REJ - Der spezielle Gefangene. Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741896453
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"Das war ein Versehen", meinte er, als sich der Elf mit empörtem Ausdruck im Gesicht umdrehte.

       "Pass doch auf, du Freak!", schimpfte der und trat nach den Schienbeinen des im Rollstuhl Sitzenden.

       "Ich sagte, das war ein Versehen!", meinte Rej finster, deutete mit dem Zeigefinger auf den unsympathischen Mann und sah ihn unter den Augenbrauen hervor an. Dessen goldene Fischaugen und der Mund waren etwas zu groß für das schmale mit Sommersprossen verzierte Gesicht und der Kinnbart verfehlte, anders als bei Rifka, das Ziel, ihn Älter erscheinen zu lassen. Er unterstrich eher das Gnomartige an ihm, das auch durch die viel zu großen abstehenden Elfenohren zustande kam. Innerhalb dieser kurzen Auseinandersetzung war die angespannte Stimmung in eine extrem aggressive unter den Insassen umgeschlagen.

       "Ruhe!", brüllte der Anführer der Wächtergruppe. "Auseinander!"

       Sofort richteten sich Waffen auf die Beiden, während Sajan die Handflächen in die Luft hob, um seine friedliche Gesinnung zu signalisieren. Wut glitzerte in den Augen des Gnoms, als er einen Schritt zurück trat und somit ebenfalls zu verstehen gab, dass er nicht weiter auf Konfrontation aus war. Rej ließ seine Hand sinken und nahm seinen Blick von dem Ärgernis, wandte ihn stattdessen einem der Wärter zu, die eine Waffe auf ihn gerichtet hatten. In ihm war trotz der Maske, die Mund und Nase verhüllte, soviel Anspannung zu erkennen, dass der Widerständler befürchtete, dass dieser einfach so abdrückte, nur um sich abzureagieren. Ein Teil von ihm reagierte amüsiert darauf, dass man nur wegen seiner Anwesenheit so aus dem Häuschen war, ein anderer Teil aber ärgerte sich ziemlich über die Unprofessionalität der XSF - immerhin waren sie es durch ihre Ungeduld gewesen, die den Konflikt zwischen ihnen überhaupt erst ausgelöst hatten. Um zu zeigen, dass auch er keine Lust auf Ärger hatte, hob er ebenfalls die Hand und verdrehte genervt die Augen.

       Selbstverständlich waren jetzt erst recht alle Blicke auf sie gerichtet, besonders stach aber ein größerer breitschultriger Mann hervor, der sich neben den Gnom in Position geschoben hatte. Er überragte ihn um einen halben Kopf und schien so ziemlich das Gegenteil von ihm zu sein. Er war auch ein Elf, die Ohren zeigten spitz nach oben, aber er hatte ein von mehreren Falten durchzogenes Gesicht mit aufgeworfenen Lippen, die zu einem finsteren Grinsen verzogen waren. Das schwarze Haar war in den Nacken zurück gekämmt und seine blass grünen Augen funkelten düster unter steil herabgesenkten buschigen Augenbrauen hervor. Er sagte nichts, legte nur seine Hand auf die Schulter des anderen Alavers und fixierte dabei Rej mit herausforderndem Blick.

       Er hatte es also nur bis zum ersten Mittagessen geschafft. Rej seufzte innerlich. Er war noch keine vierundzwanzig Stunden hier und schon hatte er sich offiziell die Missgunst einiger Leute zugezogen.

       Die ShaoSetFai wiesen die Häftlinge an, sich umzudrehen, und die Treppe hinauf zu laufen und forderten Sajan auf, Rej nach oben zu tragen. Das passte dem Song-Kommendan gerade überhaupt nicht in den Kram. Im Rollstuhl zu sitzen und herum geschoben zu werden, das war eine Sache. Aber von einem anderen Mann getragen zu werden, eine ganz andere. In diesem Moment hasste er seine Situation nur umso mehr. Wäre er doch nur nach dem Sturz im Maschinenraum seiner Tahemetnesut verreckt. Diese Erniedrigung schmerzte ihn mehr, als alle seine Verletzungen zusammen. Sajan schien aber seine Stimmung ganz gut aufzufangen, er hatte wohl spezielle Antennen dafür, denn er war diesmal wenig fürsorglich.

       Mechanisch öffnete er die Verschlüsse an den Haltegurten und hob den Verletzten aus dem Rollstuhl, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser schon so weit war. Er schleppte ihn die zwei Treppen nach oben und ließ ihn dort wieder in das Sitzpolster fallen, nachdem einer der Wärter die Fortbewegungshilfe herauf gebracht hatte. Die anderen Mithäftlinge verstreuten sich, aber Sajan und Rej wurden bis zu ihrer Zellentür eskortiert.

       "Am Ankunftstag ist bis auf die Termine und Appelle Einschluss", blaffte der Wortführer der XSF und wies auf den Durchlass. Der Pfleger schob Rej in die Zelle und hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss. Erst als sich die Schritte der Soldaten entfernten, wagte der Widerständler wieder Luft zu holen.

