Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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Damit war jetzt Schluss. Er klatschte in die Hände und sagte mit tonloser Stimme: „Bravo, Vater! Gut gemacht! Wie fühlt es sich an, ein wehrloses Kind blutig zu schlagen?“

      Anders Bergmark wandte sich um. Er blickte in das entschlossene Gesicht seines einzigen Sohnes, das nur eines widerspiegelte: Verachtung und Abscheu. Sie starrten einander an wie Kontrahenten, die einen letzten Anlass suchten, den Kampf zu eröffnen. Doch geschah etwas Unerwartetes. Der alte Mann verließ wortlos das Haus. Alles hätte Krister erwartet, am ehesten den gewalttätigen Versuch des Vaters, den verloren geglaubten Respekt wieder zurückzugewinnen. Doch Anders Bergmark reagierte überraschend, er wählte den Rückzug. Den Einsatz von körperlicher Gewalt gegen seinen Sohn scheuend – etwas, das Krister nicht für möglich gehalten hätte – wählte er eine andere, in seiner Konsequenz schmerzhaftere Variante. Von diesem Tage an sprach er kein Wort mehr mit seinem Sohn. Luke ließ er fortan in Frieden.

      Bald nach diesem Vorfall begann Krister mit dem Bau eines eigenen Hauses. Eigentlich hatte er es in der Nähe seiner Familie errichten wollen, doch rückte er von diesen Plänen ab. Mit der uneingeschränkten Hilfe Lukes, einiger Freunde (unter ihnen auch Rob und ich) und der Familie seiner langjährigen Gefährtin Sava entstand sein eigenes kleines Haus. Wie versprochen siedelte Luke um und bezog seine erste eigene Kammer.

      Kurz nach der Fertigstellung starb Anders Bergmark. Eine Aussöhnung zwischen ihm und seinem Sohn hatte es nicht mehr gegeben. Luke jedoch musste dem alten Mann verziehen haben. Bei der Beisetzung vergoss er Tränen für den Menschen, der ihm ein zweites Leben ermöglicht hatte, war es auch noch so unerträglich gewesen. Ohne die Zustimmung von Anders Bergmark, ihn bei sich aufzunehmen, wäre Luke ein Waisenjunge in Van Dien geblieben und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr am Leben.

      Dank kräftigen Westwindes flog das Boot mit geblähtem Segel über die Wellen. Wir legten Meile um Meile in Nullkommanichts zurück. Doch gab uns das Wetter deutlich zu erkennen, wie jung das Jahr noch war. Der kühle Wind kroch durch die feuchte Kleidung und ließ uns frösteln. Hin und wieder lugte die Xyn durch die eine oder andere Wolkenlücke hindurch, aber es gelang ihr nicht, unsere kalten Gesichter zu wärmen.

      Mit zunehmendem Wellengang steuerte ich das Boot näher an die Küste heran, nur um festzustellen, eine Landung – wenn sie denn hätte sein müssen – niemals bewerkstelligen zu können. Die steile Felsenküste, von gespenstischem Nebel eingewölkt, zeigte sich von ihrer feindlichsten Seite.

      „Kennst du dich hier aus?“ fragte ich Krister irgendwann. „Gibt es irgendwo Landungsmöglichkeiten oder bleibt die Küste weiterhin so felsig?“

      „Bis Kap Fol wird sich nicht viel ändern“, erwiderte er mit unbesorgter Miene.

      „Kap Fol? Das erreichen wir selbst bei diesen günstigen Bedingungen erst frühestens morgen Abend, oder?“

      Krister nickte. „Ja, das denke ich auch.“

      Ich behielt die Küstenlinie weiterhin im Auge. Einmal entdeckte ich einen Strandabschnitt, der aussah als könnte man dort anlegen, doch war es noch zu früh für das Nachtlager. Über die Länge von gut einer Meile säumte heller Sandstrand das steile Kliff, zuweilen mit allerlei Buschwerk bewachsen. Wir zogen dicht daran vorbei. Drei Augenpaare blickten sehnsuchtsvoll hinüber. Ich musste zugeben, ich hatte das Geschaukel satt. Doch jetzt schon den Tag zu beenden – es durfte kurz nach Mittag sein – erschien nicht nur mir deutlich verfrüht.

      „Na also“, sagte ich, nachdem wir vorbeigezogen waren. „Immerhin gibt es Landungsplätze. Wenn auch wenige.“

      Ich beließ es zunächst dabei und packte einige Vorräte aus, zum größten Teil Reste der Yanduras vom Vorabend. Schweigend aßen wir und vertrieben wenigstens den Hunger.

      Die nächsten Stunden vergingen und wir sahen nicht einen einzigen weiteren Strand. Felsenküste soweit das Auge reichte. Dunkle, tief hängende Wolken hatten begonnen, ihre feuchte Fracht abzulassen. Der Niederschlag, mehr ein Nieseln, ein Sprühen, erwies sich als nasser und ungemütlicher als richtig große Tropfen. Ich hasste es. Bei diesem Wetter machte es nicht den geringsten Spaß, auf dem Meer zu sein. Längst waren wir übereingekommen, bei der nächsten Möglichkeit anzulegen. Wenn sie sich doch endlich böte!

