DIE HAVARIE. Klaus J. Hennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus J. Hennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844239164
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ob Junge oder Mädchen - etwa Zwillinge? - waren Frau und Kind gesund, erfuhr er natürlich nicht. Diese Hebammen hatten es mächtig mit ihren keltischen Druiden. Nach denen lebten die Geister der Ungeborenen im Wasser, noch Tage nach der Niederkunft brauchte die Wöchnerin und das Neugeborene magischen Schutz vor Mächten, von denen er keine Ahnung hätte, den nur sie bieten konnten. Bescheuerte Weiber.

      Schon Tage vor Rom war er kaum noch allein auf der Straße gewesen. Reise- und Lastwagen, Mulis oder Ochsen davor, Reiter und Fußgänger wie er. Immer öfter hatte es einen gegeben, der seinen Schritt eine Zeitlang mithalten konnte, aber zu längeren Gesprächen war es nur mit denen gekommen, die ihren Marschschritt in einer Legion gelernt hatten. In aller Regel waren sie dann auch keine Grünschnäbel mehr und hatten etwas von der Welt gesehen. Wie er schließlich auch.

      In Rom hatten sie ihn dann etwas mitleidig angesehen, als er sich nach einer Straße nach Ostia erkundigte. Dorthin fahre man besser auf einem Tiberkahn, flußabwärts wären sie fast immer leer, und mit den Schiffern sei zu handeln.

      Auf dem Vordeck sitzend, den Reisesack neben seinen Füßen, atmete er leichter, als er diese Häuser- und Menschenmassen hinter sich zurückbleiben und nach einigen Flußbiegungen endgültig verschwinden sah. Die Schiffsleute hatten wenig Arbeit stromabwärts. Zwei setzten sich zu ihm, neugierig, auch ihr Wein war nicht schlecht. Judäer, sprachen untereinander anders als die, die er in Trier gekannt hatte. Harte Schwielenhände. Die Halskrankheit – Tullius probierte eine fast vergessene Begrüßung und löste Freude aus. Sie kannten die Aquilaeischen Ziegeleien, doch von Ostia kaum mehr als die Piers, die Lagerhäuser und ihren Tempel vor der Stadtmauer an der Küste. Die Villa eines Aelius Aquila kannten sie nicht. Den Sommerpalast des Claudius natürlich, der war ja groß genug, aber von diesem Kaiser hielten sie immer noch nichts. Zu rüde sei der mit ihnen umgesprungen, nicht bösartig, nein, nur meschugge sei er gewesen, meinte der andere. Er habe nicht mit sich reden lassen wollen, damals, vor zwölf, dreizehn Jahren, als er alle unsere Leute aus der Stadt treiben ließ. Schuld daran waren natürlich wieder die Griechen, Gott soll sie strafen, aber wer habe es wieder ausbaden müssen? Sollte man es sich etwa gefallen lassen, daß sie einem Schweineohren an die Synagogentüren nagelten?

      Tullius wollte weder wissen, was den Griechen daraufhin passiert war, noch, worüber der Kaiser nicht mit sich reden ließ. Claudius war seit sechs Jahren tot, die Rede war von einem Pilzgericht, und Tullius hoffte sehr, daß sein Senator noch am Leben war, über den in Rom eine Auskunft zu bekommen sich so unerwartet schwierig gezeigt hatte. Das Aquilaeische Stadtpalais, als er es endlich gefunden hatte, war schon vor Jahren verkauft worden, öffentlich versteigert, wie ein älterer Sklave wissen wollte, der ihm nach längerem Klopfen die Tür einen Fußbreit geöffnet hatte. Er sei damals mit einigen anderen Haussklaven vom neuen Besitzer übernommen worden, der junge Senator habe jedoch nicht verhindern können, daß viele von ihnen in andere Häuser gelangten, der junge Herr habe andere Sorgen gehabt damals, aus dem Senat und den Ämtern auszuscheiden, das sei eben nicht so einfach wie einen Becher Wasser auszugießen. Ja gewiß, den jungen Aquila meine er, den Lucius Aelius Aquila, die alten Herrschaften waren da ja schon lange tot, nein, keine Ahnung, wo der junge Herr sich jetzt aufhielte. Tullius hatte sich nach diesem Gespräch zu erinnern versucht - sein Vater war, wie man auf der Ziegelei immer gewußt haben wollte, an dem Tag freigelassen worden, an dem der junge Aquila zu seinem achtzehnten Geburtstag die Toga virilis nahm; alle hatten sie das zu feiern gehabt. Er war noch nicht geboren damals, habe seiner Mutter aber schon bösartig in die Kaldaunen getreten, von innen. Also war der junge Herr heute an die Sechzig und möglicherweise noch am Leben.

      Vor der Kurie hatte er nach längerem Zögern einen der blasierten Bürohengste angesprochen, die dort im Schatten zwischen den Säulen herumlungerten, und im Handumdrehen war unter den Senatsschreibern ein Streit aufgekommen. Eine Mehrzahl war der Meinung, daß, logischerweise, der jüngere Aquila damals nach seinem Abgang hier vom Forum auf Dauer nach Bajae übersiedelt sein müßte, die Nähe zu seinem Landgut in Campanien sei zweifellos das beste Argument dafür. Von irgendwelchen Ziegeleien am oberen Tiber hatte niemand etwas gehört.

