Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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Vogel im goldenen Käfig. Und ein Käfig blieb immer ein Käfig, egal wie teuer und geräumig er war.

      Bisher war sie noch niemandem begegnet, aber Karolina wusste, dass ihr Glück nicht anhalten würde. Sie sah sich um. Gab es denn hier nichts, das ihr einen guten Vorwand für einen Botendienst bot?

      Sie hatte das Ende des Ganges erreicht und bemerkte auf einer Ablage einen Staubwedel. Glück musste man haben! Rasch schnappte sie sich den Staubwedel und wanderte damit in Richtung Dienstbotentrakt. Von dort aus konnte sie dann das Gebäude verlassen.

      Ein paar Augenblicke später kam ihr einer der Angestellten entgegen. Der Mann trug ein Blumengesteck in der Hand und sah aus, als wäre er in Eile. Kein Wunder, er musste seine Last schließlich loswerden, bevor die ersten Gäste da waren. Er schenkte Karolina einen kurzen Blick, bemerkte den Staubwedel und wandte den Blick desinteressiert ab. Bilder wie dieses gehörten zu seinem Alltag.

      Karolina seufzte erleichtert. Zwar hatte ihr Großvater ein großes Anwesen und damit auch viele Angestellte, aber sie glaubte trotzdem nicht, dass sie eine aufmerksamere Überprüfung überstehen würde. Irgendeiner würde sich bestimmt fragen, wer diese Unbekannte war.

      Sie hatte den Ausgang erreicht, öffnete die Tür und zog sie leise hinter sich ins Schloss. Einen Teil hatte sie geschafft. Jetzt musste sie nur noch ungesehen vom Grundstück kommen, aber das sollte nicht so schwer sein. Raus kam man immer ohne Schwierigkeiten. Und für den Rückweg hatte sie sich auch schon etwas überlegt.

      Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie langsam zum Tor marschierte. Sie achtete darauf, möglichst nicht direkt unter den Laternen zu laufen. Je weniger man von ihrem Gesicht sehen konnte, desto besser.

      Links von ihr fuhren die Limousinen vor, eine protziger als die nächste. Karolina erhaschte einen Blick ins Wageninnere, als eines der Fahrzeuge am Tor hielt und einer der Fahrgäste das Fenster herunterkurbelte, um die Einladung vorzuzeigen. Sie kannte den Mann vom Sehen, auch wenn sie seinen Namen vergessen hatte. Aber sie wusste noch, dass er im Bankgewerbe tätig war. Ihr Großvater wäre gar nicht stolz auf sie, sollte er je erfahren, dass sie selbst von den meisten ihrer regelmäßigen Gäste noch nicht einmal den Namen kannte. Er erwartete von ihr, solche Dinge zu wissen. Er selbst kannte seine Gäste genau und wusste, was seinen Gesprächspartner interessierte und welche Neuigkeiten es in seinem Leben gab.

      Karolina hingegen kümmerte dies nicht die Bohne. Nicht, dass sie andere Menschen nicht interessierten. Aber warum konnte ihr Großvater nicht einmal interessante Leute einladen? Er lud zwar auch bekannte Künstler und Schauspieler ein, deren Bekanntschaft Karolina gerne gemacht hätte, aber das war äußerst selten. Die meisten ihrer Gäste waren Politiker oder Wirtschaftsbosse, Leute mit Geld und Einfluss. Echt langweilige Typen. Ihre Freunde nannten sie nur die Macker und lästerten bei jeder Gelegenheit über sie und entwarfen Pläne, wie man solche Leute mal gehörig ärgern konnte. Nicht dass sie es böse meinten, aber ihre Freunde waren der Meinung, dass die Reichen einmal das wahre Leben kennen lernen sollten, statt nur Champagner zu schlürfen und sich in Nobelkarossen durch die Gegend kutschieren zu lassen. Zum Glück wussten sie nicht, dass Karolinas Großvater und damit auch sie selbst ebenfalls in diese Kategorie gehörten.

      Sie stellte sich vor, wie ihre Freunde reagieren würden, sollten sie es je erfahren. Ihr ältester Bruder hätte ihr zwar vorgehalten, dass man seinen Freunden die Wahrheit sagen sollte, aber das war ihr zu riskant. Er selbst hatte zwar Freunde aus ihren Kreisen, aber für Karolina waren das eher Bekannte, oder manchmal sogar Schmarotzer, als richtige Freunde. Nein, sie suchte sich ihre Freunde lieber anderswo, unter normalen Leuten.

      Mittlerweile hatte sie das kleine Seitentor erreicht, das als Ausgang diente. Sie bemühte sich, sich ihre Aufregung nicht ansehen zu lassen. Sollten die beiden Männer, die dort Wache hielten, sie erkennen, dann konnte sie nicht nur ihren Ausflug vergessen, sondern sie würde auch noch eine Strafpredigt von ihrem Großvater bekommen. Und Anna würde maßlos von ihr enttäuscht sein.

