Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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und ich sahen einander an. Keiner empfand Lust, der Einladung zu folgen.

      „Wir wollen uns erst einquartieren“, sagte Krister bestimmt. „Danach nehmen wir eure Einladung sehr gerne an.“

      „Wie ihr wollt. Nehmt das Mataki. Hundert Schritte die Straße hoch, auf der linken Seite. Sagt der hübschen Amny, dass euch Finn schickt. Dann werdet ihr mit Bestimmtheit ein besseres Zimmer bekommen.“

      „Dank dir, Finn“, sagte ich. Wir wandten uns zum Gehen.

      „Ich hoffe, wir sehen uns später noch“, rief er hinterher. „Wie gesagt, um diese Jahreszeit bekommen wir selten Besuch aus dem Westen. Es gibt sicher einiges zu schwatzen!“

      Ich nickte ihm zu, und schon waren wir wieder draußen.

      „Übler Laden“, sagte Luke angewidert. „Wie man sich in so einer Spelunke vollaufen und dabei wohlfühlen kann, entzieht sich mir völlig.“

      „Nun, so schlimm fand ich es gar nicht“, erwiderte Krister. „Und ehrlich gesagt sah das Korma sehr verlockend aus.“

      Wir marschierten die Straße hinauf und hielten Ausschau nach dem Mataki. Der Weg verlief parallel zum Meer, was ein gutes Gefühl vermittelte. Wenig Verlangen hatte ich danach, mich in das Gewühl der engen Gassen zu begeben, die ins Zentrum Van Diens führten. Der eine oder andere Passant blickte uns unverhohlen neugierig hinterher, doch vermochte ich nicht festzulegen, ob wir derart fremdartig wirkten oder es am Gepäck lag, das wir mit uns führten und uns als Reisende verriet. Die fremdartige Stadt hatte Besitz ergriffen und mir war nicht klar, ob ich mich wohlfühlte oder diesem bunten Treiben eher ablehnend gegenüberstand. Vermisste ich jetzt schon die Ruhe und das beschauliche Leben meines Dorfes?

      „Da vorne ist es!“ rief ich endlich. Ein simples Holzschild über dem Eingang verriet mit schwarzen Pinselstrichen den Namen der Absteige. Es waren meiner Meinung nach deutlich mehr als hundert Schritte gewesen.

      Das Mataki wirkte genauso wenig einladend wie die Taverne. Sauberer würde es wohl auch nicht sein. Aber legte ich darauf wirklich Wert? Eine Nacht auf weicher Unterlage war alles, wonach ich mich sehnte. Erst in Hyperion würden wir wieder eine von Menschen errichtete Siedlung erreichen, und was uns dort erwartete, konnte niemand vorhersagen. Nach allem was ich wusste, existierte die Weiße Stadt sowieso nur noch in meinen Träumen, war dort während des Großen Krieges kein Stein auf dem anderen geblieben. Dort eine intakte Herberge erwarten, durfte zu viel verlangt sein.

      Artig klopfte ich an die schwere Holztüre.

      „Gehen wir einfach rein!“ forderte Krister ungeduldig.

      „Nein, das machen wir nicht!“ hielt ich ihm entgegen.

      „Und wieso nicht?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Mann, Krister, schon mal was von Manieren gehört? Wie würde es dir gefallen, wenn wildfremde Leute vor deinem Haus stünden und hineingingen wie es ihnen beliebt?“

      Krister grinste breit und sah sehr vergnügt drein. „Wusste gar nicht, dass ich ein Gästehaus führe.“

      „Du weißt was ich meine“, murmelte ich, als die Türe aufschwang. Eine junge Frau blickte uns fragend und erkennbar ablehnend entgegen. Sie durfte es sich leisten, denn sie sah bezaubernd aus.

      „Amny?“ fragte ich sogleich.

      „Wer fragt danach?“ kam die brüske Antwort. Ihre warme Stimme wollte nicht so ganz mit ihrer Abneigung einhergehen.

      „Finn schickt uns. Er sagt, dies hier ist das einzig annehmbare Gästehaus der ganzen Stadt.“ Ich strahlte sie an, wissend, dass auch mein Lächeln durchaus Türen öffnen – oder in diesem Fall offen halten – konnte.

      „Sagt er das?“ Sie schmunzelte einen verschwindend kurzen Moment. „Ihr habt eine gute Zeit gewählt, im Augenblick haben wir nicht viele Besucher. Wie lange wollt ihr bleiben?“

      „Nur eine Nacht“, erwiderte Krister. „Was verlangst du?“

      Sie sah uns der Reihe nach an.

      „Sechs Schildlinge...“ und fügte schnell „...im Voraus“ hinzu.

