Mathildas Buch. Gudrun Elisabeth Bartels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gudrun Elisabeth Bartels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748599401
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sich hungrig eine Scheibe von dem selbstgebackenen Brot der Großmutter hinunter, strich viel Butter und noch mehr Honig drauf, genoss die wunderbare Süße auf ihrer Zunge, am Gaumen, überall im Mund und spürte in ihrem Inneren, wie sich alles vor Wohlbehagen entspannte.

      Wäre sie eine Katze wie der alte Teo, der sich heute Morgen noch gar nicht hatte sehen lassen, hätte sie angefangen zu schnurren. So beließ sie es aber mit einem überaus zufriedenen Seufzer. Die Sonne war wieder freundlich zur Stelle und schickte ihr zusätzlich warmes Gefühl ins Gesicht und auf den Körper.

      Es war so schön, dass sie fast den schmerzenden Knöchel hätte vergessen können. Sie schloss die Augen für einen Augenblick in Richtung Sonne, sah sich in gold-rotes Licht gehüllt und warm umfangen.

      *

      Gegen Mittag kam der Arzt angeradelt auf einem alten aber robusten Fahrrad, das ihn vom Inseldorf über die Dünenwege hierher brachte. Ein kundiger Blick seinerseits auf Marissa geschwollenen Knöchel, brachte die eindeutige Diagnose einer Verstauchung und die Verordnung von Schonung, ruhiger Lagerung des Beines und Geduld.

      „Das wird dann schon“, meinte der Mediziner, „aber weite Strandläufe sind erstmal nicht drin, junge Dame.“ Er sah Marissa mit einem jungenhaften Grinsen im Gesicht an. „Und auch sonst keine wilden Unternehmungen…“

      Eine überflüssige Ermahnung, schon allein wegen mangelnder Möglichkeiten hier auf der Insel. Aber Marissa grinste zurück. Der Arzt war nett, sie mochte ihn. Sie hatte ihn schon früher ein paar Mal gesehen, wenn sie zu Besuch war. Aber das war lange her. Damals war sie noch ein Kind, ein Mädchen gewesen. Und er der alte Herr Doktor, obwohl er aus ihrer jetzigen Sicht als junge Erwachsene keineswegs sehr alt sein konnte. Vielleicht Anfang, Mitte Vierzig und noch sehr jugendlich in seinem Umgang. Sie spürte, dass er noch wusste, wie es war jung zu sein. „Ist recht, Herr Doktor“, meinte sie launig. „Ich habe es gut hier.“

      „Das sehe ich“, gab er zurück. „Die Großmama ist ja auch eine Perle.“

      Emilia lächelte geschmeichelt, bot dem Doktor zu trinken an und gab ihm noch ein Stück Kuchen mit auf den Weg. „Gerade eben fertiggebacken. Noch ein wenig warm.“

      Dr. Schmidtmann sträubte sich nur sehr wenig, nahm das Stück Kuchen, das Emilia ihm eingewickelt hatte und verstaute es vorsichtig ganz oben in seinen Packtaschen. Dann schwang er sich rasch auf sein Fahrrad, nicht ohne zu versprechen, in den nächsten Tagen nochmal vorbei zu schauen und bei Bedarf natürlich auch eher. Er winkte ohne sich dabei umzudrehen und war bald außer Sichtweite.

      Emilia sah ihm lächelnd nach. „Der Timo, das ist so einer“, meinte sie mit zweideutigem Unterton zu ihrer Enkelin.

      „Ich finde ihn ganz nett“, entgegnete Marissa.

      „Ja“, lächelte die Großmutter, „nett ist er.“

      *

      Der Nachmittag verging in einer sonderbar schönen Mischung aus Pflaumenkuchen mit Sahne, verschlafenen Dasein, schweigender Unterhaltung und fließender Ruhe, die durch den Garten schlich wie ein scheues Tier.

      Marissa lag wohlgebettet in dem alten Liegestuhl, der im Schuppen hinten am Ende des Gartens sein Dasein gefristet hatte und hellerfreut war, als er von ihr mit Emilias Hilfe ans Tageslicht befördert wurde.

      Die Großmutter hatte sich seiner erinnert als sie sich darüber Gedanken machte, wie es für Marissa im Garten am bequemster wäre. Auf der hölzernen Bank konnte man zwar ganz gut sitzen, aber für ein entspannten Liegen und hochlagern des Fußes war sie auf Dauer nichts.

      „Ich benutze ihn nicht mehr, mir ist er zu tief. Aber für dich müsste er genau richtig sein.“ So waren die beiden zusammen zum Gartenende über den Rasen gegangen bzw. gehumpelt, wobei Emilia erst nichts davon hatte wissen wollen, dass Marissa mitkam. „Du sollst den Fuß schonen…“

      „Ja, Oma“, nickte Marissa und humpelt los. Sie war einfach zu neugierig, was wohl sonst noch in dem Schuppen zu entdecken war, den sie aus ihrer Kinderzeit als unheimlich empfunden hatte. Sie hatte sich immer ausgemalt, dass dort vielleicht eine Hexe wohnte, wie bei Hänsel und Gretel. Oder dass da vielleicht eine Prinzessin gefangen gehalten wurde und dringend darauf wartete, befreit zu werden. Oder ein gefährliches Untier, das dort eingesperrt war. Es gab unzählige Möglichkeiten, eine gruseliger als die andere. Und alle hatten sie daran gehindert, in unmittelbare Nähe des Schuppens zu kommen oder wohlmöglich ins Innere vorzudringen. Undenkbar….

