REJ - Der spezielle Gefangene. Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741896453
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schneller haben Sie Ihre Ruhe, Herr Lio'Ta. Dieser Tagesablauf wird sich wiederholen, bis zu Ihrer Exekution. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Sie bis dahin am Leben bleiben."

       "Das ist zu gütigst von Ihnen, Dr. Bianco", spottete der Widerständler mit verächtlich verzogenem Gesicht.

       "Ist das Ihr Ernst?", fragte der Pfleger mit Überraschung in der Stimme und schob sich neben das Anzeigegerät. "Sie wollen den Mann täglich der Folter der ShaoSetFai aussetzen? Obwohl er in diesem gesundheitlich sehr bedenklichen Zustand ist?" Nun deutete sein Finger auf den im Rollstuhl sitzenden Häftling. "Das ist doch Irrsinn! Das ist unmenschlich!"

       Noah hob seine beiden Handflächen nach oben, wobei er sich den Stift zwischen Daumen und Handballen klemmte. "Wie ich schon erwähnte, ist Herr Rej Lio'Ta nicht hier, um sich zu erholen, sondern um Antworten zu liefern. Man hat sich entschieden, ihm noch sechs Wochen bis zu seiner Hinrichtung zu gewähren. Dafür muss er aber Informationen bringen."

       Rejs Lachen ging hinter ihnen in ein Husten über, dann wurde es wieder zu einem düsteren freudlosen Lächeln. "Sie sagen das so, als hätte ich um diese sechs Wochen gebeten! Ha! Das ich nicht lache. Die sechs Wochen sind doch dazu da, damit ihr euch gegenseitig vormachen könnt, dass ich meine Leute verraten würde." Er nahm mehrere Atemzüge aus dem Beatmungsgerät, dann sprach er weiter. "In Wahrheit wisst ihr aber genauso gut wie ich, dass es keine Informationen geben wird. Das alles hier ist eine Farce. Ihr macht euch was vor! Und das werdet ihr auch noch früh genug merken." Diesmal dauerte es etwas länger, bis der Gefangene genug Sauerstoff in seine Lunge gebracht hatte, um seine Ansprache fortzusetzen. "Richten Sie Ihren Vorgesetzten aus, dass sie mich am Arsch lecken können, falls sie das interessiert", keuchte er und blickte finster zu den beiden anderen Männern herüber.

       "Ich kann verstehen, dass Ihnen das Angst macht", meinte Noah beschwichtigend, was ihm mit diesen Worten jedoch nicht gelangt. Der ehemalige Anführer der Terrorgruppe schien dadurch nur noch wütender zu werden. "Aber das hier ist alles andere als eine Farce, Herr Lio'Ta. Wir würden nicht so einen Aufwand betreiben, wenn es nicht um etwas Wichtiges ginge. Wir versuchen nur, Ihre Anschläge und die dadurch entstehenden zivilen Opfer zu verhindern."

       "Bleiben Sie ruhig weiter so arrogant, in Ihrer eingeschränkten aneLAANschen Sichtweise! Versuchen Sie sich nur nicht in uns hinein zu versetzen! Das, was wir tun, machen wir nicht aus Spaß oder weil wir nichts besseres zu tun haben! Die Regierung hat uns unser Land weggenommen und an die Alaver verhökert! Sie hat uns in das verseuchte Gebiet am Fuß der Berge vertrieben und all diejenigen umgebracht, die sich diesen Diebstahl nicht gefallen lassen wollten! Durch sie wurden... wurden..." Er wollte weiter sprechen, konnte aber nicht, weil ihm die Luft ausgegangen war und er erneut husten musste. Er sank nach Atem ringend in sich zusammen und presste sich die Atemmaske wieder aufs Gesicht.

       Sajan ging zu ihm hinüber und umfasste die Griffe des Rollstuhls. "Ein Gespräch mit dem führt zu nichts, Rej. Der ist ein obrigkeitshöriger Arschkriecher. Der versteht nicht, was außerhalb der A- und B-Gebiete abgeht." Er schob den Mithäftling zum Schleusentor hinüber und klopfte an den Türflügel. "Wir würden jetzt bitte gerne gehen", rief er zu den Soldaten hinaus, die im Schleusenbereich bereit standen. "Wir wollen bitte auf die Zelle gebracht werden."

       Noah hob die Schultern und gab auf. Er betätigte den Knopf, der die Türmotorik aktivierte und die Türflügel gaben den kleinen Raum davor frei. Sofort waren die ShaoSetFai zur Stelle und richteten ihre Waffen auf die beiden Gefangenen, die ihrer Meinung nach viel zu nahe am Ausgang standen. "Weichen Sie zurück!", blaffte der eine und der Lauf des Gewehrs zielte auf Sajans Brust. "Das Ding hier hat keinen Rückwärtsgang", meinte dieser mit einem Schmunzeln im Mundwinkel, machte aber einen Schritt nach hinten und zog den Rollstuhl mit sich.

       "Die Herren sollen auf ihre Zelle gebracht werden. In Sektion Jen Zelle Are. Sie können Sie ohne Handschellen mitnehmen." Der Soldat, der zuvor den Pfleger angeblafft hatte, rief nun etwas in sein Funkgerät und kurz darauf kamen noch vier weitere ShaoSetFai hinter der zweiten Schleusentüre angetrabt. Mit seiner Waffe machte er einen Ruck und forderte die Gefangenen damit auf, zu gehen. Der Medic beobachtete, wie Rej Lio'Ta und Sajan Bjantiya hinter den Torflügeln verschwanden. "Na, das werden ja spannende sechs Wochen", dachte er bei sich und wandte sich dann dem Bericht zu, den er noch über die Aufnahme des Terroristen verfassen musste.

