Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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Baum! Erleichtert sah sie, dass sie den untersten Ast bequem erreichen konnte. Mit letzter Kraft sprintete sie auf ihn zu, ergriff den Ast mit beiden Händen und schwang sich hinauf. In ihrer Todesangst entwickelte sie ungeahnte Kräfte. Sie war bereits oben, bevor der erste Hund den Baum erreicht hatte. Ein zweiter Hund war dicht hinter ihm. Der erste Hund bellte und starrte den Baum herauf. Karolina hatte das Gefühl, er starre ihr direkt in die Augen. Sie zitterte. Für kein Geld der Welt würde sie wieder von diesem Baum herunterklettern, solange diese Bestien dort unten auf sie warteten und knurrten!

      In der Ferne hörte sie Sirenengeheul. Sie wusste nicht, wo die anderen waren. Ihre Taschenlampe hatte sie bereits nach wenigen Metern fallen gelassen und so saß sie in fast völliger Dunkelheit auf dem Baum. Das einzige Licht kam vom Haus, das nun vollständig erleuchtet war.

      Die Tür öffnete sich und zwei Männern kamen in den Garten und begannen die Hunde wieder einzufangen. Währenddessen kam das Sirenengeheul immer näher, das Eingangstor öffnete sich und zwei Streifenwagen fuhren vor. Die Türen sprangen auf.

      Inzwischen hatten die beiden Männer fast alle Hunde wieder eingefangen und brachten sie zurück in den Zwinger. Nur die beiden Hunde, die unter Karolinas Baum Wache hielten, waren noch in Freiheit.

      Karolina wartete. Nach einigen Augenblicken glaubte sie zwei Gestalten zu erkennen, die auf sie zukamen. Die eine Gestalt pfiff. Die Hunde zögerten kurz und warfen einen letzten Blick auf Karolina, bevor sie dem Befehl Folge leisteten und zu ihrem Herrchen rannten, der sie an die Leine nahm.

      Nun näherte sich die andere Gestalt dem Baum, warf einen Blick rauf, entdeckte Karolina, die immer noch ängstlich auf ihrem Ast hockte, und winkte ihr zu. Sie sollte runterkommen.

      Karolina zögerte und warf einen Blick auf die Hunde, die sich entfernten. „Keine Angst!“, beruhigte sie der Mann. „Die Hunde können Ihnen nichts mehr tun.“

      Karolina nickte skeptisch. Langsam kletterte sie wieder herunter und wurde sich zum ersten Mal ihrer aufgeschürften Hände und ihrer zerrissenen Jeans bewusst. An ihren Knien klafften Risse. Sie mussten entstanden sein, als Karolina wie eine Irre auf den Baum geklettert war.

      Der Mann reichte ihr die Hände und Karolina sprang das letzte Stück hinab. Unsanft kam sie auf dem Boden auf und sank auf die Knie. Was keine gute Idee war. Schmerzerfüllt zuckte sie zusammen.

      Der Mann half ihr auf, sah sie ernst an, während er mit der Rechten an den Gürtel griff. Dann packte er ihre Hände.

      Klick.

      „Scheiße!“, fluchte sie leise.

      5

      Karolina fühlte sich miserabel. Sie war noch nie verhaftet worden und ehrlich gesagt, hätte sie auf diese Erfahrung auch gut verzichten können. Diese Demütigung, mit Handschellen gefesselt abgeführt zu werden! Und das auch noch vor den Augen von rund einem Dutzend neugieriger Gaffer! Aber das Schlimmste waren die Blicke dieser Hundequäler gewesen, dieses höhnische Grinsen, dieses Geschieht-euch-recht-Verhalten! Wenn sie nur daran dachte, konnte sie vor lauter Wut ausrasten.

      Karolina schnaubte missmutig. Wenigstens hatten sie nur vier von ihnen erwischt, die anderen drei waren glücklicherweise entkommen. Daniel war vor lauter Angst so kopflos gewesen, dass er, statt zum Ausgang zu rennen, Richtung Haus gelaufen war. Die Polizei musste ihn aus dem Springbrunnen fischen, in den er gefallen war. Trotz der ganzen Situation bedauerte Karolina, dass sie das nicht gesehen hatte. Sie hätte nur zu gerne Daniels Gesicht gesehen, als die Polizisten ihn endlich von der kleinen Springbrunnenfigur holten. Daniel war klitschnass gewesen und der Tierquäler hatte ein großes Handtuch für ihn holen müssen, da die Polizisten sich strikt geweigert hatten, ihn so, pudelnass wie er war, mitzunehmen. Die Gesichter der Hundequäler waren sehenswert gewesen.

      Als Nächstes hatten sie Marie und ihren Bruder Philipp entdeckt. Marie hatte ihr später erzählt, dass Philipp sich schützend vor sie gestellt und sich geweigert hatte, sie alleine zu lassen, obwohl er mit Leichtigkeit davonrennen und über die Mauer hätte klettern können.

