SCHIKO – Portraitskizzen: Der Schulmeister aus einem vergangenen Jahrhundert. Klaus Schikore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Schikore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754946640
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Schulversuch IGS/KGS, Oberstufenreform; Schülerdemonstrationen, Protestmarsch, Konflikte, Auseinandersetzungen zwischen Schülern und Lehrern, in der Elternschaft, in der Lehrerschaft. Und zu allem noch: Lehrermangel, Raummangel vor Ort und daneben Aufbauarbeit in Lilienthal, in Ritterhude und schließlich auch in Schwanewede.

      Wahrlich – eine turbulente Zeit, die der Oberschulrat 1970 dem neuen Schulleiter prophezeite. Vorbei waren die Tage, da ein Schulleiter zur Klampfe griff und statt des Englisch- oder Französischunterrichts mit seinen Schülern auch einmal musizierte. Jetzt hatte ein Gymnasium sich nach außen zu verteidigen, und – auch die Ära Rechtmann hat ihre Reize. Der Chronist sieht sich nur vor eine kleine Schwierigkeit gestellt, w i e er die einkerbungswerten Ereignisse in die Messlatte der Schulchronik einträgt. Er bräuchte hierzu einen Zweifarbenstift: einmal schwarz, einmal rot (oder: Soll er die Reihenfolge umkehren?) Es irrt, wer meint, dies müsse politisch ausgelegt werden; es soll nur verdeutlichen, wie bunt doch so ein Schulleben sein kann. Aber lassen wir den Chronisten wieder sprechen.

      Bereits seit Beginn 1972 hatte die Diskussion über die Neuorientierung und Neuorganisation des Schulwesens auch den Landkreis Osterholz voll eingesetzt: Die Klassen 5 und 6 sollten in die neu zu bildende Orientierungsstufe eingebracht werden, die sog. Sekundarstufe I (Klassen 7 – 10) und Sekundarstufe II (Klassen 11 – 13) dem Gymnasium erst einmal erhalten bleiben. Während die gymnasialen Züge aus den einzelnen Schulorten vorläufig dem Gymnasium Osterholz-Scharmbeck zugeordnet werden sollten, sollten im Sekundarbereich II die Klassen 11 – 13 aus dem gesamten Kreisgenbiet in unserem Gymnasium zusammengefasst werden – und das bei damals schon 1.200 Schülern. Am 1.8.1973 war im Kreis der erste Schritt dieser schulischen Umorganisation vollzogen: Das Gymnasium hatte keine Klassen 5 und 6 mehr. Da OK meldet: „Orientierungsstufe wird auch in der Kreisstadt ab 1. 8. Regelschule – gescheiterter CDU-Versuch, die Entscheidung noch aufzuschieben.“ (Dies war eine Kerbe für „rot“; keine Sorge, die für „schwarz“ kommt gleich.)

      Bereits seit August 1972 hatte die Gesamtkonferenz des Gymnasiums beschlossen, sich an der Planung einer Kooperativen Gesamtschule zu beteiligen, damit diese ab Schuljahr 1974/75 beginnen könne. Die schulpolitischen Turbulenzen aber um diesen Schulversuch wirbelten von 1972 an bis Frühjahr 1975 und füllten einen Leitz-Ordner mit Artikeln, mit Leserbriefen, mit Stellungnahmen aus dem OSTERHOLZER KREISBLATT : Hier einige Wende-Marken: Am 21.Juni 1973 wird gefragt: „Gesamtschulversuch erneut geplatzt? – Kollegium des Gymnasiums gegen Mitarbeit in der Planungsgruppe.“ Und dann heißt es am 13. März 1975: „Endgültig ‚Nein‘ zum Schulversuch“ und einen Tag später „Nachruf auf einen Schulversuch.“ (Kerben für „schwarz“.)

      Was, wenn nicht ein sinnloser Scherbenhaufen zurückbleiben sollte, ist denn die Erkenntnis aus jenen zerstrittenen Jahren? Heute, aus dem Abstand von mehr als einem Jahrzehnt, lässt sich leichter antworten: Es war – vom Gesetzgeber initiiert und von Schulleuten und Politikern angenommen, von Befürwortern wie Gegnern redlich, aber engagiert unternommen – der Versuch, einer jungen Generation Bildungsmöglichkeiten und -wege zu schaffen, die organisatorisch und von den Lerninhalten und -differenzie-rungen her den Anforderungen eines modernen, naturwissenschaftlich-technologischen Zeitalters gerecht werden. Das ist wohl notwendig. Nur eine Planungsgröße schien bei jenem Vorhaben damals fehleingeschätzt worden zu sein: eben die G r ö ß e. Die anonyme Größe eines wohl organisier- und steuerbaren Apparates, in dem der junge Mensch in seiner Entwicklung und Leistung aber zur bloßen Nummer-Stelle einer Abtcheckliste degradiert zu werden drohte.

