SCHIKO – Portraitskizzen: Der Schulmeister aus einem vergangenen Jahrhundert. Klaus Schikore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Schikore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754946640
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Geschichte in deutschen Konzentrationslagern und Gaskammern hat zahlen müssen. Und wenn ein so in seiner Existenz bedrohtes Volk zur Notwehr gezwungen ist (wir spüren hier die tragische Problematik), darf sich eine mächtige Nation vor aller Welt hinstellen und Israel bezichtigen, es überfalle im Sinne „zionistischer Weltverschwörung“ und in der Manier Hitler-Deutschlands die friedlichen arabischen Nationen. In solchen Situationen haben Sie dann ein feines Gespür, mit wieviel Heuchelei und Verlogenheit in unserer heutigen Politik Machtpositionen gehalten werden sollen.

      Setzen Sie dagegen – gleich, wo Sie dazu später Gelegenheit haben werden – all Ihre Aufmerksamkeit über unser Tagesgeschehen und vor allem Offenheit und Anständigkeit im Denken! Haben Sie den Mut zur Offenheit, wagen Sie Offenheit immer dann, wenn Sie einem Denken und Handeln begegnen, das des Menschen unwürdig ist! Auch – wenn Sie es Freunden vorhalten müssen. Ja, ich denke hier an Vietnam: Bilder von brennenden Hütten unschuldiger, hilfloser Menschen, von zerrissenen Kindern, Frauen und Greisen sind des Menschen unwürdig! Neben der Verderbtheit unserer Welt haben wir nämlich eine Hoffnung: Wir können Schlechtes erkennen und uns bekennen zum Besseren. Wissen um die Wirklichkeiten unseres Weltgeschehens allein genügt nicht. Um unser Wissen zu nutzen, benötigen wir die bekennende Kraft unseres Geistes. Wollen wir Deutsche in der heutigen Welt mit die Beteiligten am Fortschritt der Menschheitsgeschichte sein, so müssen wir – um mit Jaspers zu sprechen – unserer mit „unwahrhaftiger Auffassung erfahrene Situation in Bezug auf unsere nächste Vergangenheit“ vor allem mit „Tatsachentreue und Urteilskraft“ begegnen. Wir brauchen – so sagt der Philosoph – für die „Redlichkeit unseres Selbstbewusstseins und unseres politischen Denkens“ ein neues Unterscheidungsvermögen von Wesentlichem und Unwesentlichem, ja, für unseren Anteil an der Geschichte sei „die Klarheit eines neuen Geschichtsbewusstseins“ entscheidend. Lassen Sie mich hierzu einige letzte kurze Anmerkungen machen.

      Wenn wir aus den beiden letzten Jahrhunderten unserer Geschichte eine Erfahrung gewonnen haben, so diese: Wir sind am Ende unserer nationalen Geschichtsbilder angelangt. In der Welt wird heute in anderen Größenordnungen gedacht, nicht mehr in der engen Lokalhistorie eines Nationalstaates. Wir sehen heute unser Volk eingeordnet in einen größeren Funktionszusammenhang einer großräumig gegliederten Welt. Das zwingt uns zu Konsequenzen. Wir haben unser eigenes Geschichtsbild zu revidieren, und nicht nur das, sondern auch das Bild von uns selbst und unserer Rolle in der Geschichte. Dazu gehört auch das Bewusstsein von der Tragik unserer gegenwärtigen Situation. Wir überwinden sie aber nicht, wenn wir Wunschbilder einer Vergangenheit träumen, sondern nur, wenn wir nüchtern, aber zielbewusst an der Aufgabe der Zukunft bauen. Diese geht über Deutschland hinaus (ich sage absichtlich nicht „hinweg“) und heißt: Europa. –

      Lassen Sie mich, meine Abiturienten, an dieser Stelle noch einmal Ihren alten Schulmeister spielen und Ihnen sagen: Herrschaften, politische Rückfälle in nationales Gebaren gleichen nur retardierenden Momenten eines Dramas, dessen Handlung den Tiefpunkt bereits hinter sich gelassen hat und nun aufsteigend der Lösung zueilt, wobei sie (die Rückfälle) selbst nur die Trittstufen, nicht die Setzstufen der steigenden Handlung darstellen.

