»Da sind Sie ja noch. Gut. Entschuldigen Sie bitte, ich hatte etwas vergessen. Nur noch eine Frage – nein, nein, laß alles stecken, das ist nicht für's Protokoll. Du kannst schon gehen.«
Er beugte sich vor, über den Tisch, dem Malteser zu.
»Ist eigentlich eher privates Interesse, wenn Sie verstehen. Malta, das ist doch der offizielle Name Ihrer Insel – aber gibt's da nicht noch andere?«
»Nein, wir sind doch mal römisch seit...«
»Seit die Karthager rausgeworfen wurden, ich weiß. Das liegt lange zurück, schon seit ... egal. Ist schon Geschichte. Nein, was ich meine ist, sprechen alle dort Latein? Keine Barbarendialekte oder so was? Wo der Inselname sich ganz anders anhört? Nein?«
»Nein, ich weiß nicht – in den Häfen reden natürlich alle durcheinander. Kann sich mal keiner merken, die ganzen Sprachen da. Ja, gut, die Griechen sagen mal Melite zu Malta, das ist wahr. Aber sonst...«
»Melite? Was soll denn das wieder heißen?«
Tullius' Stirn zog sich in Falten. Die des Salzhändlers auch.
»Biene - glaub ich mal.«
Der Schreiber war stehen geblieben. Neugierig wie alle diese Schwuchteln. Quatschte jetzt auch noch dazwischen.
»Melite heißt Biene - auf griechisch.«
Und zum Salzhändler.
»Ihr habt doch Bienen auf eurer Insel? Die mußten ja wohl nicht rüber schwimmen?«
Breites Maltesergrinsen.
»Na wo kriegt denn Ihr hier mal Euren Honig her? Doch nich vom Mond! Wieviel brauchen Sie? Sie bestellen, und ich werde liefern! Auch Bettfedern? Rasiermesser? Sandalen? Ich mache nicht bloß in Salz, steh' doch nicht nur auf einem Bein! Honig von Malta is mal was Besonderes. Sagen alle.«
In Tullius' Bein zuckte es wieder. Vorsichtig lüftete er die rechte Arschbacke, um die Durchblutung zu befördern.
»Also die Griechen kaufen Honig bei euch?«
»Die nehmen mal alles, was sie kriegen können. Wollen nur nichts bezahlen, die quietschen vor Geiz. Stimmt aber, zu Malta sagen die Melite, wegen unserm Honig. Was die von Alexandria sagen, wüßt' ich im Moment mal nich. Aber die Griechen sagen Melite, die meisten jedenfalls. Außerdem...«
»Was denn noch?«
»Ich glaub, meine Stadt hieß früher auch so ähnlich wie Melite. Mdina-Rabat. Die Hauptstadt von Malta. Ganz früher, meine ich. Wo die Phöniker sie gegründet hatten. Hat mal einer gesagt, der alte Bücher hatte, einer bei uns.«
Tullius konnte jetzt aufstehen, und er tat es. Steif. Hoffte, daß es als würdevoll rüberkäme.
»Danke, danke. Hat mich nur privat interessiert. Sagte ich schon. Vielen Dank und entschuldigen Sie, daß es mir nicht gleich eingefallen war. Man wird älter. Kommen Sie, ich geh' mit Ihnen nach unten. Muß was essen.«
Auf der Treppe fragte Tullius noch nach dem Herbstwetter auf Malta.
»Sturm? Regen? Kälte?«
»Ach was! Schönste Jahreszeit! Wunderschön, besonders abends. Sitzen die Leute vor der Tür. Müssen mal kommen, trinken wir mal einen zusammen!«
Sein schnell wieder argwöhnisch gewordener Blick fand in diesem Salzhändlergesicht jedoch nur offene Herzlichkeit, weder Spottlust noch Ironie. Der meinte das wirklich so. Vielleicht war dieses Malta eine kleine Reise wert? Besser wäre natürlich ein offizieller Lokaltermin. Spesenmäßig besser. Mal sehen, ob sich da nicht was machen läßt, mal sehen.
VIII
Der tote Briefkasten war derzeit eine Höhlung unter einer Bodenplatte des Grabmals eines Munnius, der sich schon vor drei oder vier Generationen zu seinen Vätern versammelt hatte. Brennesseln wucherten zu beachtlicher Höhe und hielten die Reisenden davon ab sich hier zu erleichtern. Näher an der Straße mußte man aufpassen wo man seinen Fuß hinsetzte und Zartbesaitete hielten sich die Nase zu. Dieser Teil der Nekropole vor der Porta Romana konnte von der belebten Straße aus nicht eingesehen werden, und Philippos hatte dem Vorschlag amüsiert zugestimmt, den Nachrichtenaustausch mit dem Tabularium ausgerechnet hier vorzunehmen. Philippos war Arzt im Haus der heutigen Munnius, immer noch crème de la crème der Importeure und Reeder in Ostia. Diesmal hatten sie wissen wollen wer da neu ins Seeamt gekommen war, in wie gearteten Beziehungen der zu wem stünde, so das übliche für ein erstes Dossier.
