fest.
Kalle half Viola, die Zeltplanen vom Holzgestell zu entfernen und zusammenzulegen. Sie blähten sich auf wie Segel, und sie hatten Mühe, sie zu halten. Sie schraubten die Holzstangen auseinander und banden sie mit den Lederriemen zusammen, - immer gegen Staub und Wind anblinzelnd.
Als Fredys VW-Bus aus einer Nebenstraße in die Kaiserstraße einbog, fielen die ersten Tropfen. Sie waren groß wie Pfennigstücke und prallten ihnen wie hunderte kleiner Geschosse auf Kopf, Arme und Schultern. Fredy stieg aus, lief geduckt um den Bus herum und öffnete die seitliche Schiebetür. “Beeilt euch!" rief er durch den immer stärker prasselnden Regen und nahm ihnen Koffer, Kasse und die Holzteile ab, um sie im Innern des Autos zu vertauen. “Schnell! Macht, daß ihr einsteigt!"
Naß bis auf die Haut drängte sich Kalle schließlich als Letzter in den Wagen und schloß die Tür hinter sich. Viola prustete und versuchte, sich die Arme an ihren Jeans trockenzureiben. Sie schaute Kalle an und lachte. "Mein Gott, wie du aussiehst."
Kalle wischte sich den Regen aus Stirn und Augen und lachte zurück. "Und du erst."
Sein Blick streifte die nassen Haarsträhnen auf ihren Schultern und blieb dann auf ihrem Busen hängen, der unter dem nassen, nun fast durchsichtigen Shirt so deutlich zu sehen war, als wäre er unbedeckt. Er atmete tief und schaute schnell aus dem Fenster.
Die Kaiserstraße war wie leergefegt, nur in den Eingängen der Läden und unter den Arkaden stauten sich die Passanten, um dort das Ende des Unwetters abzuwarten. Ein paar Schirme tanzten als farbige Flecken über ihren Köpfen.
Fredy fuhr los. Obwohl er die Scheibenwischer auf höchster Stufe laufen ließ, schafften sie es nie ganz, die Scheiben von den Wassermassen zu befreien, die wie aus Kübeln vom Himmel herabstürzten. Es blitzte und donnerte fast gleichzeitig, die Donnerschläge übertönten das laute Geprassel auf dem Wagendach.
"Wo soll ich euch absetzen?" fragte Fredy, ohne den Blick