      Aber sie hatte Glück. Mit einem müden Gesichtsausdruck lehnte einer der Männer an der Wand und beobachtete die ankommenden Autos, während sein Kollege mit dem Überprüfen der Gäste beschäftigt war. Wahrscheinlich hatte er schon ziemlich lange Dienst und freute sich, dass sein Arbeitstag bald zu Ende war, so dass er die wenigen, die das Grundstück verließen, nicht beachtete.

      Deshalb schaffte es Karolina, unbehelligt das Grundstück zu verlassen. Sie wandte sich nach links, verließ die Hauptstraße, um in eine kleine Nebenstraße einzubiegen. Nach zwanzig Minuten erreichte sie die Straße, die sie gesucht hatte. Dort standen nur ein paar vereinzelte Häuser und Autowracks. Die Häuser waren alt und baufällig, soweit sie wusste, hatte man Pläne gemacht, alles abzureißen und eine Neubausiedlung daraus zu machen, aber dieses Projekt verlief eher schleppend.

      Dass zwischen ihrem Zuhause und diesem Viertel ein solcher Kontrast herrschte, störte Karolina nicht im Geringsten. Sie fühlte sich hier wohl. Wenn sie die wild wuchernden Pflanzen und das Unkraut betrachtete, überkam sie das Gefühl von grenzenloser Freiheit. Hier gab es niemanden, der ihr irgendetwas vorschreiben wollte. Hier konnte sie so sein, wie sie war.

      Ihr Versteck kam in Sicht. Erleichtert bemerkte sie, dass ihr altes Fahrrad, das sie dort deponiert hatte, immer noch da war. Aber andererseits, wer würde es auch klauen, so alt und verrostet wie es war?

      Sie verstaute ihre Perücke in einer Plastiktüte, die sie für solche Fälle dort versteckt hatte, nahm ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg zu Marie. Marie war ihre beste Freundin, sie kannten sich mittlerweile seit zwei Jahren, seit sie mit ihren heimlichen Ausflügen angefangen hatte.

      Etwa eine Viertelstunde später war sie da. Sie sah auf ihre Uhr. Halb acht.

      Die Tür wurde aufgerissen. Marie, ein einssechzig großer Wirbelsturm, kam ihr entgegen. Sie strahlte vor Freude. „Klasse, du hast es geschafft! Ich hatte schon befürchtet, du müsstest zu dieser Feier deines Großvaters, von der du mir erzählt hast“, plapperte sie drauflos.

      Karolina lächelte. „Ich habe mich krank gestellt und gewartet, bis die Luft rein war, um zu verduften. Und hier bin ich!“ Sie breitete theatralisch die Arme aus, wie ein Popstar, der am Anfang des Konzertes die Begeisterungsschreie seiner Fans entgegennimmt.

      Marie kicherte. „Gerade rechtzeitig!“, meinte sie. „Die Jungs kommen in ein paar Minuten, um uns abzuholen.“

      „Willst du mir nicht endlich verraten, was wir vorhaben?“, erkundigte sie sich. „Und wer bitte sind die Jungs?“

      „Mein Bruder und ein paar seiner Freunde“, sagte Marie leichthin. „Ich kenne die auch nicht alle. Aber das ist auch nicht so wichtig.“

      „Und wohin fahren wir? Zu einer Party?“

      Marie zog eine Schnute. „Nee, Karo, heute nicht. Philipp“, das war Maries Bruder, „hat eine unglaubliche Sauerei entdeckt. Weißt du, einer von diesen steinreichen Kerlen in den Vororten hat massenhaft Hunde, die er verwahrlosen lässt. Als hätte er nicht genug Geld, um sich ordentlich um sie zu kümmern!“, empörte sie sich. „Er sperrt sie in ganz kleine Zwinger und lässt ihnen nie Auslauf. Philipp glaubt, dass er sie sogar von seinem Aufseher schlagen lässt!“

      Karolina war fassungslos. Die armen Hunde! Für Leute, die Tiere quälten, hatte sie nun überhaupt kein Verständnis. Für sie stand außer Frage, dass man etwas dagegen unternehmen musste. Wäre ihr Bruder hier gewesen, sie hätte ihm sofort von dem Fall erzählt. Ihr Bruder liebte Hunde. Ihr Großvater leider nicht und da sie beide noch bei ihm lebten, hatten sie nie einen eigenen gehabt.

      Sie kochte immer noch vor Wut, als Philipp mit seinem Auto auf den Hof fuhr. Ernst sah er seine Schwester und ihre Freundin an. Die Entschlossenheit und die Wut in ihren Gesichtern ließen ihn zufrieden nicken. „Steigt ein!“, meinte er.

      Während der Fahrt schwiegen sie. Niemand hatte Lust über irgendwelche belanglosen Dinge zu sprechen, dafür war die Situation viel zu ernst. Selbst das Radio hatten sie ausgedreht, weil die seichten Popsongs ihnen auf die Nerven gingen.

      Nach etwa vierzig Minuten bog Philipp auf einen Feldweg, wo bereits zwei weitere Autos standen. John, Philipps bester Freund,