Bald darauf hatte er den Griffel im Seeamt plaziert, einen verschlagenen griechischen Gemeindesklaven aus dem neuen Hafen, der seinen Namen wegen seines überaus schlanken Penis bekommen und freudige Erleichterung gezeigt hatte, von den salzigen Matrosenärschen wegzukommen und sich den Friseur in der Forumstherme leisten zu können. Auf dem Seeamt hatten sie genügend Schreiber, es war relativ kostspielig gewesen, diesen Griechen dort unterzubringen. Aber selbst Beamte des höheren Dienstes sind manchmal knapp bei Kasse ... Mit Unbehagen dachte Philippos an die Auseinandersetzungen mit seinen zwei OBEs, von denen er sich seine Auslagen erstatten lassen mußte. Die taten immer so als ob sie selbst das Geld auf Galeeren verdienen mußten, dabei hatte die Behörde alle Quellen des I.R. zur Verfügung, saß am Forum Romanum direkt neben dem Saturnustempel wo der Staatsschatz lagerte.
Doch für Informationen über D. Aelius Tullius war er nicht nur auf den Griffel angewiesen, denn dieses Ostia war ein einziges großes Quatschnest. Auf dem Forum und besonders bei den maritimen Corporationen hinter dem Theater galt der neue Sachbearbeiter des Kaiserlichen Seeamtes als ein wenig bemerkenswerter, mäßig befähigter, älterer Beamter, der in Gallien oder Germanien seine Zeit beim Militär abgesessen hatte und dessen juristische wie nautische Kenntnisse zu unbedeutend waren, als daß sie ihm den Haarausfall eingebracht haben könnten, unter dem er offensichtlich zu leiden begann. Von einer Wesensart wie Land und Wetter der Batavier, sagten einige, die sich da auskannten, also irgendwie grau und unzugänglich, kalt. Ältere nannten ihn einen 'verkehrten Claudius', weil er, anders als der vorige Kaiser, nicht selbst bei seinen Amtshandlungen einschlief, sondern die Beteiligten gähnen machte.
Einiges erfuhr er auch von den Albinozwillingen, den Haussklaven des Ex-Senators. Einige Tage, nachdem dieser ausgemusterte Feldwebel erstmals frühmorgens zur üblichen Klientelstunde in der Villa am Meer erschienen war, hatte L. Aelius Aquila mit einigen Bekannten zu Abend gegessen. Niemand von außerhalb, aus Rom etwa, ausschließlich hiesige Hautevolee. Philippos kannte sie alle, kannte ihre Wehwehchen, denn sein Eigentümer lieh ihn bei Bedarf an Familien seines Standes aus, so wie man es auch mit einem Sklaven zu tun pflegte, der ein besonders guter Koch war.
Die Aquilaeische war bei weitem nicht die ausladenste in der Reihe der Villen, die sich südlich der Tibermündung am Meer hinzog, aber ihre Proportionen, ihre Ausstattung konnten einem das Wasser im Maul zusammenlaufen lassen. Der zur Straße gewandte Trakt war zweistöckig, von seinen Enden zogen sich die beiden Seitenflügel westlich gegen das Meer hin. Der Eingang von der Straße war schmucklos, abweisend fast. Zwei Halbsäulen unter einem nur angedeuteten Portikus. Doch schon das Atrium war in pompejanischem Rot gehalten, in hellem Grau und Weiß die Grisaillen. Stelzvögel und Wasserpflanzen, Kraniche, Reiher. Die Bodenmosaiken in schlichten, schwarz-grau-weißen, geometrischen Ornamenten, zu den Wänden hin in ein raffiniertes Blau übergehend. Vom Triclinium aus konnte man, in Gesprächspausen beim Essen, hinter dem Peristyl das Meer hören. Wenige Skulpturen, die aber von erlesener Qualität. Eine Diana zeigte den schönsten Bronzearsch, der jemals einem Griechen gelungen war. Die Penaten dagegen primitiv, barbarisch, wie aus grauer Vorzeit. Uralter Familienbesitz sicherlich. Das Mosaik des Wasserbeckens nahm das Atriumsmotiv auf, variierte es in blau und grün. Im Südflügel die Bibliothek, viermal so groß wie der Schlafraum daneben. Das Ganze aber von einer Intimität, einer Atmosphäre, von der man nur träumen konnte.
An besagtem frühen Morgen war Tullius der einzige Besucher und dem Ex-Senator zu dieser Zeit noch völlig unbekannt. Die Zwillinge hatten anfangs versucht,