Sein jüngerer Bruder war das schwarze Schaf der Familie. Einen größeren Frauenhelden hatte Peter noch nicht gesehen. Was hatte er nun schon wieder angestellt? Hatte er irgendeinem von Großvaters Freunden oder Bekannten Hörner aufgesetzt und derjenige hatte es erfahren? Oder hatte er dessen Tochter geschwängert? Oder gar beides?
Peter gestattete sich ein Seufzen. „Vielleicht würde er weniger Ärger bereiten, wenn er etwas mehr zu tun hätte. Du solltest ihm eine Aufgabe geben“, wagte er sich vor.
Sein Großvater starrte ihn an, als wären ihm plötzlich Hörner gewachsen. „Ihm? Welche denn? Dein Bruder hat nicht einen Funken Verantwortungsbewusstsein! Wenn ich ihm eine wichtige Aufgabe gebe, kann ich sicher sein, dass sie erstens scheitert, und zweitens, dass am Ende alle stinksauer sein werden! Es wäre Wahnsinn, ihm Verantwortung zu überlassen!“
„Stimmt, von geschäftlichen Dingen hat er keine Ahnung“, gab er zu. „Und er verliert auch schnell die Geduld, wenn ihn etwas nicht interessiert. Aber andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass ein Teil seiner Probleme daher rührt, dass er zu viel Zeit und Langeweile hat. Wie willst du wissen, ob er Verantwortung übernehmen kann, wenn du ihm nie welche gegeben hast?“
Sein Großvater wollte protestieren, doch dann besann er sich. „Vielleicht hast du Recht“, räumte er ein. „Aber welche Aufgabe kann ich ihm denn geben? Vom Geschäft versteht er nicht viel. Das hat ihn noch nie interessiert. Als Schlichter ist er völlig ungeeignet. Oder könntest du dir vorstellen, dass er deinen Job übernimmt?“
Peter schüttelte den Kopf. Bloß nicht!
„Also was dann?“, fragte sein Großvater. „Und wage ja nicht zu sagen, dass er die Familie in der Öffentlichkeit repräsentieren soll! Er würde unseren Ruf schneller ruinieren, als ich ‚Das ist alles nur ein Missverständnis!‘ sagen könnte.“
„Ich wüsste eine Aufgabe für ihn“, erklärte er und lächelte seinen Großvater an, der fragend die Augenbrauen hob. „Und es besteht sogar die Möglichkeit, dass er dabei noch etwas über Geschäfte und den Umgang mit Menschen lernt.“
„Und das wäre?“
„Die Verantwortung für das Gestüt“, erklärte er.
„Das Gestüt? Bin ich denn wahnsinnig? Er wird den ganzen Tag nur damit verbringen, auszureiten und den Mädchen zu imponieren!“
Peter schüttelte den Kopf. „Dann lass ihn doch ausreiten! Er wird schon feststellen, dass er damit nicht lange durchkommt, sofern er sich sein Taschengeld von nun an richtig verdienen muss. Pferde sind das Einzige, für das er, neben Frauen und Autos, nie das Interesse verliert. Und ich nehme nicht an, dass du damit einverstanden wärst, wenn er Rennfahrer wird.“
„Bloß nicht!“, antwortete sein Großvater entsetzt. Schließlich seufzte er. „Vielleicht hast du Recht. Ich werde in jedem Fall gründlich über deinen Vorschlag nachdenken.“
Peter betrachtete die Zeitung, die sein Großvater noch immer gedankenverloren in der Hand hielt. „Steht etwas Interessantes drin?“, wollte er wissen.
Sein Großvater schnaubte angewidert. „In diesem Schundblatt?“
„Warum liest du es dann?“
„Weil ich wissen muss, ob manche Dinge sich schon herumgesprochen haben“, antwortete sein Großvater.
„Welche denn?“
„Zum Beispiel der Einbruch von diesen Tierschützern bei den Krons. Es ist doch Wahnsinn, was manche Leute machen, nur um irgendwelche Viecher zu retten“, meinte er abfällig.
Peter bemühte sich angestrengt, nicht auf seine Sporttasche zu blicken, die neben ihm auf dem Fußboden stand. Wenn sein Großvater wüsste!
