SCHIKO – Portraitskizzen: Der Schulmeister aus einem vergangenen Jahrhundert. Klaus Schikore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Schikore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754946640
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späten Rückblick unseres ersten Schulleiters – schon aus den ersten Eindrücken der neuen Wirkungsstätte in der Loger Straße heraus – gemeint ist: „Nun saßen wir also in einem neuen Palast, wo alles neu und geordnet war … Und doch (…) kam es mir in der neuen prächtigen Residenz und auch heute (Januar 1985) noch oft so vor, als sei, alles in allem, die Pionierzeit in der Bahnhofsstraße in so mancher Beziehung schöner gewesen.“ War es das, was uns hielt: Pionierzeit?

      Ich möchte an dieser Stelle allen Anwesenden die Grüße von Herrn Schirmer übermitteln. Er bat mich kürzlich, um Ihr Verständnis für seine heutige Abwesenheit nachzusuchen: Achtzigjährig nimmt er in Hamburg an einem Klassentreffen seiner Abiturienten aus dem Jahrgang 1940 teil. Ein Schulmann versteht, was diese Zahlen aussagen – auch wenn wir heute auf 25 Jahre zurückblicken. –

      Der Aufbruch war getan, und noch kein Ziel unserer Reise war erreicht. Zwischenstation? Erneut brachen wir auf und erneut die Frage: Zu welchen Ufern? Am 15. Oktober 1965, bei Wiederbeginn des Unterrichts nach den Herbstferien, erfolgte der Schulbeginn im neuen Gebäude an der Loger Straße – ein einkerbungswertes Datum. Dies war nur möglich, nachdem sich mit Beginn der Ferien innerhalb dreier Tage eine für die Gartenstadt am Teufelsmoor einmalige Materialbewegung durch die Straßen der Stadt vollzog: Ein sich aus allen Schülern und Lehrern zusammengesetztes Möbelpack- und -schleppkommando setzte sich ameisenartig vom 31.09. bis 02.10. in Bewegung und transportierte das bewegliche Inventar einer Schule, der alten, in eine andere, der neuen. Die Metamorphose vom kleinen gymnasialen Provisorium zum sich in kühn geschwungener Bogenarchitektur darstellenden mathematisch-naturwis-senschaftlichen und neusprachlichen Gymnasium (mit Lateinzug) sollte gekrönt werden mit der feierlichen Einweihung am 05.11.1965 im Beisein hohen Besuchs, was damals hieß: Regierungspräsident aus Stade. Er bescheinigte uns, eine große Lücke in der Bildungslandschaft des Regierungsbezirks geschlossen zu haben. – Wie gut, dass selbst ein Regierungspräsident nicht ahnt, welch Kummer ihm (und seiner Behörde) in den kommenden Jahren ein so stolzes Gebilde machen konnte.

      An dieser Stelle muss nun endlich auch dem Landkreis Osterholz Erwähnung in unserem Bericht eingeräumt werden – und das keineswegs nur als belangloser „Seitenkratzer“: Ist er doch auf der „nüchtern-materiellen Ebene“ als Schulträger unser ständiger Wegbegleiter. Nach langen und wohl auch schwierigen Diskussionen und Verhandlungen zwischen Stadt und Kreis sahen sich die Verwaltungen und Kommunalpolitiker im Januar 1962 in der Lage, die Entscheidung über die künftige Schulträgerschaft zu treffen. Verhandlungsergebnis für den Landkreis: Genau aufgeschlüsselte Beteiligung an den Kosten, Übernahme der Trägerschaft nach Fertigstellung des 1. Bauabschnitts. Die Stadt nahm im Sommer 1962 die Bedingungen an. Damit schien auch ein erster Streit um die Namensgebung erledigt: Die Frage nämlich, ob die neue Bildungseinrichtung an der Loger Straße nun ‚Bach- oder Händel-Gymnasium‘ heißen solle. Jene Vorschläge beruhten aber keineswegs auf der Erkenntnis, dass sich das 25jährige Jubiläum des Gymnasiums im Bach- und Händel-Jahr ereigne, sondern charakterisierten die äußeren Umstände: die Lage am Scharmbecker Bach und die tönenden Händel zwischen Stadt und Kreis.

      Wir aber konnten uns freuen: Am 19. November 1963 erfolgte an einem regnerischen Tage die Grundsteinlegung. Wir zogen dann – es ist schon gesagt – im Oktober 1965 ein, in dieses neue und für das Stadtbild charakteristische Gebäude, ausgestattet mit allen modernen Unterrichtsmitteln, mit rund 19.000 Kubikmetern umbauten Raumes und mit 4,2 Millionen DM an Bau- und Einrichtungskosten. Und das war nur der 1. Bauabschnitt für damals 477 Schüler in 16 Klassen. Der Landkreis wäre wohl erleichtert gewesen, wenn sich folgende Titelüberschrift im OK anlässlich jener Einweihung bewahrheitet hätte: „Gymnasium Osterholz-Scharmbeck rechnet mit 26 Klassen und 700 Schülern im Endausbau der Oberschule.“ Diese Zahl aber war schon bei Beginn des 2. Bauabschnitts erreicht (1966); 1970 hatten wir bereits 1.007 Schüler und 38 Klassen, 1975 mit 1.617 Schülern den Höchststand in 60 Klassen (38 in der Mittelstufe, 22 in der Oberstufe). Das musste alles „nüchtern-materiell“ vom Schulträger bewältigt werden.

