Vierecke fallen nicht zur Seite. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175941
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etwas. Lena und Ian redeten über das Tierheim. Matthias sah, wie Viviens Finger die Fliege verscheuchten. Dabei verrückten sie die kurze Hose. Er fand sie so schön. Er dachte an die Dinge, die in diesem Buch standen. Er musste sich nur trauen, etwas kitzelte ihn, nur trauen, dann ...

      Alex zog an Schlagmanns ausgeleierten Ärmel.

      „Waaa“, sagte der erst laut. Dann bemerkte er die Schweigegeste. Das „S“ blieb stumm. Alex hielt den Finger auf den Lippen, mit der anderen Hand zeigte er nach unten. Schlagmann blickte in die Richtung, hinein in seinen Schritt. Vor Schreck wäre er fast aufgesprungen. Seine Stoffhose war ausgebeult. Alex griff an Schlagmanns Schulter und verhinderte damit ein panisches Aufspringen.

      „Mach was“, flüsterte Alexander.

      „Was denn?“, fragte Matthias. Er weinte dabei fast.

      Alex öffnete den Mund, als unten die Holztür knallte.

      Vivien sprang ruckartig auf. Deswegen hatte sie keinerlei Augen für Matthias kleinen Schlagmann. Sie schauten alle ängstlich Ian an. Sie wussten nicht, ob sie hier sein durften. Bestimmt nicht. Das Haus gehörte irgendwen. Man darf doch nicht einfach so in Häuser gehen. Was sollten sie machen? Sie schauten Ian an und Ian blieb ruhig.

      „Das werden auch nur Jugendliche sein“, sagte er.

      Schlagmann, der ohne Ian in der Klasse ziemlich gehänselt werden würde, beruhigte das überhaupt nicht.

      „Und was, wenn´s der ist, dem das Haus gehört?“, fiepste Lena.

      „Der wird ja wohl kaum die Hintertür aufknallen.“

      Ian krabbelte schon durch das Fenster, welches auf das Vordach führte. Erst half er Lena, dann Vivien.

      „Und wenn es die Polizei ist?“, auch Viviens Stimme bebte.

      „Glaub´ ich nicht“, winkte Ian ab und ging zur Treppe. Von unten kamen jugendliche Stimmen, die nicht Deutsch sprachen. Ians Füße standen schon auf der ersten Stufe, als Schlagmann durch den Fensterrahmen plumpste. An der geschlossenen Wohnungstür stand ein kleiner Junge, der laut rufend zu seinen Freunden rannte, als er Ian sah. Etwa zehn Jugendliche, verschiedenen Alters, standen im Flur. Sie schauten zu Ian, der selbstsicher die Treppe hinunterging. Er erkannte Adem aus seiner Klasse. Um ihn herum standen dessen Brüder und Cousins. Da Ian diese Leute, er würde ein ganz anderes Wort benutzen, allerdings eh nicht auseinanderhalten wollte, fiel ihm die tatsächliche Ähnlichkeit zwischen ihnen nicht auf. Adem war der Drittgrößte der Gruppe. Angeblich trainierte er in einem Kampfsportverein, doch Ian glaubte das nicht. Schließlich behauptete das, hier in Paulmander, jeder zweite Junge von sich. Mittlerweile standen Vivien, Lena, Alex und Schlagmann auf den Stufen hinter ihm. Sie hatten die höhere Position.

      „Schönes Haus habt ihr hier. Euer?“, grinste Adem.

      „Wir gehen schon. Ihr könnt es haben“, sagte Ian zähneknirschend. Während er sprach, ging er schon in die Gruppe hinein, die ihn eigentlich den Weg versperren wollte.

      „Ohne deine Nazifreunde hast du nicht so´n großes Maul, oder?“, lachte Adem, dann schaute er zu Matthias. Mit dem Finger zeigte er auf dessen Stoffhose.

      „Sag mal Schlagmann, hast du dich eingepisst?“

      Matthias und zu seinem Leidwesen auch alle anderen, einschließlich Vivien, schauten an ihm hinunter. Ähnlich wie sein T-Shirt, war auch sein Dreiecksschlüpfer nicht mehr neu. Ein kleiner nasser Fleck hatte sich in seinem Schoß gebildet.

      „Ne, wir waren auf dem Dach und in der Regenrinne war noch altes Wasser“, sagte Alex schnell und laut, bevor alle lachen konnten. Dann zog er Matthias durch die Gruppe.

      „Chayas, ihr könnt hier bei uns bleiben, wenn ihr wollt. Dann könnt ihr das Haus noch weiter nutzen“, schlug Adem gönnerhaft vor.

      Vivien ging so schnell wie möglich raus zu Ian, aber Lena zögerte.

      Auf dem Nachhauseweg rechtfertigte sie sich: „Ich hatte halt Angst. Ich dachte, es wäre klüger sie nicht weiter zu reizen.“

      Ihre Wege trennten sich. Alex schloss die Tür im Kleinhauerweg 42 auf, da war es schon halb sieben.