      Die Prätorianer der Senatswache, sehr erhaben über den Zank von Schreibersklaven, hatten sich an ihren Spießen festgehalten und ihre Blicke über das Gewimmel auf dem alten Versammlungsplatz mit der Rednertribüne hinweg auf die julianische Basilika, auf Saturns und Concordias Tempel gerichtet. Sie schienen im Stehen zu schlafen, mit offenen Augen wie die Hasen. Tullius konnte das auch, hatte es vor vielen Jahren gelernt.

      Ein Älterer winkte ihn, als er gehen wollte, zu sich heran. An dem angeblichen Bankrott des Aelius Aquila sei seinerzeit etwas faul gewesen; das kam halblaut aus dem Mundwinkel. Eine Handvoll Senatoren wären damals wegen offen erklärter Mittellosigkeit aus dem Senat ausgeschieden, vom Kaiser auf das Höchste belobt deshalb, und einige mehr habe Claudius wütend rausgeschmissen, weil die ihre Pleiten zu verheimlichen gesucht hatten. Allerdings - im Fall des Aquila seien damals sonderbare Gerüchte aufgekommen, der allzu hastigen Versteigerung seines Stadthauses wegen. Weit unter Wert sei es weggegangen. Irgend etwas sei faul daran gewesen, mehr könne er nicht sagen. Ihm, einem altem Soldaten - ja, ja, dafür habe man einen Blick - würde er gewiß nichts verheimlichen, wenn er verdammt nur mehr darüber wüßte! In der City herumzufragen, hielte er allerdings, schließlich Römer von Geburt, für völlig aussichtslos; da müsse einer schon selber Bankier sein und selbst dann ... Auch an die alten Aristos käme niemand heran, schon gar nicht mit derartigen Fragen nach dem Verbleib eines der ihren, zu viele schon seien über den Styx gegangen, die sähen in jedem einen Spitzel des ... Er unterbrach sich mit einem bedeutungsvollen Blick auf das Tabularium, das alte, hoch hinter dem Concordia Tempel aufragende Archivgebäude. In Rom jedenfalls höre man den Namen Aquila schon lange nicht mehr. Aber, der Graukopf winkte ihn näher zu sich, um seine Stimme noch weiter senken zu können, also wenn einer wirklich zu verschwinden beabsichtige aus Rom, und er betone ausdrücklich das Wort verschwinden, dann ginge so einer doch niemals nach Bajae, wo im Sommer nun wirklich alles herumvögelte, was in Rom einen Namen zu haben glaubte. Worauf er hinaus wolle sei dies: Claudius, ein guter Kaiser, und das meine nicht nur er, da er sei sich mit seinen Kameraden einig, also der Claudius habe seinerzeit ein heftiges Faible für Ostia gezeigt, nicht nur des neuen Hafens wegen, mit dem er gewissermaßen den Plan des großen Caesar zu vollenden trachtete. Ein anzügliches Zwinkern, das Tullius eindeutig nicht auf den großen Cäsar bezog. Das war vertrauter Boden, im Gegensatz zu dem beunruhigenden, nur mimisch erfolgten Hinweis auf das Tabulariumsgebäude. Jedenfalls sei er selbst, so wahr er hier noch Wache schöbe, in seinem Alter und mit diesen Rückenschmerzen, sei er damals zu einer der Personenschutzkohorten detachiert gewesen und habe in Claudius' Gefolge den Weg nach Ostia ein gutes Dutzendmal unter den Füßen gehabt, und damals sei anfänglich auch der jüngere Aquila, der da jedenfalls mit dem Kaiser auf freundschaftlichem Fuß gestanden hatte, wie man so sagt, und der da auch selbst irgend etwas laufen gehabt hatte, geschäftlich vielleicht oder auch so etwas wie der Kaiser, wer weiß, der jüngere Aquila sei jedenfalls damals des öfteren ganz gerne dabeigewesen. Wenn er selbst also, aus welchen Gründen auch immer, nach dem jüngeren Aquila zu suchen hätte, er würde damit in Ostia anfangen und nirgendwo anders. Dann war er wieder zur Statue eines alten Prätorianers geworden, die er vorher auch schon gewesen, erhaben, blicklos und stumm.

      Am linken Ufer wurde eine Nekropole sichtbar, dann eine gut befestigte, massiv aufgeführte Toranlage mit einem Aquädukt dahinter - Ostia. Auf den Kais wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen auf dem der Specht hockt. Rechts vom Tiber Claudius' neuer Hafen, weitläufig in flaches Land gelegt und kaum ausreichend Schutz vor einem plötzlichen Seesturm zeigend. Die Masten standen dicht wie Waldbäume, Tullius sah kaum Himmelsblau zwischen ihnen. Wie Arme bogen sich die neuen Molen zu dem stufigen Turm hinaus, auf dessen oberster Plattform nachts das Feuer brannte. Leicht hinkend, ging er steifbeinig durch die fuchtelnden, zeternden Orientalen über die Piers. Doppelstreifen aus der Feuerwehrkaserne standen an jeder Ecke, Speer und Schild eng am Körper, den Blick auf niemand gerichtet. Seinem Auge waren sie wohlgefällig, es war dies auch sein Leben gewesen, in ihnen fand er sich wieder. Doch war es an der Mosel ruhiger zugegangen, gemessener, dort wußten sie, was sie an ihren Römern hatten, benahmen sich entsprechend. Nicht alle natürlich. Aber hier? Floß durch dieses Ostia noch der Tiber, nicht schon der Orontes?

      VII

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