      Und lassen Sie mich gleichsam im Zeitraffer festhalten, wie die Geschichte unserer letzten 20 Jahre am Barkhof auch die Geschichte einer ständigen Baustelle war: 1965 - 1. Bauabschnitt fertig; 1966/67 - Beginn und Fertigstellung des 2. Bauabschnitts; 1968/69 - 3. Bauabschnitt (Sporthalle mit Kleinspielfeldern); 1969 - Mobilbauklassen am Heiz-Haus; 1971/72 - 4. Bauabschnitt; 1973/74 - Parkplatzausbau vor der Schule; 1974 - Vorplatz, 1. Bauabschnitt; 1977 - Vorplatz, 2. Bauabschnitt; 1979/80 - Erweiterung des Biologie-Traktes; 1980 - Mobilbauklassen hinter der Sporthalle; 1981 bis 1983 - Erweiterung des 1. Bauabschnitts, Aufstockung des 4. Bauabschnitts und weitere Umbaumaßnahmen. Alles in allem hat der Schulträger eine Summe von rund DM 20 Millionen bereitgestellt. Ihm sei gedankt.

      Und während all dieser Jahre wurde gelernt, gelehrt, gearbeitet. Vielleicht ist unseren Schülern in dieser Zeit bewusst geworden, dass geistige Arbeit ebenso wie körperliche Arbeit geleistet sein muss, dass beides – Kopfarbeit wie Handarbeit – in unserer Gesellschaft einander bedingen. Und der Arbeiter hat uns gezeigt, dass man eine Aufgabe, die man begonnen hat, vollenden kann. Drum sein dem Arbeiter heute auch gedankt.

      Zwei Ereignisse aus der Anfangszeit am Barkhof gehören eingeritzt in die bleibenden Annalen: eines aus dem Jahre 1966, das andere aus dem Jahre 1970.

      Es ist immer das Glück der Ersten, einen Platz eingeräumt zu bekommen, obgleich doch aller Anfang sich nur aus der Gunst der Stunde ereignet. So auch mit unseren ersten Abiturienten: Am 19. und 20. September 1966 haben 12 Kandidaten des neusprachlichen Zweiges, 3 Schülerinnen und 9 Schüler, die im April 1960 in der 7. Klasse aufgebrochen waren, ihr Ziel, die Reifeprüfung, erreicht. Ihre Reise durch Höhen und Tiefen bundesdeutscher Bildungslandschaft hatte sich gelohnt. Unsere ersten 12 Abiturienten eröffneten so die Reihe der 2.006 Schüler, die in den seit diesem Datum vergangenen 20 Jahren das Abitur bestanden haben bzw. jetzt unmittelbar davorstehen. Wollen wir wieder einige Zahlen sprechen lassen: 1976 verabschiedeten wir 120, 1980 204 Abiturienten. In diesem Jahr stellen sich 176 der Prüfung.

      Bei allem Ernst, bei allem Fleiß, der notwendig war und der gefordert werden musste, es sind uns unsere „alten Herren“ – heute alles Enddreißiger (von den Damen nennt man das nicht) – doch auch als eine sehr gesellige Runde in Erinnerung. Es geht sogar das Gerücht, dass drei der Herren die geistigen Urheber des an unserer Schule obligaten 3.000m-Laufes gewesen seien: Bei der Abnahme der Sportprüfung hätten sie, um ihre von Runde zu Runde immer schwerer werdenden Beine aufzufrischen, schon ab der dritten Runde jeweils in der Südkurve des Waldstadions eine belebende Flüssigkeit zu sich genommen. Die Prüfungskommission hat sicherlich deren Erschöpfung im Ziel als völlige Verausgabung für gutes Abschneiden gewertet. Wünschen wir auch den diesjährigen und künftigen Abiturienten solch Glück.

      Das Jahr 1970 bringt dann dem Gymnasium ein weiteres, sehr einschneidendes Ereignis: den Wechsel der Schulleitung. Der Chronist hält den 6. August 1970 mit der Titelüberschrift und einem Auszug aus dem OSTERHOLZER KREISBLATT fest: „‘Willkommen, Herr Rechtmann! Sie werden schon Arbeit finden.’ Oberschulrat Doss verabschiedete Direktor Schirmer und führte Nachfolger ein.“ Und es heißt dann in dem Bericht: „Doss prophezeite Rechtmann, dass es in der Zeit des ständigen Umbruchs in der Schule, des ständigen Reformbedürfnisses und der Reformwünsche ihm oft nicht erspart bleiben würde, zu improvisieren. Es werde viel verlangt, und das Bild der Schule werde wesentlich von der Persönlichkeit ihres Leiters abhängen. Die Zeit des Schulmonarchen sei vorbei. Mehr als früher werde von dem Leiter verlangt, Verantwortung zu tragen, Entscheidungen zu fällen, die nicht in der Dienstordnung festgelegt seien. Die starke Persönlichkeit ist nicht mehr durch ein System gedeckt, das ihm von vornherein recht gibt.“ Soweit der Bericht des Kreisblattes.

      Dieser Wechsel in der Schulleitung erfolgte in einer Zeit, da sich in unserer Gesellschaft selbst – und nicht nur in der Bundesrepublik – ein tiefer Wandel, ein neuer politischer Aufbruch vollzog: Es ist die Zeit der Studentenunruhen, der Beginn der politischen Neuorientierung in der Schulpolitik. Eine Schule wäre keine lebendige Schule, öffnete sie selbst sich nicht dem Neuen, stellte sie selbst sich nicht den von außen auf sie einstürzenden Problemen, um die ihr hieraus erwachsenen Konflikte anzunehmen und auszutragen,