      Aber die Größe ist unser Schicksal! Der Schulversuch war abgebrochen, aber unsere Schule wuchs. Am 1. August greift das Gymnasium mit seiner Arbeit aus: nach Ritterhude, nach Lilienthal, nach Schwanewede. In den beiden letztgenannten Orten verselbstständigt sich unsere gymnasiale Aufbau- und Unterstützungsarbeit später wieder. Aber das Gymnasium OHZ wurde „Mutterhaus“, sein Schulleiter „Bruder Prior“. War diese Aufgabe überhaupt zu leisten, ohne dass an irgendeiner Stelle Klagen laut wurden: in der Schülerschaft, in der Elternschaft, in der Öffentlichkeit? Unvergessen und einkerbungswürdig („rot“ u n d „schwarz“) der 12. Juli 1979: Auf den Straßen von OHZ Demonstrationszug von Schülerschaft und Lehrerschaft zum Kreishaus. Auf den Plakaten: „Schüler setzen sich zur Wehr: Keine Kompromisse.“ … „Mehr Räume statt Nachmittagaunterricht“. Eine Resolution konnte nicht übergeben werden: Das Kreishaus hatte sich auf Belagerungszustand eingestellt. Ob wir wohl alle observiert worden sind? Eben das ist gelernte und erfahrene Demokratie.

      Parallel zu dieser Entwicklung mussten wir dann ab 1976 die Oberstufenreform – der jüngste Einschnitt in der Organisationsstruktur unserer Schule – in den Schulalltag umsetzen, was eine Fülle von Erlassen und Richtlinien zu bewältigen hieß: NGO, OGO, VGO; RPO, APO, AVO/GOFAK (alles noch nicht im Abkürzungslexikon enthaltene Kürzel bundesdeutscher Erlasssprache). Doch seit 1979 führen wir unsere Schüler durch alle Paragraphen hindurch zum Abitur, zur Hochschulreife oder in einen Beruf oder …? –

      Der Bericht über die Vergangenheit hat die Gegenwart eingeholt. Und aus ihr wird immer nach dem Morgen gefragt. Aber dieses Morgen ist immer offen, antwortlos auch, selbst auf das Wissen, mit welchem wir meinen, aus einer Vergangenheit Sicherheit für ein Morgen herleiten zu können. So ist denn auch unsere Reise durch 25 Jahre nur an einer Zwischenstation angelangt, minutenkurzer Aufenthalt: Was laden wir ab? Wer steigt zu? Welche Weichen sind bei der Weiterfahrt gestellt?

      Der Chronist müsste nicht Schulmeister sein, wollte er nicht versucht sein, aus dem Blick für die Vergangenheit einige für die Weiterfahrt zu überdenkende Schlussbemerkungen hinzuzufügen. Der Bericht über 25 Jahre Schulalltag ist so bruchstückhaft, wie der einzelne Reisende allenfalls für wenige Stunden Mitteilung erhält aus dem Leben, der Arbeit, den Wünschen eines Mitreisenden in seinem Abteil. 25 Jahre Schulchronik müsste die Berichte aus 25 Jahren Schulalltag von rund 3.330 Schülern enthalten, die unser Gymnasium in guter oder schlechter Erinnerung haben. 25 Jahre Schulchronik müsste die Notizen von über 300 Lehrern enthalten, die uns ein Stück des Weges begleiteten oder heute noch mit uns auf der Reise sind.

      Sie, liebe Eltern, fragen heute, was denn der Ertrag unserer bisherigen Reise ist. Lassen Sie mich so antworten: Das, was Ihre Kinder an täglicher Schularbeit selbst geleistet, und das, was sie nach ihrer Schulzeit aus sich gemacht haben. Sie haben sich in der vergangenen Woche einen kleinen Ausschnitt dieser Arbeit ansehen und anhören können, vor allem im Bereich der Musik, der Kunst, des Theaters. Seit Beginn unserer Arbeit vor 25 Jahren haben nicht nur Chor und Orchester in die Öffentlichkeit gewirkt, auch in hervorragenden Einzeldarbietungen haben Schüler wie Ehemalige Anerkennung und Beifall erhalten. In Pausenhallen und Fluren können wir uns täglich die künstlerische Auseinandersetzung mit Umwelt und Alltag vergegenwärtigen. Die Aufführungen unserer Laienspielgruppen sind aus dem kulturellen Leben dieser Kreisstadt nicht mehr wegzudenken – und das schon seit den 60er Jahren.

      Der Sport muss erwähnt werden. Er hat – ich will hier keine Disziplin schmälern oder hervorheben – dieses Gymnasium ebenfalls bekannt gemacht: schon beim „Spiel ohne Grenzen“, bei Bezirks-, Landes- und bundesdeutschen Schulmeisterschaften. Empfang beim Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Ehrungen durch Stadt und Kreis; eine Fülle von Pokalen ist die Anerkennung.

      In England waren unsere Schüler, Dänen waren bei uns, Wien haben Klassen kennengelernt, in den Vereinigten Staaten sind Austauschschüler, mit Caen in Frankreich besteht eine Schulpartnerschaft; neu sind die Kontakte zu Staaten im Ostblock: zur DDR, zur CSSR; aus Indien, Neuseeland und Afrika haben uns Ehemalige geschrieben; ein anderer wirkt als Pastor in Australien. Gymnasium OHZ sieht die Welt.

      Studentenkolonien finden wir in Kiel, in Hamburg, in Göttingen; aus Passau, Regensburg, München, Marburg, Frankfurt, Münster, Oldenburg kommen Studentenberichte. Gymnasium OHZ arbeitet. Und aus unseren Schülern sind Ärzte geworden, Juristen, Ingenieure, Wissenschaftler. Aber auch in Handel und Gewerbe hat sie ihr Weg geführt, und manch Abiturient hat auch am Schraubstock gestanden, auf dem Bau, im Hafen gearbeitet.

      Dessen solltet Ihr, liebe Schüler, Euch immer bewusst sein, die Ihr heute bei Eurem