12 fette Frauen. Cathrin Sumfleth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathrin Sumfleth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774965
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meinen Tagesplan", sage ich schnippisch, greife nach meiner Tasche und meinen Kopfhörern und gehe. Was das Vorgesetztenverhalten angeht, hätte ich auch in der Kita bleiben können, denke ich, als ich die Treppen hinunter steige. Ach, nicht mal nur das Vorgesetztenverhalten – die ganze Branche, so ein riesiger Kindergarten. Noch 3 Stockwerke bis in die Freiheit. Im ersten Stock höre ich eilige Absätze über mir im Treppenhaus, kurz vorm Ausgang haben sie mich eingeholt. Es ist Bianca. Sie hat Tränen in den Augen. Ich blende sie aus, zünde mir eine Zigarette an. „Du hast mit Nico geschlafen!", schreit sie mich an. Oh mein Gott. Auch das noch. Ich hab mich vom Chef demütigen und feuern lassen und nun muss ich mir auch noch die Eifersuchtsattacke einer Frau mit einem IQ von knapp über 85 gefallen lassen. „Warum hast du das gemahahaaacht?", schnauft sie. „Das ist echt lange her, Bianca.", sage ich. Anstatt sich zu beruhigen, steigert sie sich immer weiter rein. „Ich bin so verliehiehiebt in ihn und ich ... ihihiiich weiß nicht, warum er so etwas tun würde, mich zu betrügen mit ... mit ausgerechnet diiiir", sie schnappt unter all den Schluchzern nach Luft. Ich auch. 'Mit ausgerechnet dir'. Heute ist wirklich mehr als nur Tag es Arschlochs. Ich fasse den spontanen Entschluss, dass es einfach nichts bringt, ihr auf eine nette Art und Weise zu erklären, dass das mit Nico und mir längst vorbei ist. Ich werde heute keine Unverschämtheiten mehr runter schlucken, das Fass ist voll. Was schläft er auch ausgerechnet mit mir. Das wird Folgen haben – zumindest ab genau dieser Sekunde. Ich zupfe an meinem ohnehin unvorteilhaften Babydoll-Top, strecke meinen Bauch heraus und sage: "Acht Monate ist es her, Bianca. Zumindest fast acht Monate. Dein toller Nico ist nicht, was er vorgibt zu sein. Er hat mich betrunken gemacht und dann hat er mich geschwängert." Endlich ist mein Übergewicht zu etwas gut. Leute wie ich können auch anders. Ich lasse sie allein und sich vor Elend krümmend vor der Agentur stehen und stolziere von dannen. Zwar ohne Job und ohne tatsächliche Schwangerschaft, dafür aber mit einem unerwartet guten Gefühl. Ich mache einen längeren Spaziergang, bevor ich bei Carmen und Rami im Laden vorbeischaue. An der Elbe entlang, ein Stück über den Kiez und schließlich durch den Walter-Möller-Park. Hier setze ich mich kurz mit Musik auf den Ohren auf eine Bank und versuche, über die jüngsten Geschehnisse nachzudenken. Aber mein Kopf ist leer und ich fühle nichts. Das muss der Schock sein, denke ich, während ich in den Zweigen eines Baumes zwei Vögel beobachte, die sich mit den Schnäbeln zu einem merkwürdigen Klumpen verformt haben. Wenn das die Balz ist, dann tut es mir leid. Und irgendwie, und das tut mir auch leid, fällt mir dieser total beschissene Spruch ein: „Menschen sind Engel mit nur einem Flügel: um fliegen zu können, müssen sie sich umarmen." Schwachsinn, denke ich. Zwei Vögel haben gemeinsam sogar vier Flügel. Und sie können zusammen absolut gar nichts. Wenn ich mich jemals auf dem Boden der Tatsachen befunden habe, dann heute. Ich hätte es mir immer irgendwie schlimmer vorgestellt. Hätte mir jemand vor einer Woche erzählt, was passieren würde, dann hätte ich nicht für möglich gehalten, hier heute auf dieser Bank zu sitzen und eigentlich absolut gefasst zu sein. Irgendwie desillusioniert aber gleichzeitig so ... frei. Während mich Anas „Whiskey" musikalisch beschallt, setze ich meinen Weg fort. Dabei beschleicht mich das Gefühl, dass ich dringend einen Drink brauche.

       Could it be that this is not my time And what I need is a place somewhere deep in my mind So I drink my dreams on the rocks Whiskey is my only friend, the only one who holds my hand

      Ich bin nicht mal ein besonderer Fan von Whiskey, aber Carmen hat noch eine Flasche Jim Beam im Laden. Ohne überhaupt nach einem Grund zu fragen, schenkt sie uns zwei Coffee To Go-Becher voll. Pur, ungekühlt und ohne Eis. „Prost, Paula", sagt sie. „Auf meine Mutter! Sie war wundervoll!"

      „Sie war wundervoll", wiederhole ich und trinke. Huste. Trinke.

      Rami kommt mit einer Kiste Bier aus dem Lager um einen der Kühlschränke aufzufüllen.

      „Was ist hier denn los?", fragt er.

      „Whiskey", sagt Carmen.

