Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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dass die Hauptakteure seiner Träume seinen Bekanntschaften vom Vortag ähnelten.

      Fast hätte er sich davon überzeugen können, dass der vergangene Tag ein Tag wie jeder andere und nicht der schlimmste Tag seines Lebens gewesen war. Diese unendliche Peinlichkeit! Allein die Erinnerung daran trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht. Er konnte nur beten, dass keiner, den er kannte, je davon erfuhr.

      Ein greller Lichtstrahl ließ ihn zusammenzucken. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er im nächsten Augenblick platzen. Wie gut, dass er wenigstens nicht fahren musste!

      Peter hatte morgens den ersten Flug genommen und versucht, die irritierten Blicke zu ignorieren. Die Sicherheitsbeamten hatten ihn sehr sorgfältig beobachtet und Peter war erst nach ein paar Minuten klar geworden, dass sie ihn für einen Kriminellen gehalten hatten. Doch zum Glück hatten sie sich aufs Beobachten beschränkt und ihn und sein Gepäck nicht genauer unter die Lupe genommen. Nur das Durchleuchten war etwas heikel gewesen, aber zum Glück hatte er es mit einer Frau zu tun gehabt, die ihn nun, dank eines kleinen Missverständnisses, für einen liebevollen Familienvater hielt anstatt für einen Schwerverbrecher und ihm heimlich geholfen hatte.

      Im Flugzeug hatte er dann endlich seine Ruhe gehabt. Die erste Klasse war fast leer gewesen und keiner hatte versucht, ihn in irgendwelche Gespräche zu verwickeln, oder mitfühlende oder spöttische Bemerkungen gemacht. Er war es leid, immer wieder erklären zu müssen, wie er zu seinen Verletzungen gekommen war.

      Am Nachmittag war er dann endlich gelandet und irgendjemand hatte ihm einen Wagen mit Chauffeur geschickt. Peter verzog das Gesicht, als er an die hämische Miene des Chauffeurs dachte. Aber der Mann wusste, dass gehässige Worte ihn den Job kosten würden, und so hatte Peter wenigstens vor ihm seine Ruhe.

      Ein leises Rascheln ließ ihn nach seiner Sporttasche gucken, die neben ihm auf dem Sitz stand. Aber er hatte sich geirrt, das Geräusch kam nicht von ihr, sondern von der Zeitschrift, die zu Boden gerutscht war. Peter ließ sie, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, auf dem Boden liegen. Das Bücken fiel ihm immer noch schwer und das würde wohl in den nächsten Tagen auch noch so bleiben.

      Müde sah Peter aus dem Wagenfenster, als das große Haus, in dem seine Familie schon seit Generationen lebte, in Sicht kam. Endlich zu Hause!

      Ungeduldig wartete er darauf, dass der Wagen hielt. Der Fahrer stellte den Motor ab und stieg aus. Dabei ließ er sich Zeit und Peter ertappte sich bei dem Gedanken, dass der Mann es nicht gewagt hätte, bei einem anderen aus seiner Familie so zu trödeln, aber Peter war bekanntermaßen auch der Einzige, der sich nie beschwerte. Peter wusste, dass es ihm manchmal an Durchsetzungskraft mangelte. Er war zwar ein guter Schlichter, aber ein schlechter Befehlshaber. Um Befehle zu geben, fehlte ihm einfach die nötige Autorität. Oder der nötige Wille, wenn er ehrlich war.

      Natürlich kam sein Fahrer auch nicht auf den Gedanken, ihm aus dem Wagen zu helfen. Er quälte sich mühsam aus dem Sitz, richtete sich langsam auf und schnappte sich seine Tasche. Selbst wenn der Fahrer angeboten hätte, sie zu tragen, diese Tasche hätte er ihm nie im Leben überlassen. Dafür war ihm ihr Inhalt zu wertvoll.

      Dubois, ein alter Freund und Ratgeber seines Großvaters, begrüßte ihn. Kritisch musterte er Peter und ihm entgingen weder die Kratzer noch sein steifer Gang. Doch er wartete, bis der Fahrer nicht mehr in Hörweite war, bevor er den Mund aufmachte. „Nun, Junge, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast dich geprügelt“, meinte er, „aber das würde ich eher deinen Brüdern zutrauen als dir. Was war los? Musstest du die gegnerischen Parteien mit Gewalt wieder zur Vernunft bringen?“

      Peter schüttelte den Kopf und seufzte. „Nein, das war nicht nötig. Die Verhandlungen waren zwar schwierig, aber nicht so schwierig. Ein bedauerliches Missverständnis war die Ursache“, erwiderte er ausweichend und hoffte, Dubois würde es dabei belassen.