       Die sechs Soldaten gruppierten sich um den Pfleger und seinen Patienten, zwei gingen vor ihnen, zwei seitlich des Rollstuhls und zwei hinter Sajan. Einer der hinteren Beiden drückte immer wieder den Lauf seiner Waffe in den Rücken des dunkelhaarigen Mannes und dieser gab sich Mühe, sich nicht davon beirren zu lassen und den Rollstuhl zügig den Gang entlang zu schieben.

       Die ersten Meter bekam Rej noch nicht all zu viel von seinem Umfeld mit. Er war noch damit beschäftigt, genügend Sauerstoff über den einen ihm gebliebenen Lungenflügel in sein Blut zu bringen. Doch als sich die tanzenden Sterne langsam vor seinem Gesichtsfeld auflösten, lehnte er sich in dem Polster zurück und beobachtete die vorbeiziehende Umgebung. Viel konnte er allerdings nicht erkennen. Graue Wände flogen links und rechts an ihm vorbei, helle Flecken machte er als Lampen aus, dunklere Flecken kamen von Symbolen, die zur Orientierung die Gänge beschilderten, aber sie waren zu verschwommen, als das Rej sie hätte lesen können. Von beiden Seiten wurde er von den ShaoSetFai flankiert. Sie trugen schwere Bewaffnung und ihre Gesichter waren durch schwarze Hauben verdeckt, ein undurchsichtiges Visier verbarg ihre Augen vor neugierigen Blicken.

       Der Gefangene empfand, dass sie lächerlich aussahen, geradezu übertrieben. Denn das einzige, was sie im Moment von ihm zu fürchten hatten, waren bösartige Kommentare oder dass er sie auslachte, wenn es einer von ihnen wagte, ihn dumm von der Seite anzuquatschen. Leider war das aber auch schon das höchste der Gefühle. Durch den Unfall, die Verbände und Schienen und durch den Rollstuhl, der ihn umgab, war ihm kaum Bewegungsfreiheit geblieben. Schön, er konnte den Kopf drehen, oder mit seiner linken Hand zur Seite greifen, aber was brachte das schon? Sollte er auch eine der Waffen der Soldaten zu fassen bekommen, er hätte nicht die Kraft, sie an sich zu reißen und dann warteten da schon fünf andere Gewehrläufe auf ihn. Es wäre ein Selbstmordkommando gewesen. Und Rej hatte beschlossen, diesen Weg für sich auszuschließen. Ein Suizid, welcher Art auch immer, kam für ihn nicht in Frage. Er wollte seiner Familie, den Song, die noch draußen für ihre Sache kämpften, nicht ein solches Signal von Feigheit und Schwäche als letztes Zeichen mit auf den Weg geben. Und wenn eine solche Aktion ganz blöd lief, dann konnte er im Anschluss vielleicht nicht mal mehr seinen linken Arm gebrauchen, war aber trotzdem nicht tot.

       Da war natürlich auch noch der seltsame Krankenpfleger. Aber der ehemalige Song-Kommendan konnte diesen solange nicht in einen seiner Pläne einbauen, solange er den Mann nicht einschätzen konnte. Und, Rej Lio'Ta gab es nicht gerne zu, dieser machte ihm ganz schön zu schaffen. Mit dem dämlichen Arzt wäre er problemlos fertig geworden, wenn auch nur verbal, aber Sajan war eine ganz andere Sache. Er hatte eine sehr behutsame freundliche Präsenz, eine Präsenz jedoch, die keinerlei Widerspruch duldete. Der Pfleger strahlte eine Gelassenheit aus, die die des Song-Kommendan bei weitem übertraf, und er war tief in sich ruhend und selbstsicher, zwei Eigenschaften, die Rej gedacht hatte, dass er sie selbst besaß.

       Aber dessen war er sich in Gegenwart des anderen jetzt nicht mehr so sicher. Sajan Bjantiya hatte ihn dazu gebracht, auszurasten, und das mit nur wenigen Worten. Und dann hatte er ihn dazu gebracht, dass er innerlich in sich zusammenbrach und weinte wie ein kleines hilfloses Kind. Das allein sagte dem Widerständler schon, dass er vor dem anderen Mann auf der Hut sein musste.

       Auf der anderen Seite hatte Sajan noch nichts Konkretes gesagt oder getan, was diese Furcht vor ihm rechtfertigte. Rej war sich sehr wohl bewusst, dass gerade dessen Bedürfnis zu helfen, dessen Bedürfnis, ihm eine Schulter zum Anlehnen zu bieten, an alten Ängsten, vor allem aber an alter Sehnsucht nach Geborgenheit anrührte. Im Alter von vierzehn Jahren hatte er seine Eltern bei einem Raubüberfall durch Metamenschen im eigenen Haus verloren und die Verantwortung für seinen fünf Jahre jüngeren Bruder übernommen. Seit dem hatte er es sich nie wieder erlaubt, Schwäche zu zeigen oder fremde Hilfe ohne adäquate Gegenleistung anzunehmen. Bei den Song hatte er so etwas wie eine neue Familie gefunden