      Mit dem Bild der „Stufen“ möchte ich Sie, meine Abiturientinnen und Abiturienten, nun aus unserer Schule entlassen. Es möge Ihnen nach Ihrem Auszug Sinnbild sein für das Aufsteigende Ihres Lebens. Die Schlussworte über die Ausdeutung jenes Bildes von den „Stufen“ soll Ihnen ein Dichter mitgeben:

       Stufen (Hermann Hesse)

      Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

      dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

      blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

      zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

      Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

      bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

      um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

      in andre, neue Bindungen zu geben.

      Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

      der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

      Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

      an keinem wie an einer Heimat hängen;

      der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

      er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

      Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

      und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;

      nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

      mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

      Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

      uns neuen Räumen jung entgegensenden,

      des Lebens Ruf an uns wird niemals enden:

      Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

      - - - - - - - - - - - -

      1.1.2 „Zwischen Aufbruch und Reise – Aus der Geschichte eines 25jährigen Gymnasiums“

      , Osterholz-Scharmbeck,

      17. Mai 1985 Festansprache: StD. Schikore

      Liebe Schülerinnen und Schüler, für die diese Schule in erster Linie da ist, seid auch an Eurem Jubiläumstage zuerst begrüßt!

      Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jahrein, jahraus in erster Linie für die Schüler da sein sollen, weil zwischen Pflicht und Neigung der Pädagogik verschrieben, Ihnen gilt der nächste Gruß! Ich schließe in diesen Gruß zum Jubiläumstage mit aufrichtigem Dank der heute noch Tätigen auch diejenigen ein, die als unsere Pensionäre heute wieder unter uns sind – und auch denjenigen, die an diesem Tage nicht mehr unter uns weilen, sei still gedacht und gedankt, während wir in bunten Bildern 25 Jahre aus der Erinnerung wieder lebendig werden lassen.

      Liebe Eltern, die Sie heute und während der vergangenen 25 Jahre zwischen Hoffen und Bangen den Werdegang Ihrer Kinder begleitet haben, manchmal der Schule gegrollt, oft doch auch der Schule Dank gezollt … liebe gute Geister aus Verwaltung und Säuberungsdienst, die Sie täglich unsere Arbeit organisieren helfen und vergessen machen, dass wir in einer Wegwerfgesellschaft leben – Sie alle seien als vom Jubiläum Betroffene begrüßt!

      Werte Gäste von unseren Nachbarschulen am Ort, mit denen uns in all den Jahren Bildung und Schulung unserer Jugend verbindet … werte Gäste aus Kreistag und Kreisverwaltung, die Sie auf der nüchtern-materiellen Ebene des Schulträgers die sachlichen Voraussetzungen für unsere Arbeit geschaffen – und es manchmal doch so schwierig mit uns haben: Auch Ihnen allen gilt unser Gruß zum Jubiläumstage!

      Und nicht zuletzt sei unsere Presse begrüßt: Erst durch sie hat sich unser eigentlich namenloses Gymnasium einen Namen gemacht, und ihre Mitarbeiter sind durch uns sicherlich nicht arbeitslos geworden. Zu einem guten Teil auf Ihre Arbeit greift heute der Chronist zurück, wenn er aus der Geschichte eines 25jährigen Gymnasiums „Aufbruch und Reise“ einer Schule skizziert.

      -

      Gestatten Sie dem Chronisten, bevor er zum eigentlichen Thema kommt, zwei Vorbemerkungen: eine allgemeine über den Sinn eines Jubiläumsrückblickes von 25 Jahren und eine persönliche zum angenommenen Auftrag.

      Zur ersten: „Geschichte… – sagte Jakob Burkhardt einmal - ist, was ein Zeitalter an einem anderen interessiert.“ Reichen dazu 25 Jahre? Sind wir nicht alle doch zu eingefangen, auch zu belastet von dem jungen Geschehen, das bildlich nach eingewohnter Tradition uns allenfalls einen „Silberlorbeer“ einbringt, wo wir doch so nach „Gold“ trachten? Hat sich eine Schule nicht erst dann den Anspruch auf einen würdigen Rückblick erworben, wenn sie auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken