Vierecke fallen nicht zur Seite. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175941
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Problemen. Deshalb war es wichtig, dass die Klasse ihn unterstützte. Aber da die Klasse das nicht alleine konnte, gab es da auch noch diesen Mann. Vui, die in der ersten Reihe neben Zeki saß, meldete sich. Sie überstreckte dabei ihren Ellenbogen und schnipste. Frau Rhemberg hob mahnend die Augenbraue. Vui verstand und hörte auf, die Finger zu bewegen. Frau Rhemberg nahm sie dran.

      „Sollen wir für Sachkunde liniert oder kariert nehmen?“

      Vui hatten einen Stapel von beiden neben dem Papphefter liegen.

      „Für den Sachkundeunterricht nehmen wir alle liniertes Papier“, sagte Frau Rhemberg und ging in die Klasse. Als sie bei Freya und Patrick stand, sah sie Freyas kariertes Papier.

      „Freya, mach das einfach wie im Deutschunterricht. Da hast du ja auch liniertes Papier genommen. Kariertes Papier nehmen wir nur für Mathematik“, sagte sie freundlich, dann ging sie weiter, ohne zu wissen, dass Freya alle linierten Blätter, die sie von ihren Eltern bekommen hatte, schon für den Deutschhefter verbraucht hatte.

      Da Frau Rhemberg eine gute Lehrerin war ging der Unterricht schnell vorbei. Danach hatten sie Mathe bei Frau Civelek. Dieses Fach mochte Freya wenig. Sie war nicht schlecht in Mathe. Beim schriftlichen Multiplizieren und Dividieren machte sie kaum Fehler. Aber sie konnte nur sehr mäßig Kopfrechnen. Wenn sie ein Blatt hatte, auf dem die Zahlen standen, dann ging es. Aber im luftleeren Raum, verlor Freya die Zahlen. Zum Ende der Stunde veranstaltete Frau Civelek ein Spiel. Eine Bank sollte aufstehen, dann wurde eine Rechenfrage gestellt. Wer die Frage zuerst richtig beantwortete, rutschte eine Bank weiter. Neslihan hätte eine ganze Runde geschafft, wenn sie nicht das eine Mal Sefa hätte gewinnen lassen. Als es klingelte stand sie neben Freya, einen Platz von ihrem eigenen entfernt. Wer eine ganze Runde schaffte, bekam ein Geschenk. Doch Neslihan hatte eine richtige Antwort zu wenig gegeben. Frau Civelek gab ihr nur lobend die Hand. Freya fand sie nett, aber irgendwie roch sie komisch, nach dicker Luft und dem, was ihr Vater jeden Abend trank. Frau Civelek winkte der Klasse zum Abschied. Die 3a hatte jetzt Sport. Doch da am ersten Tag nicht alle ihre Sporttasche dabeihatten, Freya auch nicht, ließ Herr Osowitsch sie auf dem Schulhof „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ spielen. Dann klingelte es. Freya schulterte ihren Ranzen, der jetzt auch die Bücher im Bauch hatte. Zu viert gingen Neslihan, Freya, Patrick und John an der Wand vorbei und die Treppe zur U-Bahnstation hinunter. Neslihan und John winkten. Sie fuhren eine lange Rolltreppe hinunter. Patrick und Freya kamen auf dem Ring wieder raus und liefen zu dem kleinen Trampelpfad. Sie bogen auf den Kleinhauerweg. Sie redeten über die Schule.

      „Kommst du heute noch mit raus?“, fragte Patrick.

      „Nein, ich mach die Hausaufgaben und dann muss ich Mama helfen“, sagte Freya.

      Die beiden Kinder verabschiedeten sich vor dem Eingang 38. Danach lief Freya weiter und holte ihren Schlüsselbund hervor. In dem Moment, in dem sie nicht auf den Steinplattenboden schaute, wäre sie fast auf einen alten Hundehaufen getreten. Die Sonne hatte die Kacke gebleicht. Freya schloss die Tür auf. Dabei stemmte sie ihr ganzes Gewicht dagegen. Sie tapste die grauen Stufen hoch und öffnete auch die Wohnungstür. Sie zog, noch mit dem Ranzen auf dem Rücken, die Schuhe aus und legte sie in das Regal. Dann ging sie in die Küche. Den Ranzen lehnte sie an das Tischbein. Nun flitzte sie ins Bad. Dort wusch sie sich vor und nach dem Pieseln die kleinen Hände. Als sie auf den hohen Küchenstuhl gesprungen war, merkte sie, dass sie heute noch nichts getrunken hatte. An die Gläser im oberen Fach kam sie nicht heran. Deshalb nahm sie die Müslischüssel unter der Spüle. Das Leitungswasser war warm und schmeckte nicht gut. Dann setzte sie sich an ihre Hausaufgaben.

      Buch 2 -2-

      Freya saß gerade am dritten Deckblatt. Deutsch und Mathe waren leicht gewesen, aber sie hatte sich trotzdem angestrengt, da sie eine Eins bekommen musste. Da klapperte an der Wohnungstür ein Schlüssel. Freya wollte sich, wie eine Turnerin, vom Stuhl schwingen. Dabei holte sie zu viel Schwung, sie rutschte mit ihren dünnen Söckchen aus und knallte gegen die Küchenmöbel.