      „Seit wann trinkt ihr denn Whiskey?", fragt er. „Seit jetzt!", sagt Carmen und prostet ihm zu. Er befüllt achselzuckend und wenig überrascht den Kühlschrank, dann stellt er sich zu uns. „Wie geht es dir, Paula? Was machst du hier? Hast du frei?" „Mein Chef hat mich gefeuert." Carmen, die gerade einen weiteren Schluck Whiskey genommen hatte, verschluckt sich und prustet. „Wie bitte?!" „Ja.", ich nippe an meinem Becher. „Warum?!", Carmen ist aufgebracht. Aufgebrachter als ich. Dabei habe ich nur meinen Job verloren und sie ihre Mutter. Ich bin von mir selbst überrascht, einen Gedanken zu haben, der überhaupt in die Richtung „nur ein Job" geht. Ich glaube, ich bin besessen von meinem Job. War besessen. Bis gestern. Bis Fit Shake. Und auf einmal, keine Stunde nach meiner Kündigung, ist es nur ein Job. Komisch. Ich muss unter Schock stehen. Zu meiner eigenen Überraschung lache ich. „Ich habe eine Präsentation versaut. Es ging dabei um einen Protein-Shake der das Essen ersetzen soll, und zwar langfristig. Ich habe das wohl ... zu wörtlich genommen. Haha. Also, ich habe meine Kampagnen-Testimonials Dinge sagen lassen wie ‚Seitdem ich dank Fit Shake endlich mit dem Essen aufgehört habe, habe ich viel mehr Zeit für mich.' und ‚Jeden Tag eine Stunde mehr Zeit fürs Training – dank Fit Shake.' - und: ‚Beim Alsterlauf hänge ich nun all meine Freunde ab. Und durch die gewonnene Zeit kann ich nun eine ganze Runde mehr laufen.' und bei den Business-Motiven: ‚Essen? In meinem Job ist das verlorene Zeit!' und ‚Endlich kann ich meine Mittagspause effektiv nutzen! Dank Fit Shake'. Ich pruste noch immer und auch Rami lacht. „Phaha, Essen! So eine Zeitverschwendung! Wer macht denn so einen Scheiß? Haha." Carmen schaut mich einfach nur schockiert an. „Paula! Du liebst doch deinen Job!" „Es ist nur ein Job." „Ich meine ... wie kann er dich nur rausschmeißen? Okay, wenn er die Kampagne nicht mag, das kommt vor. Ich mein ... was hast du dir dabei gedacht?! Trotzdem. Das kommt vor. Aber wie kann er dich einfach direkt rausschmeißen? Du hast all dein Herzblut in diesen Laden gesteckt." „Mein Chef ist der größte Ficker auf der Welt!", brülle ich und bemerke, dass ich ganz schön lalle. „Isso!", Carmen hebt ihren Coffee To Go Becher. Ein Kunde möchte eine Packung Marlboro und ein Bier. Wir stoßen mit ihm an. Dienstag Mittag, 13.30 Uhr. Ich stehe arbeitslos in einem Kiosk mitten in Altona und bin stockbesoffen. Als ich nach Hause schwanken will, zieht Carmen mich noch einmal zu sich und sagt „Übrigenns, Paulaha. Ich hab dem Ermittler deine Nummer zugeschdeckt! Der wollte nochma mit dir schprechen!" „Der'mittler?", frage ich. „Vom Morddezernat!", sagt sie. „Morddezernat", wiederhole ich und freue mich, dass sich das Wort betrunken hervorragend sagen lässt. „Al's klar!" Ich verlasse den Klönschnack und nehme ein Taxi. Als ich voll bekleidet in meinem Bett angekommen bin, klingelt mein Handy. „Moin, Clausen hier! Sprech ich mit Frau Groß?"

      Zwölf fette Frauen

      Um 23.30 Uhr werde ich wach und fühle mich eigentlich relativ ausgeschlafen. Mir ist ein bisschen flau und ich habe das Gefühl, mich unter einer Glasglocke zu befinden. Alles, was heute passiert ist, ist ganz weit weg. Als ich mich gerade dazu entschieden habe, mir einen Tee zu machen, klopft es an der Tür. Als würde das zu dieser Uhrzeit ganz regelmäßig passieren, mache ich wie selbstverständlich auf.

       Es ist Ulla. Sie streckt mir eine Tasse entgegen. „Es ist eine ganz besondere Kräutermischung", sagt sie. „Die wird dir nach diesem Tag guttun."

       Ich hake einfach nicht weiter nach und trinke einen Schluck. „Komm rein, Ulla."

       Sie gleitet an mir vorbei und platziert sich auf meinem Wohnzimmersofa.

       „Hat er dich bereits kontaktiert?", fragt sie.

       „Wer, er?"

       „Na, der Mann im Trenchcoat!"

       „Der Ermittler? Ja. Er hat vorhin angerufen, wir treffen uns morgen Mittag an den Landungsbrücken ... aber woher weißt du davon?"

       „Ich sah ihn im Kaffeesatz. Er ist dein Schicksal, Paula."

       Ich lache in meinen Tee. „Mein Schicksal", wiederhole ich. Ulla nickt. „Ulla, er ist bestimmt über 60 Jahre alt. Und wiegt bei einer Körpergröße von 1,79 m mindestens 130 Kilo. Und Haare hat er auch nur noch wenige, ich weiß nicht, ob ..." Sie fällt mir ins Wort: „Nicht im