      Freya hörte nun zum dritten Mal die Schlüssel. Ihre Mutter war vor einer Stunde heimgekommen. Seitdem saßen sie vor dem Fernseher und schauten ein Promiformat. Es trug einen Namen, der in die Richtung „Feurig“ oder „Explizit“ oder „Uiuiui“ ging. Freya hielt das für den inhaltsleersten Scheibenkleister aller Zeiten. Diese Sendungen waren immer gleich aufgebaut. Aufmacher: Prinz Firlefanz und Prinzessin Lächleblöd sind schwanger. Werden es Zwillinge?

      (der dicke Bauch spricht dafür)

      Dann stellen vier Promis ihren neuen Film, ihre neue CD oder ihr neues Buch vor.

      Zwei Adelsexperten unterhalten sich mit einer Modeexpertin darüber, wie unvorteilhaft das schlichte 3000,00 € Kleid geschnitten ist und dass Prinzessin Lächleblöd damit ein Statement setzen wollte.

      Eine Schauspielerin spricht darüber wie sie dem Alkohol verfallen und wieder clean geworden ist. War ihr Vater schuld?

      Es werden erste Zweifel gestreut. Sind die Drillinge gar nicht vom Prinzen?

      Der achte Werbeblock wird mit einer Abnehmpille beendet, die die Moderatorin weiterempfehlen kann.

      Ein weiblicher Fan wird vor den Toren des Palastes zu den Untreuevorwürfen befragt. Die blonde Frau ist vollbeladen mit Merchandisingartikeln. Ein hoher Hut, mit dem Konterfei des Prinzen, wippt auf ihrem gefärbten Haupthaar, als sie sagt, dass: „Sie zu Prinz Firlefanz steht und das von der Schlampe schon immer erwartet hätte.“

      Frau Teutschwitz nickte zustimmend. Danach folgte die Auflösung des Gewinnspiels. Frau Gabi Müller-Spirat aus Ludwigsfelde wusste zwar, dass man den liebsten Freund des Mannes Hund und nicht Stirnlappenbasilisken nennt, bei der Folgefrage musste sie jedoch passen. Keine Ahnung wie viel die Hündin Laika wog, als sie am weitesten von der Erde entfernt war? Vier?

      Dann klapperte der Schlüssel und Freya sprang auf. Dass die Moderatorin gerade verlautbarte, dass weder Prinzessin Lächleblöd, noch Prinz Firlefanz schwanger waren, bekamen weder Mutter, noch Tochter mit.

      Herr Teutschwitz kam gegen sieben. Er war früh dran. Zum Glück hatten Freya und Ian das Essen trotzdem schon vorbereitet. Wie jeden Wochentag gab es Schnitten. Etwas hatte den Vater bei der Arbeit aufgeregt. Er schnaufte noch mehr als sonst. Er war so sehr auf seine Wut konzentriert, dass er vergaß sein Bier zu trinken. Das war für die Kinder ziemlich blöd, denn nüchtern war er unangenehmer. Während des Abendbrotes schnaufte und schmatzte er laut. Das Radio blieb stumm. Freya bekam kaum einen Bissen hinunter. Die Essgeräusche widerten sie an. Sie schaute zu ihrem Bruder und wunderte sich, wie er einfach so seine Salamibemme und das Frischkäsebrot essen konnte.

      „Hol mir bitte noch ein Bier“, sagte ihr Vater. Freya musste sich aus der Ecke herausquetschen, um Ian und den Küchentisch herumlaufen. Sie ging zum Kühlschrank und öffnete die Tür vorsichtig. Ihr Vater hatte sich herumgedreht. Sie merkte seine Blicke. Er beobachtete sie kritisch. Jeder Kubikzentimeter des mittleren Faches, war mit Bier zugestellt. Die Flasche fand sie schwer. Sie hatte Angst, dass sie ihr aus den Händen gleiten würde. Freya stellte das Bier auf den Tisch. Dann holte sie aus der Besteckschublade den Bieröffner. Sie zitterte, da sie wusste: „Diese Flasche werde ich nicht aufbekommen.“ Ihr Vater bestand aber darauf, dass Freya sie öffnete.

      Mit zeithinauszögernden Schritten ging sie auf ihren Vater zu, doch als sie die Tischkante spürte, beugte sich Ian nach der Flasche und löste den Öffner aus Freyas glitschiger Hand. Es ploppte. Ian räumte den Flaschenöffner wieder in die Schublade. Jetzt sah sein Vater endgültig wie ein kochender Krebs aus.

      Die Kinder waren fertig und warteten bis die Eltern aufgegessen hatten. Beim Abräumen fiel Freya ein Messer hinunter.

      „Das kostet alles Geld. Ist das dein Geld? Freya? Nein, oder? Wer bezahlt das?“, meinte Frau Teutschwitz enttäuscht.

      „Sie hat das doch nicht mit Absicht gemacht.“