Timeflyer. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660262
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lachte. "Nein, die bin ich nicht, ich bin Viola. Und wer bist du?"

      "Ich bin der Kalle, ich wohne bei Josch und Biene. Biene ist krank und kann heute nicht kommen. Da dachte ich, vielleicht könnte ich für sie einspringen und euch an ihrer Stelle ein bißchen helfen.”

      Sie musterte ihn amüsiert. "Hast du denn eine Ahnung vom Verkaufen?"

      "Bis jetzt nicht, aber sicher kann ich's lernen. Du wirst mir schon zeigen, wie man das macht.”

      Viola lachte wieder, und in ihren blauen Augen tanzten tausend Teufelchen. Dann wurde sie ernst. "Ich habe gehört, daß Biene wieder umgefallen ist. Wie geht’s ihr denn?”

      Kalle hob die Schultern. “Josch meint, es läge daran, daß sie zu wenig ißt.”

      “So ein Unsinn, das ist es bestimmt nicht.”

      Der junge Mann hatte sich aufgerichtet und kam nun zu ihnen herüber. "Du bist also Joschs neuer Untermieter!” Er betrachtete Kalle mit unverholener Neugier vom Kopf bis zu den Füßen. “Du siehst gar nicht so aus.”

      “So? Wie müßte ich deiner Meinung nach denn aussehen?”

      Der junge Mann ging nicht auf seine Frage ein, sondern reichte ihm stattdessen die Hand. "Ich bin Fredy,” stellte er sich vor, “sozusagen der Manager dieser Truppe.” Er ignorierte Violas Räuspern, machte eine umfassende Handbewegung und erklärte: "Naja, ich kümmere mich halt um alles. Angefangen vom Materialeinkauf bis hin zur Buchführung. Und außerdem bin ich noch Fahrer, Monteur, Handlanger und überall dort zur Stelle, wo es Probleme gibt.”

      "Ja, ja," spottete Viola, die eben eine Handvoll Armbänder aus dem Köfferchen genommen hatte und sie nun, eines neben das andere, auf ein zweites Samtpolster legte. "Wenn wir dich nicht hätten!"

      Ärgerlich wandte sich Fredy wieder ab und kümmerte sich um das nächste Tischbein.

      Kalle sah Viola eine Weile zu. "Ich wußte nicht, daß ich dich hier treffen würde,” erklärte er. “Biene sprach von Barbara. Kommt sie später?”

      "Nein, du mußt schon mit mir vorlieb nehmen," antwortete das Mädchen, ohne ihre Beschäftigung zu unterbrechen. "Wir haben getauscht. Heute ist Barbara am Bahnhof, wo ich normalerweise mit Fritz zusammenarbeite. Weil der aber mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus liegt, ist unser Allround-Talent Fredy für ihn eingesprungen." Mit einem Zwinkern sah sie sich nach dem bärtigen jungen Mann um. “Nun ist Biene aber auch noch ausgefallen, deshalb mußten wir ein weiteres Mal umdisponieren. Also sind jetzt Fredy und Barbara am Bahnhof, und ich... Lieber Himmel, warum erzähle ich dir das alles. Kurz gesagt, wenn du Lust hast, mir zu helfen, bist du herzlich willkommen. Dann kann sich Fredy ganz beruhigt in den Bahnhof zurückziehen.” Und mit verschmitztem Lachen fügte sie hinzu: “Wir haben ja nicht damit gerechnet, daß uns Biene eine tüchtige Vertretung schickt.”

      Fredy rutschte zum nächsten Tischbein hinüber. "Barbara wäre allein hier in der Kaiserstraße total überfordert gewesen,” meinte er. “Sie ist viel zu langsam. Und auch viel zu ängstlich.”

      Kalle zwinkerte Viola zu. "Aber du hättest das auch alleine geschafft, was?”

      "Ja, ganz recht, ich hätte es auch alleine geschafft,” antwortete sie. "Ich hab nämlich vor nichts Angst! - Das hast du doch hören wollen, oder? Aber da ich jetzt dich an meiner Seite habe, kann mir ja gar nichts mehr passieren.”

      Kalle lachte.

      Fredy prüfte noch einmal die Standfestigkeit des Holzgerüstes. Er griff sich den leeren Pappkarton, in dem die Planen aufbewahrt gewesen waren, schob ihn in den Bus und rollte die seitliche Tür zu. "Ich komme zur üblichen Zeit und hole dich ab,” sagte er zu Viola, und mit einem kritischen Blick zum blauen Himmel fügte er hinzu: “Es sei denn, das Wetter hält sich nicht, dann komme ich früher."

      Bevor er in den Bus stieg, blieb er noch einmal stehen und fragte Kalle: “Wie gefällt's dir eigentlich bei Josch und Biene?"

