REJ - Der spezielle Gefangene. Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741896453
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"Wie Dr. Bianco schon sagte, bin ich nicht hier um mich zu erholen oder zu entspannen", gab der ehemalige Song-Kommendan trotzig zurück. Er wusste ja selbst, dass eine schwere Zeit vor ihm lag. Aber seine Prinzipien über Bord zu werfen, seine Familie zu verraten - wenn auch nur im Herzen - das kam nicht in Frage, egal wie hart es für ihn werden würde. Er hatte sich geschworen, aufrecht zu gehen, wenn seine Zeit gekommen war. Er wusste, dass es ein Symbol war, das die Song stärken würde, was wiederum über den Erfolg oder die Niederlage der Widerstandsorganisation entscheiden konnte.

      5 - Der Müde, der Köter und der Experte

      Die Mittagspause verging ziemlich schnell. Sajan hatte auf dem Datenpad etwas gelesen und Rej war im Rollstuhl sitzen geblieben und hatte noch einige Atemzüge gebraucht, bis das unkontrollierbare Zittern aus seinem Körper verschwunden war.

       Er wusste, dass diese Situation, die er als so fürchterlich erniedrigend empfunden hatte, nicht die letzte gewesen war. Viel mehr war dies der erste Tag einer Aneinanderreihung von unangenehmen Erlebnissen. So hatte er es auch nicht über sich gebracht, den Krankenpfleger darum zu bitten, ihm zurück auf das Bett zu helfen, wo es bequemer gewesen wäre. Darum spürte er nun seinen Rücken rebellieren, denn seine Muskeln waren es nicht mehr gewohnt, so lange aufrecht zu sitzen. Rej wusste, dass das kindisch war, aber er konnte es nicht zugeben und so blieb er im Rollstuhl sitzen, bis die ShaoSetFai erneut die Ruhe störten. Das Treffen mit dem Verhörteam stand bevor.

       Wie hatte Dr. Bianco diese Personengruppe genannt? Die ShaoSetFai-Vollstrecker. Das klang ja wunderbar ermutigend. Obwohl Rej wusste, dass dies sicher kein Spaß für ihn werden würde, war er neugierig, mit was die AneLAAN aufwarten werde, um ihn zum Sprechen zu bringen. Denn jeden Tag, den er ohne ein Wort über die Song zu verlieren durchhielt, machte die Informationen weniger nützlich. Auch die Song bewegten sich fort und schmiedeten neue Pläne, in die Rej nicht mehr eingeweiht war. Und das wusste auch die AneLAAN und ihre Schergen.

       Sajan erhob sich schwungvoll von seinem Bett, schnallte seinen Patienten wieder am Rollstuhl fest und schob diesen dann zur Tür hinaus, als die Wärter sie dazu aufforderten. Wieder ging es auf dem Weg zurück, wo man auch auf der gegenüberliegenden Seite über eine Reling ins Erdgeschoss blicken konnte. Doch die Soldaten führten sie nicht zur Treppe, sondern schlossen ein Tor an der Hinterwand auf, durch das ein langer Gang erreicht wurde. Rej hatte sich also doch nicht getäuscht. Als man ihn zum ersten Mal hier her gebracht hatte, waren sie über einen anderen Weg gekommen. Über mehrere lange Gänge und nach einigen Wegkreuzungen erreichten sie eine Tür, hinter der eine Kammer mit einer Küchenzeile, Tisch und Sitzgelegenheiten und zwei weitere Türen lagen. Die ShaoSetFai dirigierten den Krankenpfleger durch die linke und dieser schob Rejs Rollstuhl in ein abgedunkeltes Zimmer.

       Es entsprach ziemlich genau dem, was er sich vorgestellt hatte. Nicht sonderlich groß, ein Tisch war in der Mitte am Boden befestigt, ein paar Stühle standen darum herum und in der rechten Wand war eine große Glasscheibe eingelassen, durch die man nicht hindurchsehen konnte. Aber er war sich sicher, dass man von der anderen Seite aus einen hervorragenden Ausblick auf die Szenerie haben würde. Dort würden sich also die reinen Beobachter aufhalten, die, die nur Fragen stellen ließen, sich selbst aber nicht die Hände schmutzig machen wollten.

       Einer der XSF-Männer deutete auf den Stuhl, der direkt gegenüber des Fensters hinter dem Tisch aufgestellt war und Sajan warf Rej einen fragenden Blick zu. "Schon in Ordnung", meinte der und erntete dafür einen mitleidigen Blick. Aber Sajan gehorchte, löste ein weiteres mal die Gurte und half seinem Zellengenossen auf den für ihn vorgesehenen Platz. Der Stuhl war nicht sonderlich bequem und es fehlte die Nackenstütze, die ihm das aufrechte Sitzen erleichtert hätte. "Bis nachher", grüßte der Song-Kommendan locker, als die ShaoSetFai den Krankenpfleger wieder zur Tür hinaus schoben. Der schien sich mehr Sorgen zu machen, als Rej selbst. Denn der Widerständler war relativ gelassen. Die letzten Tage waren so hart gewesen, er wusste, dass er auch die Befragung hier überstehen konnte. Immerhin hatte er sich in einem Bett ausruhen können, seine Wunden waren frisch versorgt worden und er hatte Medikamente und etwas zu Essen erhalten.

