Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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ermahnte er sich, er durfte seine Selbstbeherrschung nicht vergessen!

      Jack frohlockte innerlich, als er den Gast zur Tür hereinkommen hörte. So als wäre alles in bester Ordnung, lud er einen Koffer nach dem anderen ab und schob den Gepäckwagen wieder Richtung Tür. Doch dort stand Julien und versperrte ihm den Weg. In seinen Augen blitzte die Wut und hätte der Junge nicht so dicht vor ihm gestanden, er hätte es nicht bemerkt.

      Jack wartete geduldig. Er würde nicht als Erster etwas sagen, den Triumph würde er ihm nicht gönnen.

      Julien wurde bewusst, dass der Junge nicht als Erstes das Wort ergreifen würde. Doch der Junge wusste genau, was los war, auch wenn er ihn mit gespielter Arglosigkeit anschaute, die Brauen leicht fragend gehoben.

      „Wie heißt du, Junge?“, fragte er.

      Der Junge lächelte ihn an, als wüsste er nicht, dass Julien die Frage nur gestellt hatte, um sich nachher über ihn zu beschweren. „Mein Name ist Jack. Und Ihrer?“, erkundigte er sich.

      Julien war angesichts dieser Dreistigkeit erst einmal sprachlos. Er brauchte einige Augenblicke, um sich zu fangen. „Hör mal gut zu, Junge! Wenn du glaubst, ich würde deine Frechheit einfach so dulden, dann irrst du dich!“, stieß er wütend zwischen den Zähnen hervor.

      „Was soll an meiner Frage frech gewesen sein?“, fragte der Junge. „Wenn die Frage nach dem Namen frech sein soll, dann bin ich ja nicht der Erste, der eine ungehörige Frage gestellt hat, oder?“

      „Junge, du ...“

      „Jack“, unterbrach ihn dieser. „Mein Name ist Jack, Sir.“

      Jack wusste genau, dass er für sein Verhalten noch büßen würde, aber das war ihm in diesem Moment egal. Er hatte nicht die Absicht, jetzt klein beizugeben.

      Julien atmete langsam ein und aus, um seine Wut wieder unter Kontrolle zu bringen. „Also gut, Jack“, Julien betonte den Namen geringschätzig, „ich weiß, dass dir klar ist, dass du grob unhöflich gewesen bist. Aber wenn du willst, werde ich gerne deutlicher. Ich habe die Absicht, mich über dich zu beschweren! Dein Benehmen war unmöglich! Du hast mich absichtlich in die falsche Richtung laufen lassen, doch statt mich über meinen Irrtum aufzuklären, hast du mich schlicht und einfach ignoriert. Und ich schätze es gar nicht, ignoriert zu werden.“

      „Ich auch nicht“, erwiderte Jack ungerührt.

      „Wie bitte?“

      „Ich mag es auch nicht, ignoriert zu werden, als wäre ich ein Möbelstück“, wiederholte Jack geduldig, als wäre Julien schwerhörig oder ein kleines Kind, dem man alles mehrmals erzählen musste.

      „Wie bitte? Das ist deine Erklärung für dein unglaubliches Benehmen? Du fühlst dich von mir ignoriert? Was willst du eigentlich? Hätte ich dir gleich an der Tür dein erstes Trinkgeld geben sollen?“ Julien konnte es nicht fassen, dass er sich auf ein Streitgespräch mit dem Jungen einließ.

      „Ich will Ihr verdammtes Geld nicht!“, zischte Jack wütend.

      Julien starrte ihn skeptisch an. „Du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich das glaube! Natürlich willst du Geld, sonst würdest du doch nicht hier arbeiten!“ Er zückte seine Brieftasche und holte ein paar Scheine heraus. „Hier!“

      Jack starrte ihn an. Er rührte sich keinen Zentimeter. Ungläubig wanderte sein Blick von Juliens Gesicht zum Geld und wieder zurück. Glaubte der Kerl denn, dass man mit Geld alles regeln konnte?

      „Ich. Will. Ihr. Verdammtes. Geld. Nicht“, wiederholte er langsam. „Ist das so schwer zu verstehen? Ja, ich arbeite hier. Ja, ich möchte Geld verdienen, um mir irgendwann ein eigenes Auto kaufen zu können. Aber was ich nicht möchte und nicht akzeptieren werde, ist, dafür wie das letzte Stück Dreck behandelt zu werden, so als müsste ich mich schämen zu arbeiten!“

      Er sah Julien an, dass er immer noch nicht begriffen hatte. Unwillig knurrte er. Also gut, dann eben noch mal!

      „Wissen Sie eigentlich, wie sich ein normaler Hotelgast verhält? Ich glaube, Sie kommen noch nicht einmal auf die Idee, jemanden zu grüßen, Belanglosigkeiten über das Wetter oder das letzte Footballspiel von sich zu geben, geschweige denn auf die Idee, einen anzuschauen oder danke zu sagen!“

      „Wozu?“, fragte Julien verständnislos. Er begriff nicht, worüber sich der Junge so aufregte. Wenn er zu Hause Probleme hatte, dann sollte er diese dort lassen und nicht die Gäste behelligen! Er konnte doch nicht erwarten, dass jeder ihn mit Samthandschuhen anfasste!

      Jack starrte ihn fassungslos an. Er hatte das Gefühl, dass er genauso gut Chinesisch hätte sprechen können, das Ergebnis wäre das gleiche gewesen. Wie betäubt schob er den Gepäckwagen an Julien vorbei. Dann schloss er leise die Tür, ohne ihn noch einmal anzuschauen. Langsam ging er zum Fahrstuhl. Dort lehnte er den Kopf gegen die Wand.

      Zum ersten Mal dachte er an die Konsequenzen seines Handelns. Der reiche Schnösel würde nicht zögern, sich über ihn zu beschweren! Sein Onkel würde toben! Er würde nie wieder hier arbeiten können! Und seine Mutter wäre sicherlich maßlos von ihm enttäuscht. Traurig schlich er wieder zurück zum Eingang. Julia Carpenter, die ihm zuwinkte, bemerkte er nicht.

      Julia schüttelte besorgt den Kopf. „Was ist bloß heute mit Jack los?“, überlegte sie und beschloss, nach Dienstschluss mal in Ruhe mit ihrem Cousin zu reden.

      Währenddessen überlegte Julien, was er als Nächstes tun sollte. Sollte er sich beim Hoteldirektor über den Jungen beschweren? Doch dann müsste er dem Direktor erzählen, was vorgefallen war und wie er sich mit einem einfachen Hotelpagen einen Schlagabtausch geliefert hatte. Diese Demütigung! Nein, besser wäre es, den Vorfall zu ignorieren. Daraus konnte ihm kein Vorteil erwachsen.

      Oder vielleicht doch? Ihm kam eine glänzende Idee. Und wenn er gegenüber der entzückenden Julia eine besorgte Bemerkung fallen ließe? Sich als mitfühlender und verständnisvoller Gast zeigte, der auf eine Beschwerde verzichtete, zum Wohle des Jungen? Ja, das würde er tun. Der Junge stünde dann in seiner Schuld und Julia wäre ihm so dankbar, dass er sie leicht zum Essen einladen konnte. Ja, das wäre perfekt!

      Unterdessen stand Jack in Gedanken versunken vor dem Hoteleingang. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sein Onkel vom Vorfall erfahren würde. Was würde er denken? Wahrscheinlich würde er nicht glauben können, dass Jack einem Gast gegenüber unhöflich gewesen war. Er würde eine Erklärung verlangen, erst vom Gast und dann von Jack.

      Ihm graute vor dem Gespräch. Er konnte sich gut vorstellen, wie enttäuscht und wütend sein Onkel sein würde. Er würde keine andere Wahl haben, als Jack fristlos zu kündigen, schließlich konnte er es sich nicht leisten, einen Gast zugunsten seines Neffen vor den Kopf zu stoßen. So etwas spräche sich schnell herum und würde dem Hotel sehr schaden. Sein Onkel würde stattdessen dem Gast eine Entschädigung und eine Entschuldigung anbieten. Wenn er daran dachte, dass er sich in wenigen Minuten bei dem Mistkerl würde entschuldigen müssen! Jack fühlte sich miserabel.

      Er war so in Gedanken versunken, dass er die Limousine erst bemerkte, als sie mit quietschenden Reifen vor ihm hielt. Doch bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, flogen die Wagentüren auch schon auf und seine Insassen, vier Männer und zwei Frauen in schwarzen Anzügen und mit Sonnenbrille, beeilten sich auszusteigen. Jack war verblüfft. Das waren die ungewöhnlichsten Gäste, denen er je begegnet war!

      Der Älteste der vier Männer kam nun direkt auf ihn zu. Jack wusste nicht, wie er sich diesem neuen Gast gegenüber verhalten sollte, also wartete er ab.

      Der Mann lächelte ihn freundlich an und nahm seine Sonnenbrille ab. „Hallo, Junge!“, begrüßte er ihn. „Wie heißt du denn?“

      „Jack, Sir“, erwiderte er.

      „Ich heiße Piers. Freut mich.“

      Piers lächelte ihn an und streckte die Hand aus, die Jack ergriff und schüttelte. „Jack“, wiederholte er. „Vielleicht kannst du mir helfen. Wir suchen einen Bekannten, der ebenfalls in der Stadt ist, aber wir wissen nicht, in welchem Hotel. Wir glauben, dass er