       "Das...", ächzte er, doch Sajan beendete für ihn den Satz, "...war etwas heftig. Ja, finde ich auch." Er ging vor ihm in die Hocke und musterte das graue schweißnasse Gesicht des ehemaligen Song-Kommendan, tastete zeitgleich nach seinem Handgelenk. Dann schob er ihm die Atemmaske über die Nase, die schon seit dem Essen nutzlos um Rejs Hals baumelte. "So", meinte er in ruhigem Tonfall, "jetzt atmen Sie erst einmal tief durch und beruhigen sich wieder. Atmen Sie, das bringt Ihren Puls wieder runter."

       Das Herz klopfte ihm bis zum Halse, aber die freundliche Stimme des Krankenpflegers hatte tatsächlich eine entspannende Wirkung auf ihn. Eigentlich war ja überhaupt nichts passiert. Er verstand selbst nicht, warum er sich so aufregte. "Mir... geht es gut", brachte er nicht sonderlich glaubwürdig hervor und zog sein Handgelenk aus dem Griff des Zellengenossen, um sich die Atemmaske wieder abzunehmen. Doch Sajan ließ es nicht dabei bewenden. "Sie zittern und Ihr Puls rast. Wollen Sie darüber reden? Darüber, was Ihnen so Angst gemacht hat?"

       Rej spürte, wie innerlich Groll gegen den neugierigen Mann in ihm aufstieg. Es ging ihn doch überhaupt nichts an. Und Angst war es nicht gewesen. Oder doch?

       "Angst ist das nicht...", gab er deshalb zögerlich als Antwort. "Eher Wut. Das ist so... erniedrigend." Sajan ergriff erneut seinen linken Arm und hielt ihn fest - allein dafür hätte ihm Rej gerne eine verpasst, aber er zitterte noch immer zu stark und er fühlte sich flau.

       "Rej, erniedrigend ist es nur, wenn Sie sich erniedrigen lassen. Glauben Sie mir. Ich habe mich schon um andere Menschen vor Ihnen gekümmert und den meisten ist es am Anfang sehr schwer gefallen, damit klar zu kommen. Aber ich garantiere Ihnen auch, Sie werden sich daran gewöhnen. Und das Gefühl, das Sie jetzt empfinden, wird geringer werden, mit jedem Tag."

       Das konnte sich Rej beim besten Willen nicht vorstellen. Dumpf blickte er zur Seite und zog den Arm an sich heran, um der Berührung zu entkommen. Dann schüttelte er mehrere Male den Kopf. "Dieser blöde Sack hat genau gesehen, dass das keine Absicht war."

       Sajan nickte. "Klar, der war auf Ärger aus. Der hat nur darauf gewartet, dass sich eine Gelegenheit bietet. Es tut mir auch echt leid, dass ich nicht besser aufgepasst habe." Der Ärger in Rej flammte auf, als ihm der freundliche Pfleger weiter Stoff gab. "Sie haben daran ja wohl keine Schuld, also tun Sie nicht so", schimpfte er finster und ballte die Faust. "Die ShaoSetFai sind so angespannt, dass sie ihre Anspannung auf die anderen Insassen übertragen. Kein Wunder, dass es hier beinahe gleich am ersten Tag zur Explosion gekommen wäre. Und die sollen ausgebildete Spezialkräfte sein? Die tun gerade so, als wäre ich einer von den apokalyptischen Reitern."

       "Na ja, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Rej, aber irgendwie sind Sie das doch auch, oder?" Stirnrunzelnd sah der Song sein Gegenüber an. "Sie sind quasi das personifizierte Böse, der Anführer der Hölle, oder sowas. Die AneLAAN hat Sie, seit der Flötespieler verschwunden ist, zum Staatsfeind Nummer eins erklärt."

       Der ehemalige Song-Kommendan schnaubte verächtlich. "Das ist Schwachsinn, das wissen Sie und das wissen hoffentlich auch die meisten Leute in Xiantiao, dass das nicht der Wahrheit entspricht!"

       Sajan machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wahrheit, Rej, was ist schon Wahrheit? Was Sie getan haben, oder tun haben lassen, wissen Sie selbst am besten. Aber die Wahrheit ist doch, dass die AneLAAN ganz deutlich und auch mit medientechnischer Unterstützung ein Bild von Ihnen in der Öffentlichkeit kreiert hat, dass der des personifizierten Bösen recht nahe kommt."

       Den Widerständler hätte sehr interessiert, was der Krankenpfleger selbst für eine Meinung vertrat. Über die Song und über ihn selbst, aber er wusste, dass Fragen selten eine ehrliche Antwort produzierten. "Das Bild, was die Öffentlichkeit von mir hat, interessiert mich nicht", gab er stattdessen unfreundlich zu verstehen. "Ich tue, was ich für richtig halte, und daran wird sich auch in den letzten sechs Wochen, die ich noch habe, nichts ändern."

       Sajan erhob sich aus der Hocke und ließ sich schwer auf sein Bett fallen. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und lehnte sich zurück. "Diese Einstellung wird Ihnen hier drin leider nur wenig nützen", eröffnete er seinem Zellengenossen