       Zwei der Soldaten fesselten ihn an den Stuhl, als ob sie fürchteten, dass er davon laufen würde. Mit Kabelbinder befestigten sie seine Arme auf den Stuhllehnen, zogen die Plastikstreifen fest, bis sie am linken Handgelenk und an der Ellenbeuge unangenehm in die Haut schnitten. Rej unterdrückte ein Fluchen, als sie ihm den rechten Arm so hin bogen, dass auch der einigermaßen parallel zu der Lehne ausgerichtet war. Stechende Schmerzen strahlten bis hinauf in seine Schulter und er versuchte sich etwas zu drehen, um die geschundene Gliedmaße zu entlasten. Einer der XSF-Soldaten registrierte seine Bewegung als störend und hielt ihn an die Rückenlehne gedrückt, während der andere mit den Kabelbindern auch den rechten Arm fixierte. Dann wurden auch seine Fußgelenke an die Stuhlbeine festgezurrt. Der Rollstuhl mit der Sauerstoffbatterie stand noch neben ihm, aber Rej war bewusst, dass er die Atemmaske nicht lange behalten werden würde. Immerhin wollte man ja, dass er ungehindert sprechen konnte. Die ShaoSetFai überprüften noch einmal die Fesseln, dann verließen sie den Raum und schlossen hinter sich die Tür.

       Eine Weile saß der Gefangene im Halbdunkeln und wartete. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er konnte nur wenig erkennen und in dem Verhörraum gab es auch so nicht viel zu sehen. Und nach nur wenigen Minuten wurde das Sitzen in dieser vorgegebenen Position immer unangenehmer. Er konnte das Gewicht nicht gut von einer Seite auf die andere verlagern, weil seine Arme fixiert waren, und den Kopf aufrecht zu halten, fiel ihm auf die Dauer sehr schwer. Und dann klopfte auch das unangenehme Gefühl wieder bei ihm an, dass er die Tage, besonders aber heute, schon öfter verspürt hatte. Es ließ sein Herz schneller schlagen und stellte ihm die Nackenhaare auf. Es war, als quoll eine düstere Masse auf ihn zu und hüllte ihn mehr und mehr darin ein. Er kippte nach hinten, wurde nach unten in einen gierigen Sog gezogen. Und es kam ihm gerade überhaupt nicht gelegen.

       Vor Sajan in Panik zu geraten, oder zusammen zu brechen, das war schon peinlich genug, in diesem Rahmen hier konnte er es sich aber absolut nicht leisten. Er erinnerte sich an die Worte, die der Krankenpfleger zuvor zu ihm gesagt hatte. Atmen, er solle tief atmen. Rej schloss die Augen und versuchte sich auf seine Atmung zu konzentrieren. Seine Atemzüge waren nicht sonderlich lang, mit nur einem Lungenflügel fehlte ihm das nötige Volumen dafür, aber tatsächlich hatte es etwas beruhigendes an sich, nur auf den Sauerstoff zu hören, der sich in seinem Körper ausbreitete.

       Leik Kataruh saß neugierig nach vorne gelehnt auf einem der Stühle und starrte durch die Glasscheibe, die ihn vor Blicken von der anderen Seite verbarg. Er beobachtete, wie der Pfleger den inhaftierten Song-Kommendan brachte und wie die ShaoSetFai diesen auf den Platz hinter dem Tisch fixierten. Er vermutete gespielte Gelassenheit in den Aussagen des Terroristen, deutete auch seinen desinteressierten Gesichtsausdruck als Schutz davor, verletzlich zu wirken. In dem Raum hinter dem Fenster hörte man verdammt gut, was dort gesprochen wurde. Zusätzlich zeichneten im Tisch verborgene Mikrophone alles auf. Auch Kameras lieferten Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln von dem Inhaftierten, zeigten ihn auf Monitoren, hielten jede noch so kleine Regung von ihm fest.

       Aber Leik hatte nicht vor, die Befragung von diesem Zimmer aus zu beobachten. Gerade weil er hier nur beobachten konnte und nicht Teilnehmender des Geschehens war, war es ihm lieber, näher an dem Widerständler dran zu sein. Er wollte ihn live sehen, dreidimensional, direkt vor ihm sitzend, nicht durch eine Glasscheibe von ihm getrennt und auch nicht nur über eine Aufzeichnung davon aus mehreren Blickwinkeln. Nur Auge in Auge konnte er sich selbst am besten einen Eindruck von dem gefürchteten Mann machen und so konnte er auch intervenieren, wenn die Befragung begann und in eine ungünstige Richtung zu laufen drohte. Und die Videoaufnahmen liefen nicht davon, die konnte er sich auch im Nachhinein nochmals betrachten und sie ausgiebig analysieren. Aber der echte wahrhaftige Eindruck blieb der entscheidende. Davon war Leik überzeugt. Er saß nur noch in dem Beobachtungsraum, weil er auf den Rest des Teams warten wollte.

       Die Soldaten hatten mittlerweile den Raum verlassen und den Inhaftierten in gedimmtem Restlicht zurückgelassen. Erst blickte der sich um, dann zog er an seinen Fesseln, dann verharrte er in der Position, aus der er nicht entkommen konnte. Sein Beobachter hätte ein Königreich dafür gegeben, welche Gedanken