      Karolina bewunderte ihn dafür. Als Marie ihr davon erzählt hatte, hatte sie sich für einen Moment lang auch so einen großen Bruder gewünscht, der sich für sie einsetzte, bis ihr klar wurde, dass sie sogar zwei davon hatte. Nur dem Jüngsten ihrer drei Brüder, der ihr im Alter am nächsten stand, hätte sie so eine Tat nie zugetraut, dafür war er viel zu egoistisch und zu unachtsam.

      Von ihren Brüdern kam sie natürlich zwangsläufig auf ihren Großvater und das waren keine schönen Gedanken. Inzwischen hatte Anna sicher entdeckt, dass sie nicht in ihrem Bett geschlafen hatte, schließlich war es schon neun Uhr morgens, und sicherlich war sie voller Sorge zu ihrem Großvater gerannt, um es ihm zu erzählen. Ihr Großvater würde toben. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, was er sagen würde, sollte er auch noch von ihrer Verhaftung erfahren und er würde davon erfahren, da war sie sich sicher.

      Marie seufzte. Sie machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Die Polizisten hatten die beiden Mädchen zusammen in eine Zelle gesperrt und die jungen Männer in die Zelle nebenan. Marie wünschte sich wahrscheinlich ebenso sehr wie Karolina, dass sie mit ihnen sprechen könnten. Das Warten brachte sie beinahe um und alleine kamen sie beide nur auf düstere Gedanken.

      Warum kam denn bloß keiner? Wollten sie sie hier etwa den ganzen Tag versauern lassen?

      Karolina hätte am liebsten irgendwo gegengetreten, aber das traute sie sich dann doch nicht. Schließlich waren sie hier im Gefängnis und womöglich kämen sie sonst noch auf die Idee, sie noch eine Nacht länger dazubehalten.

      Als dann eine Minute später ein Schlüssel in der Tür geräuschvoll herumgedreht wurde, fuhren Karolina und Marie erschrocken zusammen. Ob sie nun dem Richter vorgeführt wurden?

      In bangem Schweigen folgten sie dem Aufseher in einen kleinen Raum, wo neben Daniel und Philipp auch John und ein anderer, Karolina unbekannter Mann auf sie warteten. Hatten sie ihn etwa doch noch erwischt? Polizisten oder gar ein Richter waren nicht in Sicht. Karolina wartete ängstlich darauf, dass einer von ihnen etwas sagte und das beklemmende Schweigen brach. Nach einigen Sekunden räusperte sich John schließlich und beantwortete die Frage, die Karolina nicht zu stellen gewagt hatte. „Nein, sie haben mich nicht erwischt. Ich habe mich freiwillig auf dem Polizeirevier gemeldet.“

      „Sag mal, bist du denn völlig übergeschnappt?“ Philipp starrte ihn fassungslos an. „Warum hast du denn nicht die Klappe gehalten? Wir hätten dich schon nicht verpfiffen!“

      John machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Das weiß ich doch. Aber ich hielt es für wichtig, der Polizei unser Beweismaterial, das heißt, unsere Notizen und unsere Aufnahmen, zu übergeben. Oder willst du diese Tierquäler etwa ungestraft davonkommen lassen?“

      Das wollte keiner von ihnen. Doch Karolina war sich nicht sicher, ob Johns Vorgehen der richtige Weg gewesen war, schließlich konnte die Polizei ihre Notizen und ihre Aufnahmen auch gegen sie selbst verwenden. Sie glaubte nicht, dass John je auf diese Idee gekommen wäre. In seinem Weltbild gehörten sie zu den Guten und die Guten wurden immer belohnt. Das mochte ja in Comics so sein, aber in der Wirklichkeit?

      „Aber wie konntest du ihnen denn das Videoband geben?“, wollte Daniel verdutzt wissen. „War die Videokamera nicht auch im Springbrunnen?“

      John grinste. „Nein, Kumpel. Die Videokamera war das Erste, das du fallen gelassen hast, als du losgerannt bist. Danach kamen dann die Leinen, aber bei denen habe ich mir nicht die Mühe gemacht, sie aufzusammeln. Ich habe mir nur die Kamera geschnappt und bin über die nächste Mauer. Später habe ich mich dann unbemerkt unter die gaffenden Nachbarn gemischt und habe gesehen, wie sie mit euch weggefahren sind.“

      „Und die anderen?“, erkundigte sich Marie besorgt, vermied es aber, mit einem Blick auf den schweigenden Fremden neben ihr, Namen zu nennen.

      „Keine Bange, denen geht es gut. Um die müsst ihr euch keine Sorgen machen und euren Eltern habe ich auch Bescheid gesagt. Sie wissen, wo ihr seid, darüber müsst ihr euch also keine Gedanken zu machen“, beteuerte John.

      Daniel