„Manchmal“, fuhr sein Großvater fort, „vergesse ich, wie sehr du ihr ähnelst. Habe ich dir je erzählt, wie deine Großmutter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ihr Rotweinglas über den Kopf geschüttet hat?“
„Was?“
Sein Großvater schmunzelte. „Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran zurückdenke“, gestand er, „obwohl mir in dem Moment nicht zum Lachen zumute gewesen ist. Sie hatte ein Talent dafür, kein Fettnäpfchen auszulassen. Genau wie du. Das Gedächtnis ist ein wunderliches Ding, man erinnert sich nur noch an die schönen Dinge, wenn man jemanden geliebt hat. Ich habe vergessen, wie oft ich mich über sie geärgert und mich für sie geschämt habe und wie oft wir gestritten haben. Aber ich habe sie geliebt und letzten Endes zählt nur das, verstehst du?“
Alexander glaubte es zumindest und fühlte sich sonderbar getröstet. „Du bist mir nicht mehr böse?“, erkundigte er sich.
Sein Großvater schüttelte den Kopf. „Ich kann dich doch nicht ändern und abgesehen davon will ich es auch nicht. Und das mit den Paparazzi lass mal meine Sorge sein. Ich habe dem Reporter ein Angebot gemacht, im Austausch für die Fotos. Er hat sie mir vorhin vorbeigebracht, zusammen mit den Negativen. Du brauchst also nicht befürchten, dich morgen landesweit in allen Zeitungen wiederzufinden.“
Alexander schwieg überrascht. „Im Austausch wofür?“, fragte er nach einigen Augenblicken. „Was hat dich das gekostet?“
„Ein Exklusivinterview. Aber das ist nicht so schlimm“, antwortete er und lächelte.
„Danke“, sagte Alexander.
Sein Großvater nickte. Dann reichte er ihm einen Umschlag. „Die Fotos“, erklärte er. „Vernichte sie oder behalte sie. Wer weiß, vielleicht kannst du ja in einigen Jahren über die ganze Geschichte lachen. Oder du kannst sie deinen eigenen Enkeln erzählen.“
Alexander starrte den Umschlag in seiner Hand an. Er glaubte zwar nicht, dass er die Fotos jemals seinen Enkeln zeigen würde, aber er würde sie auf jeden Fall behalten und sei es nur, um sich an diesen Tag und das Gespräch mit seinem Großvater zu erinnern.
„Schickst du mir bitte Jonas rein?“, bat sein Großvater.
Alexander nickte und ging zur Tür. „Danke für alles, Großvater.“ Dann drehte er sich um, öffnete die Tür und gab Jonas einen Wink. Die Tür schloss sich hinter seinem Cousin. Alexander war allein mit Edward und dessen Vater.
„Und?“, fragte Edward. „Was hat er gesagt?“
Alexander wollte ihm nicht antworten, wusste aber, dass das nichts bringen würde. Edward würde nicht locker lassen, bis er wusste, was sein Großvater gesagt hatte. Widerwillig meinte er: „Wir haben über Großmutter gesprochen.“
Alexander war nicht auf ihre Reaktion gefasst gewesen. Blanker Hass schlug ihm entgegen.
„Wage es ja nicht noch einmal, über sie zu sprechen!“, zischte sein Onkel und schlug ihm ins Gesicht. „Meine Mutter war eine tolle Frau, eine tolle Mutter und nicht so eine Peinlichkeit wie du! Ich habe es satt, ständig zu hören, wie ähnlich ihr zwei euch angeblich seid!“
Alexander stand da wie erstarrt. Seine Wange schmerzte. Er vermochte sich vor lauter Schock nicht zu bewegen. Sein Onkel hätte nochmals zuschlagen können, ohne dass Alexander sich gewehrt hätte, aber er verzichtete darauf, wandte sich auf dem Absatz um und stürmte mit großen Schritten davon.
Edward wartete, bis sein Vater nicht mehr zu sehen war. Dann starrte er ihn verächtlich an. „Du bist nicht wie sie!“, stieß er hervor. Er spuckte die Wörter beinahe aus. „Weißt du eigentlich, dass Großvater dich nur noch nicht enterbt hat, weil du ihr ähnlich siehst? Du denkst doch nicht wirklich, dass du auch noch sein Liebling wärst, würdest du ihr nicht ähnlich sehen!“
Mit diesen Worten stürmte er davon und ließ den regelrecht erschlagenen Alexander alleine im Flur stehen.
Großvaters Liebling?
Oh, Scheiße!
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