      Kalle wußte nicht, was er darauf antworten sollte und hob ausweichend die Schultern. Fredy grinste und winkte ab. "Du brauchst mir nichts zu erzählen, ich weiß bescheid. Ein Drei-Sterne-Hotel ist’s nicht gerade, stimmt's?"

      "Naja," brummte Kalle, "für den Anfang bin ich froh..."

      Fredy nickte. "Aber auf die Dauer! Du siehtst nicht gerade so aus wie die Typen, die er sonst beherbergt. Vielleicht findet sich was anderes. Wenn du willst, werd’ ich mich mal umhören. Und du kennst doch auch genügend Leute, Viola, oder?”

      Als Fredy fort war, half Kalle dem Mädchen, die letzten Schmuckstücke aus dem Koffer zu nehmen und auf den Samt zu legen. Einer der Anhänger gefiel ihm besonders gut. Er hielt ihn auf seiner flachen Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Ihm gefiel es, wie der kleine rote Stein in der Mitte von drei ineinander verschlungenen schmalen Silberbändchen gehalten wurde.

      “Der ist ja fantastisch!” Einen Augenblick lang überlegte er, ob das vielleicht ein Geschenk für seine Mutter sein könnte, doch da sie erst im Dezember Geburtstag hatte, legte er ihn wieder auf das Polster zurück. “Ist der von Dir? Hast du ihn gemacht?” fragte er Viola. Sie sah flüchtig herüber. “Den? - Ja, der ist mein Werk. Gefällt er dir?"

      “Er ist sehr hübsch. Wie machst du das bloß. Das ist doch sicher gar nicht so einfach."

      "Ich hab mal eine Lehre als Goldschmiedin angefangen. Damals wohnten wir noch in Pforzheim."

      "Und warum hast du nicht weitergemacht? Du hast doch Talent."

      Sie zuckte die Schultern. "Das hatte viele Gründe." Sie wandte sich von ihm ab und gab ihm damit zu verstehen, daß sie nicht darüber reden wollte.

      "Vielleicht solltest du mir zunächst erklären, wie so ein Tag bei euch abläuft,” wechselte er das Thema. “Was soll ich tun? Aufpassen kann ich eigentlich ganz gut, darin bin ich Spitze.” witzelte er. “Solltest du allerdings erwarten, daß ich auch etwas verkaufe, dann weiß ich, ehrlich gesagt, nicht so genau, ob ich das schaffe.”

      Viola stellte zwei kleine Klappstühle auf und schob einen davon zu Kalle herüber. “Es reicht, wenn du aufpaßt. Der Stand ist ein bißchen unübersichtlich, und wenn man sich mit einem Kunden beschäftigt, könnte schon mal ein Langfinger seine Chance wittern und zugreifen. Solltest du allerdings doch einmal Lust verspüren, etwas an den Mann zu bringen, dann tu’ dir keinen Zwang an. Schau einfach zu, wie ich es mache. Aber das hat noch Zeit, noch ist die Straße ja fast leer. Es wird eine Weile dauern, bis richtig was los ist.”

      Viola hatte recht, die Kaiserstraße war tatsächlich noch fast menschenleer. Doch kaum hatten die Kaufhäuser ihre Pforten geöffnet, änderte sich das Bild jäh. Die ersten Passanten blieben interessiert stehen, steckten sich die Ringe an die Finger, streiften die Armbänder ans Handgelenk und hielten sich vor dem kleinen Spiegel die Broschen an die Bluse. Nun verstand Kalle Violas Sorgen und ahnte, wie leicht jemand unbemerkt etwas verschwinden lassen konnte. Deshalb hielt er die Augen offen und achtete darauf, daß alles mit rechten Dingen zuging.

      "Wenn du willst, sprich die Leute einfach an," riet ihm Viola, "sie beißen nicht. Aber sei niemals aufdringlich und versuche keine Tricks. Wenn sie nicht wollen, dann eben nicht. Du mußt immer so tun, als hätten wir's gar nicht nötig, etwas zu verkaufen. - Paß einfach auf, wie ich es mache.” Sie nahm eines der Kettchen mit einem silbernen Kreuz, lief hinter dem Verkaufstisch hervor mitten unter die Passanten und hielt es einem jungen Mann hin. "Schau her, wie gefällt dir das?" fragte sie ihn, und ihre blauen Augen blitzten. Kalle mußte lachen, auf dieselbe Art hatte sie es am Bahnhof auch bei ihm versucht. Doch anstatt mit den Schultern zu zucken und weiterzugehen, wie er es getan hatte, blieb der Junge verlegen stehen. "Hübsch," sagte er und erwiderte verwirrt ihren Blick.

      "Woher willst du das wissen, du siehst es ja gar nicht an."

      Er wurde rot und sah auf das Kreuz hinunter. "Auch hübsch," stotterte er.

      "Wenn du willst, kannst du's haben. Es kostet nur zwanzig Mark."

      Er schaute ihr wieder in die Augen. "Nur zwanzig Mark?"

      Sie