Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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nicht gehorchen! Sollte es denn ihr ganzes Leben lang so weitergehen? Ihr Großvater befahl etwas und sie spurte? Nein, nicht mit ihr!

      Doch wie konnte sie sich nur drücken? Ihrem Großvater direkt ins Gesicht sagen, dass sie keine Lust hatte? Karolina schüttelte entsetzt den Kopf. Bei einer direkten Konfrontation mit ihm hatte sie bisher immer den Kürzeren gezogen und dieses Mal würde das nicht anders sein. Die einzige Konsequenz aus einer Konfrontation wäre, dass ihr Großvater sie den ganzen Abend beobachten lassen würde. Horror pur!

      Nein, ihre Energie sparte sie lieber für einen anderen Streit auf. Das Beste wäre, sich einfach krank zu stellen. Und so beschäftigt wie ihr Großvater im Moment war, hatte sie auch gute Chancen damit durchzukommen. Er hatte einfach keine Zeit, um zu kontrollieren, ob sie wirklich krank war oder nicht, und ihre ehemalige Erzieherin hatte sie bisher immer täuschen können.

      Diese wählte genau diesen Augenblick, um die Tür zu öffnen. „Karolina!“, rief sie. „Sind Sie fertig?“

      Karolina zuckte zusammen. Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie nur vortäuschen? Eine Erkältung? Fieber? Aber nein, das konnte man überprüfen. Bauchschmerzen? Nein, besser nicht, dann würde sie nur wieder eines dieser ekligen Hausmittelchen schlucken müssen.

      Migräne! Eine Migräne wäre der perfekte Vorwand, um nicht zum Empfang gehen zu müssen! Kein Arzt konnte ihr beweisen, dass sie log! Und was noch besser war, sie würde keines von Annas widerlichen Mittelchen schlucken müssen!

      Anna betrat das Zimmer, um nach ihrem kleinen Mädchen zu schauen. Sie stand mitten im Zimmer und hatte sich immer noch nicht umgezogen, obwohl der Empfang in wenigen Minuten beginnen sollte. Vielleicht waren sogar die ersten Gäste bereits da und Karolina war noch nicht fertig! Ihr Großvater würde nicht erfreut sein.

      Dann bemerkte sie Karolinas blasses Gesicht und die glänzenden Augen. „Karolina! Kind! Was hast du?“, rief sie erschrocken. Sie eilte ins Zimmer.

      „Perfekt!“, dachte Karolina. Das war ja sogar noch einfacher, als sie gedacht hatte!

      Sie gab ihrer Stimme einen leicht gepressten Ton, so als müsste sie sich zwingen, normal zu antworten. „Anna, ich habe dich gar nicht gehört“, schwindelte sie und lächelte schief. „Ist es etwa schon so weit?“

      Anna musterte ihren Schützling besorgt. Das Mädchen sah gar nicht gut aus, auch wenn sie so tat, als wäre alles in bester Ordnung. Vor allem das Glänzen ihrer Augen gab ihr zu denken. Ob sie Fieber hatte?

      „Kind! Wenn du krank bist, musst du das doch sagen! Es ist zwar lobenswert, dass du deinem Großvater zur Seite stehen willst, aber doch nicht auf Kosten deiner Gesundheit!“, rügte sie das Mädchen liebevoll. Besorgt legte sie Karolina eine Hand auf die Stirn. Leicht warm. „Streck mal die Zunge raus!“, forderte sie sie auf. „Hm, belegt ist sie nicht. Aber deine erhöhte Temperatur gefällt mir nicht. Tut dir irgendetwas weh? Seit wann fühlst du dich nicht? Und keine Ausflüchte!“

      Oh, das war klasse! Dass sie ihre leicht erhöhte Temperatur ihrem Wutanfall von vorhin verdankte, würde sie auf keinen Fall verraten!

      Karolina gab ihrer Miene einen leicht schuldbewussten Eindruck. Darin war sie gut. Sie hatte schon überlegt, ob sie nicht Schauspielunterricht nehmen sollte, aber sie konnte sich nur zu gut denken, was ihr Großvater zu so einem Vorhaben sagen würde.

      „Ich hatte gehofft, man würde es mir nicht ansehen“, gestand sie leicht zerknirscht. „Es sind ja schließlich auch nur leichte Kopfschmerzen, also wirklich nicht der Rede wert. Ich habe auch schon eine Aspirintablette genommen und hatte gehofft, dass sie bis zum Empfang weg sind.“

      „Aber du hast immer noch Kopfschmerzen, nicht?“, fragte Anna.

      Karolina nickte reumütig.

      Anna tätschelte mitfühlend ihre Hand und überlegte einen Augenblick. Schließlich hatte sie einen Entschluss gefasst. „Warum legst du dich nicht hin? Ich werde mit deinem Großvater sprechen und dich entschuldigen. Er wird ja schließlich nicht wollen, dass du dich zum Empfang quälst, wenn du krank bist. Kein Aber! Du legst dich ins Bett, ich regele das schon. Soll ich dir irgendetwas bringen? Einen Tee? Soll ich den Arzt verständigen?“

      Entsetzt schüttelte Karolina den Kopf. Bloß nicht!