      Nun waren es wir Männer, die sich ansahen. Natürlich! Wie konnten wir das bloß vergessen haben? Während im Westen Avenors überwiegend Tauschhandel betrieben wurde, gab es hier in Van Dien Tauschmittel, sogenannte Schildlinge. Ich kannte diese kupferfarbenen Münzen von der Größe eines Daumennagels sehr wohl, sie kursierten wenn auch seltener in Avenor. Mit ihnen ließen sich Waren, die mit dem Treck aus Aotearoa kamen, problemlos handeln. Dumm, dass weder ich noch Krister auch nur über einen einzigen Schildling verfügten.

      „Wir können nur Perlen tauschen.“ Krister holte ein kleines ledernes Säckchen aus dem Rucksack hervor und leerte einen Teil der leise klickernden, schwarz glänzenden Kugeln in seine gewölbte Handfläche.

      Mit Perlen ließ es sich in Stoney Creek hervorragend tauschen, noch viel besser als mit Coris oder einer perfekt geformten Marcoma. Es ist nicht gerade einfach, an Perlmuscheln heranzukommen, da sie in Tiefen leben, die der Mensch nur schwer ertauchen kann. Und bei weitem nicht in jeder Muschel findet sich eine der begehrten Kostbarkeiten. Daher auch ihr hoher Tauschwert.

      Ich staunte nicht schlecht, als ich das gute Dutzend rabenschwarzer Prachtstücke auf Kristers Hand erblickte. Er suchte eine mittelgroße aus und hielt sie Amny unter die Nase.

      „Ich nehme an, eine wird reichen“, sagte er, wohl wissend, für eine Schwarzperle dieser Größe den Gegenwert von mindestens dreißig Schildlingen erwarten zu dürfen. „Ich nehme an, es ist nicht vermessen, wenn wir dafür die bequemsten Betten des Hauses bekommen.“

      Amny verschlang das kleine Juwel mit den Augen. Offenbar hatte sie ein Exemplar dieser Größe noch nie gesehen.

      „Nein, das ist nicht vermessen“, sagte sie eifrig und nahm die Bezahlung entgegen, die sofort in ihrer Rocktasche verschwand. Über eine wild knarzende Stiege führte sie uns nach oben in die nach ihren Worten beste Kammer. Darin befanden sich ein Tisch und vier Schlafgelegenheiten, gepolstert mit gehäckseltem Stroh. Das ließ keine Wünsche mehr offen. Wir erkundigten uns nach einem guten Wirtshaus und bekamen auch bereitwillig Auskunft.

      „Wo hast du diese vielen Perlen her?“ fragte ich Krister auf dem Weg zur Schänke. „In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viele Schwarzperlen auf einem Haufen gesehen. Du schleppst ja ein kleines Vermögen mit dir herum.“

      „Und wie man sieht, nicht vergeblich. Was nützt mir das Zeug, wenn es zu Hause rumliegt? Und was deine erste Frage angeht: Ich kenne da ein ganz vorzügliches Perlenrevier vor Ajutaia. Streng geheim natürlich. Und keiner hält die Luft länger an als der gute Scott.“ Er grinste mich an.

      „Dann können wir uns heute Abend ja ein Festmahl leisten, auf deine Kosten versteht sich!“

      „Sehr gerne, so wie ich es sehe, ist dies hier sowieso der letzte Ort, an dem uns die Dinger zu etwas nütze sein werden, oder glaubst du, wir werden von den Opreju auch so freundlich empfangen, wenn ich mit dem Perlensäckchen winke?“

      Wohl kaum. Wir würden eher mit gespicktem Rücken in einem großen Topf landen. Doch formulierte ich meine Befürchtung nicht und schüttelte stattdessen zweifelnd den Kopf.

      „Seht mal, ist das da vorne nicht das Wirtshaus, das Amny empfohlen hat? Ich kann es kaum erwarten, was Anständiges zwischen die Kiemen zu bekommen!“

      Wir ließen es uns in der Tat gut gehen und langten tüchtig zu. Zweikornsuppe als Vorspeise. Emmereintopf und Hühnerpastete als zweiten und dritten Gang. Als Nachtisch wählten wir Hirsekuchen mit Dörrobst und Nüssen. Zum Hinunterspülen gab es natürlich das unvermeidliche Korma, das nur Luke in Maßen genoss. Krister und ich dafür umso mehr.

      Die mächtig korpulente Wirtin, einem wandelnden Fass gleich, zeigte sich anfangs etwas argwöhnisch ob ihrer gefräßigen Gäste, fasste aber Vertrauen als Krister zwei Schwarzperlen als Bezahlung in Aussicht stellte.

      Mit gut gefülltem Magen ließ ich mich in den Stuhl