      Luke zog in einer hilflosen Geste die vollgesogene Decke enger um seinen zitternden Körper. Seine blauen Lippen erinnerten daran, wie kalt auch mir war. Krister war es ebenso leid. Er sehnte sich ein warmes Lagerfeuer herbei, an dem wir uns wieder würden aufwärmen können. Doch sagte er keinen Ton. Er stand ganz vorne im Boot und blickte stur geradeaus. Ich wagte nicht daran zu denken, was es bedeutete, in dieser Witterung eine Nacht auf See verbringen zu müssen.

      Am späten Nachmittag erlöste uns ein Ruf Kristers. Ich musste für einige Augenblicke eingenickt gewesen sein. Wie dunkel es bereits war!

      „Hart steuerbord“, rief Krister und zeigte auf die Küste.

      Ich tat wie geheißen und folgte erst dann mit den Augen seinem ausgestreckten Zeigefinger.

      Tatsächlich!

      Ein tiefer Einschnitt im Fels, der erst jetzt, als wir ihn beinahe passiert hatten, sein Geheimnis preisgab. Wiederum handelte es sich um eine Art Kanal, ähnlich jenem von gestern Nachmittag, der uns in die Yanduralagune geführt hatte. Dahinter machte ich eine kleine Bucht aus, in der Krister nicht zu Unrecht eine Landungsmöglichkeit vermutete.

      Die Fahrt durch die enge Rinne stellte bei diesem Wellengang ein beinahe unkalkulierbares Wagnis dar. Doch es war mir egal. Ich wollte nur noch raus aus dem verfluchten Boot, irgendwo einen trockenen Platz finden und wenn möglich ein Feuer entfachen. Tatsächlich ging es leichter als erwartet. Auf dem Kamm einer hohen Welle segelnd, legten wir die wenigen gefährlichen Meter problemlos zurück und erreichten wohlbehalten die winzige Bucht, die gerade groß genug war, um darin unter vollem Segel zu wenden. All das erfasste ich jedoch erst später. Meine Augen sichteten ganz etwas anderes.

      „Das ist der schönste Strand, den ich je gesehen habe“, jubelte ich. Es durfte wohl an der Tatsache liegen, so kurz vor Einbruch der Dunkelheit doch noch ein Plätzchen für die Nacht gefunden zu haben, weswegen meine Äußerung etwas euphorisch ausfiel. Alles war mir recht, nur endlich runter von der unruhigen See.

      „Deutlich schöner als Savas Bucht“, meinte Luke.

      „So weit würde ich jetzt nicht gehen.“

      Hörte ich da eine Spur Missfallen in Kristers Stimme? Wenn ja, mochte sie durchaus gerechtfertigt sein. Savas Bucht war klein aber fein gewesen. Der winzige Strand hier verdiente eine Bezeichnung dieser Art eigentlich nicht. Maximal zehn Meter breit, bot er gerade genügend Platz, das Boot ordentlich an Land zu ziehen. Wir begnügten uns damit, es halb auf Grund zu fahren und an den Felsen zu vertäuen.

      Luke war bereits ein paar Meter den Strand hochgestapft und was er fand, ließ mich restlos zufrieden auf eine trockene Nacht hoffen. Die Ausmaße der Höhle standen diesem zierlichen heimlichen Hafen in nichts nach. Sie bot gerade genug Platz für drei ausgelaugte Seefahrer. Zudem fand sich in ihr haufenweise trockenes Treibholz. Mit Hilfe von wie durch ein Wunder trocken gebliebenen Feuersteinen entfachte ich endlich das ersehnte Feuer. Wohltuende Wärme und eine beruhigende Mahlzeit im Magen ließen die Strapazen des vergangenen Tages im Nu vergessen. Es störte mich auch nicht mehr im Geringsten, als sich der Regen im Verlauf des Abends zu einer wahren Sintflut steigerte. Mochte es schiffen, so lange es wollte. Gepäck und Decken waren ohnehin durchnässt und würden erst wieder in der Sonne trocknen. Das Lagerfeuer spendete genügend Wärme, wir konnten ohne Decken liegen.

      Irgendwann, ich war schon beinahe eingeschlafen, hörte ich Krister murmeln: „Wenn es so weiter herunterprasselt, läuft der Ozean heute Nacht über.“

      Ich blickte auf. Der Widerschein des Feuers zeichnete zuckende Schatten an die Felswand. Krister lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte an die Höhlendecke. „Was soll’s, uns geht es jedenfalls besser als dem Kahn da draußen.“

      Für einen kurzen Moment sorgte ich mich um das Boot, doch selbst wenn es voll Regenwasser lief, konnte es kaum untergehen, lag es doch sicher auf festem Grund.

      „Was