      „Schönes Missverständnis! Aber andererseits, was will man von einer Nation, in der fast jeder eine Waffe besitzt, auch anderes erwarten! Du hast wahrscheinlich noch Glück gehabt, dass du nicht angeschossen worden bist!“, wetterte er. „Ich habe dir doch gesagt, dass New York ein gefährliches Pflaster ist und dass du auf jeden Fall Bodyguards mitnehmen sollst, aber nein, der Herr hört ja nicht auf mich! Wenigstens deinem Großvater hätte dies bewusst sein sollen!“

      Bodyguards? Widerwillig schüttelte Peter den Kopf. Er mochte es nicht, jederzeit von fremden Menschen beobachtet zu werden, und er sah nicht ein, wozu sie nötig sein sollten. Wer würde ihn denn schon entführen, um ein Lösegeld von seiner Familie zu erpressen? Dubois und sein Großvater waren zwar anderer Ansicht, aber wenigstens hatte sein Großvater nachgegeben, was Reisen nach Amerika und Asien anging. Nun wurde er nur noch in Europa von Bodyguards verfolgt. Was Peter zum Anlass nahm, so viel Zeit wie möglich auf anderen Kontinenten zu verbringen.

      Dubois schimpfte immer noch auf Amerika und seinen Starrsinn, als Peter, der seine Hetztiraden leid wurde, einwarf: „Was gibt es hier Neues? Wie geht es Großvater und meinen Geschwistern? Gestern war doch der Empfang, nicht wahr?“

      Dubois verstummte abrupt. Sie näherten sich dem Korridor, der zum Arbeitszimmer seines Großvaters führte, aber Dubois antwortete immer noch nicht. Peter fühlte Angst in sich aufsteigen. Irgendetwas Schreckliches musste passiert sein! Hatte es etwa einen Unfall gegeben?

      „Onkel, was ist los?“, erkundigte er sich besorgt. „Wenn etwas nicht stimmt, dann musst du mir das sagen! Bitte, lass mich nicht im Ungewissen!“

      Dubois, der zwar nicht sein richtiger Onkel, aber sein Pate war, schüttelte den Kopf. Er setzte zu einer Erklärung an, überlegte es sich anders und schloss wieder den Mund. Schließlich seufzte er, als er Peters ängstliches Gesicht sah.

      „Besser, dein Großvater erklärt dir alles“, meinte er. „Nur so viel: Es hat eine Reihe unangenehmer Zwischenfälle gegeben. Es ist zwar niemand ernstlich zu Schaden gekommen, aber deinen Großvater haben sie doch sehr mitgenommen. Du darfst ihn jetzt auf keinen Fall aufregen oder ihm Scherereien machen!“ Doch dann wurde sein Gesicht weicher. „Doch wem erzähl ich das. Du würdest doch niemals Scherereien machen oder dich und die Familie in Verlegenheit bringen.“

      Peter dachte schuldbewusst an New York und die alte Dame. Sie durften niemals erfahren, was vorgefallen war! Er war froh, dass Dubois gerade an die Tür seines Großvaters klopfte und so seine brennenden Wangen nicht sehen konnte. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollten sie von diesem Vorfall erfahren! Flüchtig dachte er auch an den jungen Hotelangestellten und an seinen zärtlichen Kuss und spürte, wie er dunkelrot anlief. Schnell verdrängte er den Gedanken wieder. Er mochte sich kaum vorstellen, wie sein Großvater darauf reagieren würde, sollte er je davon erfahren. Er würde ihm nie wieder in die Augen sehen können.

      Dubois riss ihn aus seinen Grübeleien und bedeutete ihm einzutreten. Danach schloss er leise die Tür und Peter war mit seinem Großvater allein in seinem Arbeitszimmer. Peter beobachtete, wie er die Zeitung, in der er eben noch gelesen hatte, beiseite legte. Seufzend rieb er sich die Augen. Peter erschrak, als er sah, wie müde er aussah. Sein Großvater war ein alter Mann! Er schien in den letzten beiden Wochen um zwanzig Jahre gealtert zu sein.

      „Großvater, geht es dir gut?“, erkundigte er sich besorgt.

      Sein Großvater rang sich ein Lächeln ab. „Peter! Schön, dass du wieder da bist!“ Er musterte ihn und bemerkte seine Wunden. „Die gleiche Frage könnte ich dir auch stellen.“

      Peter winkte ab. „Nichts, was der Rede wert wäre“, log er. „Das ist schon bald verheilt. Nur ein kleines Missverständnis. Du kennst das wahrscheinlich.“

      Sein Großvater nickte mitfühlend. „New York ist eine gefährliche Stadt.“

      Peter lächelte. „Das meinte Dubois auch.“

      Sein Großvater lachte leise. „Der gute alte Dubois. Weißt du, dass er mittlerweile schon vierzig Jahre für mich arbeitet? Eine lange Zeit. Er hat euch alle aufwachsen sehen, aber ich glaube nicht, dass er je vorausgesehen hätte, wie sehr einige von euch mich mal enttäuschen würden.“

      Oh mein Gott! Wusste er etwa von New York? Peter durchlief ein kalter Schauer.