      „Ich glaube, das ist nicht nötig“, erwiderte sie schnell. „Ich werde noch eine Tablette nehmen und mich ins Bett legen. Es sind ja nur Kopfschmerzen. Nichts, was ein bisschen Schlaf nicht beheben könnte. Du wirst schon sehen, morgen bin ich wieder auf dem Damm.“

      Anna nickte skeptisch. „Also gut!“, willigte sie seufzend ein. „Dann ab ins Bett mit dir! Ich verständige jetzt deinen Großvater und schaue später noch mal rein.“

      Karolina wartete, bis Anna das Zimmer verlassen hatte, bevor sie es sich gestattete zu seufzen. Einerseits hatte ihr Plan hervorragend geklappt, sie musste schließlich nicht auf den bescheuerten Empfang, aber andererseits verhinderte Annas Fürsorglichkeit auch, dass sie sich davonstahl, um sich mit ihren Freunden zu treffen.

      Langsam ging sie zum Sofa und versetzte dem Kissen einen Hieb. So was Blödes! Und dabei hatte sie ihrer besten Freundin doch versprochen, dass sie dabei sein würde! Gab es denn gar keine Möglichkeit sich davonzustehlen, ohne dass es Anna auffiel, dass sie weg war?

      Und wenn sie nun so tat, als ob sie schlief und alle Lichter löschte? Anna würde niemals auf die Idee kommen, sie zu wecken. Karolina musste nur ihr Bett so zurechtmachen, dass es aussah, als läge sie drin, und solange Anna das Licht nicht anmachte, fiel ihr das gar nicht auf. Ja, das war perfekt!

      Rasch schnappte sie sich ein Kissen und die Wolldecke, die auf dem Sofa lagen, und eilte ins angrenzende Schlafzimmer. Dort formte sie die Wolldecke zu einer langen Rolle, fügte ein paar Knicke ein, damit die Wolldecke nicht unten rausguckte, legte das Kissen auf ihr Kopfkissen und zog die Bettdecke drüber. Ja, so konnte es gehen.

      Danach eilte sie zurück ins Wohnzimmer und löschte das Licht. Sie musste sich beeilen, denn Anna konnte jeden Moment wieder zurückkommen. Sie hatte vielleicht noch fünf Minuten, vielleicht sogar auch zehn. Sie huschte zum Kleiderschrank, öffnete ihn und wühlte in ihren Klamotten. Das? Nein, das konnte sie nicht anziehen, das war viel zu vornehm. Und ihr schwarzes T-Shirt? Hm, das würde noch am ehesten gehen.

      Sie wühlte hektisch im Stapel. Verdammt, wo war denn nur dieses T-Shirt?

      Gefunden! Sie gestattete sich ein erleichtertes Seufzen. Nun brauchte sie nur noch eine alte Hose, aber da hatte sie vorgesorgt. Sie schnappte sich den Stuhl, der neben ihrem Bett stand und auf dem sie meistens ihre Bonbons deponierte, stellte ihn vor den Schrank, kletterte drauf und schnappte sich die Tüte, die sie auf dem Schrank versteckt hatte.

      Vorsichtig kletterte sie wieder vom Stuhl, öffnete die Tüte, holte die alte Jeans und die Perücke heraus und schmiss die Tüte in den Schrank. Karolina warf einen raschen Blick auf die Uhr. Vier Minuten waren vergangen, seit sie ihre Suchaktion gestartet hatte. Nun musste sie sich aber wirklich beeilen!

      Rasch wechselte ihre Bluse gegen das T-Shirt, schlüpfte aus ihrem verhassten Rock und streifte die Jeans über. Danach kam die Perücke dran. Sie band ihre Haare zu einem Zopf zusammen, den sie mit Haarnadeln befestigte und streifte die Perücke darüber.

      Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Das Ganze stand ihr zwar überhaupt nicht, aber sie würde nicht meckern, schließlich war dies die einzige Möglichkeit, sich unbemerkt aus dem Haus zu schleichen. Und danach brauchte sie das Teil ja nicht mehr.

      Sie schlüpfte in ihre alten Sportschuhe und huschte leise zur Tür. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt weit. Sie hatte Glück, es war niemand zu hören oder zu sehen. Rasch huschte sie aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

      „Möglichst unauffällig verhalten!“, ermahnte sie sich. „Tu so, als wärst du eine der Angestellten.“

      Sie ging den Gang hinunter. Den unzähligen Gemälden ihrer Vorfahren, die an den Wänden des familiären Wohnflügels hingen, schenkte sie keine Beachtung. Schon zu oft hatte sie vor ihnen gestanden und gerätselt, ob sie wohl glücklich