Vierecke fallen nicht zur Seite. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175941
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gut zusammen. Doch sie hatten nur Bleistifte und Kugelschreiber benutzt, also keine Wassermalfarben. Auch war Sefa nicht ausgerastet und Lottes Becher war nicht umgefallen. Für das Wasser gab es also zunächst keine Erklärung. Bis Frau Willhelma-Hauff in die Klasse kam. Sie entdeckte schnell, dass die Jungs Bibeln in das Waschbecken gelegt hatten. Eine Seite fungierte als Stöpsel. Es gab einen riesigen Aufschrei. Sogar der Schulleiter wurde gerufen. Bis Freitag hatte Freya Angst, dass auch bei ihr zuhause angerufen werden würde, dabei hatte sie ja gar nichts gemacht. Doch wenn man nah am Feuer war, wurde man meistens mit angezündet. Am Freitag konnte sie durchatmen. Freitage bildeten eine magische Linie, eine Grenze, die keinen Ärger durchließ.

      Freitags hatte Freya Sportunterricht, genau wie Ian. Sie machten wieder draußen Unterricht. Die Grundschule hatte keine eigene Sporthalle. Und für eine Stunde Sport lohnte es sich nicht, in die Stadt zu fahren. Die Turnhalle neben der Mycathie-Akihi-Realschule wurde am Freitag von der 7a genutzt. Ians Klasse. Es gab noch zwei weitere siebte Klassen, die hatten zusammen Sport. Im Gegensatz zu Freyas Klasse, wurden die Jungen und Mädchen drüben getrennt. Während sich Ian umzog, fragte er sich, worin der Sinn von Mädchensportunterricht bestand. Die Turnhalle der Akihi-Realschule hatte nur eine nutzbare Umkleide, in die andere regnete es hinein. Die Mädchen mussten sich in einem Klassenraum umziehen. Das taten sie aber selten. Meisten saßen sie da und hörten Frau Gumny zu. Sie war auch die Bio- und Physiklehrerin der Klasse. Vivien und Lena hatten Ian mal den Ablauf so einer Sportstunde erklärt.

      Ian war sehr froh, dass Herr Titschner nicht viel von Worten hielt. Herr Titschner war nicht besonders groß, aber auch nicht klein. Seine Haare hatte er abgeschoren. Er trug eine Halbglatze. Wie es für einen Sportlehrer üblich war, schlüpfte er früh am Morgen in einen Jogginganzug und an seinem Hals baumelte eine Trillerpfeife. Die Pfeife musste er allerdings selten benutzen, so gut wie nie eigentlich. Die Jungs hörten auch so auf ihn. Deshalb beeilten sie sich auch so beim Umziehen. Obwohl die Klasse sonst sehr laut war, redete in der Umkleide niemand.

      Schlagmann brauchte am längsten, er war total unsicher und wollte sich nicht ausziehen. Dabei war, bis auf ihn und Leroy, jeder mit sich selbst beschäftigt. Schlagmann saß neben Ian. Ian sah im Vergleich zu ihm furchtbar dürr aus. Man merkte, dass ihm etwas mehr Essen guttun würde. Ian hatte noch keinen Bart, das beruhigte Schlagmann. Denn, obwohl er ein Jahr älter war als die meisten, hatte er nicht einen Fussel am Kinn. Deniz, Yusuf und Erol trugen schon einen Bart.

      Matthias Schlagmann trödelte weiter herum, als er seine Hose anzog, hatte Ian schon sein T-Shirt drübergezogen. Jetzt konnte man die blauen Flecke auf seinem Rücken nicht mehr sehen. Schlagmann und Leroy Irion waren die letzten, die durch die Tür in die Halle gingen. Nur noch ein paar Jungs standen gebückt vor einem Hefter. Herr Titschner hatte den Hefter mit den Leistungskontrollen auf einen Hocker gelegt. So hielt er den Sportunterricht ab. An einem Tag wurden alle Leistungskontrollen erledigt und die restliche Zeit konnte zum Spielen genutzt werden. Es wurde fast immer Fußball gespielt. Alibimäßig wurde zwar gewählt, aber die Teams standen ohnehin schon fest. Ian Teutschwitz, Adem Aslan und Karim Mansour wählten.

      In Ians Team waren er, SS-Sveni, der lange Franz, Alex Okowenko und Schlagmann.

      Für Adem spielten Yusuf Dursun, Alparen Erkan, der nette Erol, Mert und Caglar.

      Und Karim wählte seinen Landsmann Ahmet, dessen besten Kumpel und Riccardaverehrer Deniz, den anderen Alex, sowie Leroy.

      Es waren immer die gleichen Mannschaften.

      An eine schwarze, kleine Kreidetafel malte Herr Titschner den Turnierverlauf an. Eigentlich war es eine Liga. Jeder spielte zweimal gegen Jeden.

      Zuerst Team Ian gegen Team Adem. Herr Titschner übergab den Ball, einer dieser gelben, mit Stoffummantelung. Caglar saß als Auswechselspieler neben Karim. Am Anfang der Doppelsportstunde konnte man noch von einem relativ gesitteten Spiel reden. Adems Team führte nach zwei Minuten mit drei Toren. Kleine Tore, letzter Mann hält. Letzter Mann bei Ian war natürlich Schlagmann. Darüber war dieser auch ganz froh, er orientierte sich immer an Ians Befehlen. An Ians Seiten standen Alex und Franz, vorne spielte Sveni. Technisch und körperlich waren Adems Jungs teilweise weit überlegen. Aber Ian versuchte das wettzumachen. Er organisierte seine Mannschaft. Adem, Yusuf, Alparen und Mert standen sich häufig regelrecht auf den Füßen. Bis auf Erol spielte auch niemand ab. Sie dribbelten sich fest.