„Es ist ja schön und gut, wenn diese Menschen ihre eigenen Tiere verwöhnen“, fuhr sein Großvater fort, „aber sie sollen sich gefälligst nicht in die Tierhaltung anderer Leute einmischen! Das Schlimmste sind diese militanten Tierschützer, die noch nicht einmal vor Straftaten wie Einbruch und Diebstahl zurückschrecken, um irgendwelche Hunde zu retten! Das sind kaum bessere Terroristen!“, empörte er sich.
„Jetzt übertreibst du aber!“, protestierte Peter.
Ein Rascheln ertönte.
„Was war das?“, erkundigte sich sein Großvater, plötzlich hellhörig geworden.
„Was?“, erwiderte Peter verzweifelt. „Ich habe nichts gehört.“
Ein erneutes Rascheln kam aus seiner Tasche. Kurz darauf folgte ein weiteres Geräusch, das klang wie ein Winseln.
„Da, schon wieder! Das Geräusch kommt eindeutig aus deiner Tasche! Was hast du da bloß drin?“ Er war aufgestanden und näherte sich nun seinem Enkel.
„Da drin? Nichts“, log er.
Sein Großvater guckte ihn ungläubig an. „Ich kenne dich gut genug, Junge, um zu wissen, wann du lügst!“, erwiderte er scharf.
Peter starrte verlegen zu Boden und ließ zu, dass sein Großvater die Tasche ergriff und den Reißverschluss ganz zurückzog.
„Was zur Hölle ...?“
Ein Winseln ertönte und der kleine Welpe sprang, noch etwas müde, aus Peters Tasche. Erfreut wedelte er mit seinem Schwänzchen und begann die neue und ungewohnte Umgebung zu beschnuppern. Peter riskierte einen vorsichtigen Blick zu seinem Großvater, der für einen Augenblick völlig sprachlos war. Einige Augenblicke vergingen.
„Wessen Hund ist das?“, erkundigte er sich scharf.
„Äh, meiner“, gestand Peter. „Ich habe ihn von MacBride geschenkt bekommen. Kennst du Sam MacBride?“, plapperte er nervös.
„Ja, ja, ich kenne MacBride!“, fauchte sein Großvater. „Aber das beantwortet noch nicht die Frage, was der Hund in deiner Tasche gemacht hat!“
„Nun, ich vermute mal, er hat geschlafen“, antwortete Peter dümmlich.
Sein Großvater warf ihm einen eisigen Blick zu, den Peter nach kurzem Zögern trotzig erwiderte. „Ich habe vor, ihn zu behalten“, erklärte er mutig.
„Das kommt gar nicht in Frage!“, erwiderte sein Großvater sofort. „Du weißt genau, dass ich in meinem Haus keinen Hund haben will.“
„Dann ziehe ich eben aus!“, meinte Peter und nahm den Welpen auf den Arm. „Ich werde ihn nämlich nicht wieder weggeben!“
„Ausziehen? Du willst ausziehen?“, wiederholte sein Großvater ungläubig.
„Großvater, ich bin achtundzwanzig! Meinst du nicht, dass es langsam Zeit für mich wird, auf eigenen Füßen zu stehen?“
„Aber dafür muss man doch nicht ausziehen!“, widersprach sein Großvater. „Und was heißt auf eigenen Füßen stehen? Das machst du doch! Willst du etwa behaupten, dass ich dich wie ein Kleinkind behandele?“
„Nein, aber ...“
„Siehst du! Es besteht doch gar kein Grund auszuziehen! Das Haus ist doch groß genug für uns alle, du hast also genug Platz. Oder hast du vor zu heiraten?“
„Wie kommst du denn darauf?“, erwiderte Peter erschrocken.
„Warum eigentlich nicht?“, meinte sein Großvater nachdenklich. „Du gibst doch eine gute Partie ab und wenn du heiraten willst, bin ich natürlich gerne bereit, euch euer eigenes Häuschen zu finanzieren. So wie ich es bei deinem Bruder gemacht habe.“
Seine Miene hellte sich sichtlich auf. „Du kleiner Schlingel, du wolltest mich wohl überraschen, was?“, fragte er und drohte Peter verschmitzt mit dem Zeigefinger. „Oder hast du sie noch gar nicht gefragt? Du glaubst doch nicht, dass sie nein sagen wird, oder? Das kann ich mir nun beim besten Willen nicht vorstellen! Also nicht so schüchtern, frag sie! Und dann stellst du mir