      „Ja sag mal, was is´n hier los“, lachte Ian. Er stand in der Tür. Freya rannte zu ihm. Sie umarmte ihn kurz. Dann setzten sie sich beide an den Küchentisch.

      „Musst du viel machen?“, fragte Ian.

      „Es geht. Deckblätter für Mathe, Deutsch und Sachkunde. Und wir sollen ein paar Aufgaben lösen. In Mathe. Sachen aus dem letzten Jahr zum Auffrischen“, erzählte Freya. Sie fuhr mit ihrem Finger über die sauber eingetragenen Punkte in ihrem Hausaufgabenheft. Die Fingernägel waren abgeknabbert. Am linken Ringfinger wuchs die Haut über den Nagel.

      Ian suchte mit seiner Schwester, aus den Zeitungen von letzter Woche, Bilder für das Deckblatt heraus. Dann holte er aus dem Elternschlafzimmer Bücherumschläge und zog Freyas Ranzen nach oben. Während sie die Matheaufgaben löste, wickelte Ian die Bücher ein. Er schaute auf die Uhr. Es war 14:15 Uhr. In einer Viertelstunde war er mit Alex verabredet. Die Zeit reichte noch aus, um über die Berechnungen zu schauen. Ian erkannte keine Fehler. Dann ging er nach oben.

      Ian klopfte, Frau Okowenko öffnete die Tür. Sie stammte aus Krasnodar. Ian kannte den Verein. Deshalb konnte er das zuordnen. Alex´ Mutter sprach Deutsch, aber mit starkem Akzent. Sie begrüßte Ian freundlich und gab ihm ein paar Hausschuhe. Frau Okowenko war stark geschminkt, da sie gleich Einkaufen fahren wollte. Alex saß noch in seinem Zimmer. Er schaute nur kurz hoch, als Ian auf die lockere Diele trat. Auf einem grauen Röhrenfernseher rasten täuschend echt aussehende Boliden über den Nürburgring.

      „Hab die Zeit verpasst. Bin gleich fertig. Nur noch das eine Rennen“, sagte Alex, dabei beugte er sich in die Kurven.

      Ian hasste es, wenn sich Menschen verspäteten.

      Fünf Minuten vor der Zeit ist deutsche Pünktlichkeit.

      Aber er hatte sich angewöhnt, sich leise aufzuregen. Denn die meisten seiner Freunde sahen das nicht so eng.

      „Ian. Es ist im Kühlschrank noch Essen. Iss!“, sagte Alex´ Mutter. Ian wunderte sich, wie man in seinem kurzen Namen so viele „r“s einbauen konnte. Während Alexander noch mit seinem Videospiel beschäftigt war, ging Ian in die Küche. Die Küche war genauso aufgebaut, wie die der Familie Teutschwitz. Ian brauchte sich nur auf den Stuhl zu setzen. Er schaute Frau Okowenko an. Er sollte sie Kalina nennen. Kalina schöpfte mit einer Kelle Kartoffelsuppe in einen Teller und stellten diesen in die Mikrowelle. Während sich der Teller drehte und der kreisrunde Knopf zum Zeiteinstellen zurückwanderte, grinste Alex´ Mutter Ian an, er musste unweigerlich zurück lächeln. Es „blingte“. Kalina stellte den dampfenden Teller Suppe auf die grün-schwarze Plastiktischdecke, die mit kleinen Bärchenfiguren beschwert war. Sie griff in das Fensterbrett, sie stellte einen Petersilientopf daneben. Während Ian das Essen in sich hinein schaufelte, fragte sie ihn nach den heutigen Plänen.

      Ian sagte, dass sie zum Schwanenteich gehen wollten und dann „mal schauen“.

      Mit „mal schauen“ war das leerstehende Wohnhaus in der Teutebergstraße gemeint. Aber das konnte er Kalina ja schlecht verraten.

      „Du magst keine Petersilie?“, fragte Kalina.

      Ian sagte „Nein“, dabei wusste er einfach nicht, wie man Petersilie aß. Musste er die Stängel abrupfen oder nur die Blätter?

      Kalina fragte ihn dann nach der Schule aus. Ian erzählte die Geschichte mit dem neuen rattenschwanztragenden Geolehrer, die Frau Okowenko zum Lachen brachte.

      „So etwas könnte ich meiner Mutter niemals erzählen“, dachte sich Ian, als Alex in der Tür auftauchte.

      „Machen wir los?“

      Der Schwanenteich war voller Enten, die von einem Ufer zum nächsten schwammen, um sich füttern zu lassen. Der kleine Tümpel hatte ein Ausmaß von zehn mal zwanzig Metern. Er war umgeben von Weiden, die ihre Äste in das Wasser ditschten. Der Jotta-Liebermann-Park, benannt nach der ehemaligen Bürgermeisterin von Paulmander, die ihn anlegen ließ, war im Süden des Stadtviertels. Hier gab es keine Altbauten mehr. Der Jotta-Liebermann-Park hieß zuerst ganz unkreativ Tuhlmspatzpark und wurde nach dem Tod der Bürgermeisterin 1983 umbenannt.