      Ian rief, je nach Seite, die Mitte gehörte ihm, zu Franz oder Alex: „Stellen! Stellen!“

      Er wollte nicht, dass sie ran gingen. Er wusste, dass sie ausgedribbelt werden würden. Bei Franz war es leichter, ihn zu tunneln, als an ihm vorbeizuspielen. Der Typ konnte noch überhaupt nichts mit seinem Körper anfangen, wenn er rannte, schwangen die langen Arme wie Windmühlen an seinen Schultern. Alex war da besser, aber konditionell eine Niete. Das kam von den ganzen Kippen.

      Ian wollte einfach nur, dass die beiden vor Yusuf oder Adem stehen blieben, den Weg sollten sie abschneiden. Dann rannte Ian von links nach rechts und gab sein Bestes, um den Ball zu erobern. Wenn er ihn hatte, spielte er ihn immer auf die gegenüberliegende Seite, rannte in den Raum in der Mitte, hoffte einen halbwegs geraden Pass zu bekommen. Ian nahm den Ball an und spielte zu Sveni, der ab und zu das Tor traf. Allerdings waren die anderen einfach zu gut. Zumal Schlagmann auch wirklich nur zufällig Bälle hielt. Irgendwie schaffte er es, bei Bällen, die direkt auf ihn zu kamen, noch auszuweichen. Er lief schon wieder rot an, teilweise aus Scham, aber auch wegen körperlicher Anstrengung. Als er mal einen Ball abprallen ließ, festhalten konnte er ihn nicht, kam Ian zu ihm, klatschte ihn auf den Rücken und lobte ihn. Das baute Matthias auf. Sie verloren trotzdem.

      Das zweite Spiel, Ian gegen Karim verlief ähnlich dem ersten. Karim und Co waren individuell wieder besser als Ians Truppe, aber lang nicht so gut wie Adems Jungs. Doch dafür waren sie genauso ein Hühnerhaufen. Sie dribbelten sich andauernd fest, drehten ab, wenn es nicht weiter ging, niemand kam zur Unterstützung. Wenn sie mal den Ball eroberten, wusste niemand wo der andere war und deshalb liefen sie einfach los. Sie zogen einen Schnickser dem Pass und einen Hackentrick dem Schuss vor. Erol schien von den anderen der einzige zu sein, der verstand, dass man beim Fußball abspielen musste.

      Wenn er Deutscher gewesen wäre, hätte Ian ihn gerne in seinem Team gehabt.

      Karims Mannschaft hatte keinen Erol, deshalb verloren sie. Sie langen schon hoch zurück, als die Nicklichkeiten begannen. Und ab diesem Punkt hatte auch Sven Spaß.

      Man musste aufpassen, denn Herr Titschner ließ zwar vieles laufen, aber nicht alles. Beleidigungen waren verboten, Spucken tabu und bei Fouls, musste der gelbe Ball zumindest in der Nähe sein. Aber alles andere war erlaubt. Ian und Sven liebten es, einen Mann zu doppeln und dann beide in ihn hineinzurennen. Wenn sie ausgedribbelt wurden, ließen sie das Bein stehen. Bei Zweikämpfen ging man mit angelegtem Arm rein und drückte den Gegner dann weg. Man versuchte, so oft wie es ging, auf den Spann zu treten. Nach jedem Schuss, nach jedem Pass musste trotzdem noch in den Mann gegangen werden und Pressschläge mussten um jeden Preis provoziert werden. Wer zurückzog verlor.

      In den Liedern, die SS-Sveni und Ian hörten, wurde ihnen weiß gemacht, dass sie hart wie Stahl und zäh wie Leder wären. Dem versuchten sie gerecht zu werden. Im vorletzten Spiel bekam Ian dazu die Chance. Er lief nach einem Pass von Sveni auf das Tor zu. Es war einer seiner seltenen Ausflüge an die Front. Er schoss und in dem Moment knallte Adem ihn von hinten in die Beine. Herr Titschner pfiff zum ersten Mal. Die Schüler wurden ermahnt, doch es dauerte keine zwei Minuten bis zum nächsten Zusammenprall.

      Erol versprang an der Seitenlinie der Ball, weit weg vom Tor. Trotzdem gingen Adem und Ian mit Schaum vor dem Mund rein. Und nun hatten sich die Provokationen ausgezahlt; Pressschlag vom Feinsten. Adem kullerte schreiend auf dem Boden. Herr Titschner pfiff und Ian grinste.

      Erol packte ihn an der Schulter und riss ihn herum.

      „Ian, du bist wahnsinnig.“

      Erol war mit jedem in der Klasse cool. Erol war nett und schien sich einfach mit allen zu verstehen. Bis auf Ian. Für ihn war Ian nur ein dummer Rassist.

      Sicherlich sagten Adem und die anderen auch viele rassistische Sachen. Aber Ian war absolut wahnsinnig. Adem stand wieder auf und flüsterte Ian zu,