      Auch jetzt so viele Jahre später, war ihr ein klein wenig mulmig als sie dem Holzverschlag so nah kam. Ihr Verstand sagte ihr, dass es dort nichts zu fürchten gab, aber – man wusste ja nie.

      Die Türe quietschte ein bisschen in den Angeln als Emilia das rostige Schloss öffnete und ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen. In der Dunkelheit drinnen konnten sie kaum einen Gegenstand unterscheiden. „Hier muss doch noch Licht sein“, murmelte Emilia und tastete auf dem Fußboden nahe der Türe. „Wusste ich’s doch“. Sie hielt eine riesige Taschenlampe in der Hand. „Ob die wohl noch geht?“ Sie ging, auch wenn das Licht recht spärlich über das abgestellte Gerät glitt. Marissa hielt sich an der Tür gelehnt fest und versuchte, näheres zu erkennen. Alles in allem war das Ganze ziemlich enttäuschend. Von Geheimnissen, Gespenster oder ähnlichen mysteriösen Erscheinungen war nicht das Geringste zu entdecken. Nur altes Mobiliar, Bretter, Gerätschaften , ein vorsintflutlicher Rasenmäher, Staub und Spinnenweben – nichts ungewöhnliches.

      „Da hinten – das könnte der Liegestuhl sein“, meinte sie schließlich als sie ihren Blick über das Inventar hatte schweifen lassen - und quietschte unvermittelt entsetzt auf als sich etwas mit rasender Geschwindigkeit auf sie zubewegte und schon verschwunden war, bevor sie es genau wahrgenommen hatte.

      „Mäuse“, meinte Emilia trocken. „Komm hilf mir mit dem Liegestuhl, aber pass auf deinen Fuß auf.“ Schließlich bugzierten sie das Möbel auf der alten Schubkarre, die ebenfalls untätig im Schuppen stand und stellten ihn an einen Schattenplatz auf den Rasen. Gemeinsam befestigten sie noch das zugehörige Fußteil und dann ließ sich Marissa sofort auf dem neuem Sitzplatz nieder.

      „Hier bleib ich“, verkündete sie. „Das gefällt mir.“

      „Freut mich. Ist hoffentlich ein bisschen Ersatz für den Strand.“

      „Absolut.“

      Marissa lehnte sich hingegeben zurück und ließ sich in den nächsten Stunden mehr und mehr in die grüne Sommerblätterwelt ziehen. Wenn sie die Augen schloss, hörte sich das leichte Rauschen in den Zweigen wie sanftes Wellenspiel an. Manchmal trug ein Windhauch den Duft von Lavendel zu ihr.

      Irgendwann im Laufe des Tages war Kater Teo aufgetaucht mit einem, wie Marissa fand, verwegenen Gesichtsausdruck, der von nächtlichen Abenteuern zeugte. Er sprang sofort zu ihr auf die Liege und machte es sich am Fußende bequem. Sein Fell schmiegte sich angenehm an ihre nackten Beine. Dem wehen Knöchel kam er dabei instinktiv nicht zu nahe. Manchmal kitzelten seine Barthaare in ihren Kniekehlen. Sein Schnurren klang behaglich an Marissas Ohren und mischte sich mit dem lauen Wind, dem Blätterrauschen.

      *

      Anfangs schien es so als ob sich die Tage einer wie der andere in gleicher, angenehmer Weise aneinander reihen würden.

      Marissa schlief morgens lange, genoss es, sich im Bett zu räkeln und erst dann aus den Decken zu kriechen, wenn ihr danach war oder Kater Teo sie so penetrant mit seiner kleinen, harten Zunge an den Zehen leckte, dass sie sich vor Kitzeln das Lachen nicht mehr verkneifen konnte und aufgab. „Ist gut, Schnurre-Teo, ich steh auf.“ Mit ihrem Knöchel ging es zwar alles langsam aber von Tag zu Tag erholte er sich. Und Dr. Schmidtmann, der ihn sich ansah, war zufrieden. „Noch ein paar Tage, dann kannst du wieder an den Strand. Aber bis dahin: Geduld!“

      Geduld – das war nicht unbedingt ihre Stärke, aber scheinbar hatte dieser ruhige, endlegende Ort eine besänftigende Wirkung auf sie, denn sie hatte kaum das Bedürfnis nach Unternehmungen oder Ablenkung. Es tat ihr einfach gut, hier zu sein. Ihre Großmutter war auch ein Schatz, verwöhnte sie so gut sie konnte. Einmal in der Woche kam der Kaufmann vom Dorf mit seinem