Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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      „Nun ja, hier ist jetzt erst mal nichts mehr zu holen. Die anderen in dem Pool sind gewarnt und werden bis zum Einbruch der Dunkelheit die Köpfe einziehen. Aber das hier ist ja nicht das einzige Wasserloch weit und breit.“

      Während Krister wieder in seine Stiefel schlüpfte und die noch immer zuckende Yandura von der Harpune nahm, fragte ich mich, wie um alles in der Welt es mir gelingen sollte, auch etwas zu erbeuten. Mit meinem Messer würde es niemals gelingen. Ich müsste es in einen Speer umfunktionieren, verspürte aber keine große Lust darauf. Warum sich diese Mühe machen, wenn Krister bereits über eine perfekte Waffe verfügte?

      Ich kletterte ans Wasser hinunter, dort wo das Meer träge an Land rollte. Die Sonne verzog sich wieder hinter Wolken und schon sah es um uns herum nicht mehr ganz so perfekt aus. Das Türkis des Wassers verblasste zu schmutzigem Blaugrün, die leuchtenden Farben der Natur überzogen sich mit einem Grauschleier.

      Ich beschloss, die Jagd ganz und gar in Kristers geschundenen Händen zu belassen, kniete nieder und tauchte die erhitzten Hände in kühles Seewasser, als mich dieses riesige Auge anstarrte.

      Reflexartig zuckte ich zurück.

      Was war das gewesen?

      Mit klopfendem Herzen wagte ich mich wieder einige Schritte voran und riskierte einen neuerlichen Blick.

      Ja, es war noch da.

      Ein riesiges Auge, vielleicht anderthalb Meter unter der Wasseroberfläche!

      Es lag regungslos da und starrte mich an. Wie gewaltig es war! Dreißig Zentimeter im Durchmesser? Ja, das kam dem ganzen ziemlich nahe. Schließlich nahm ich die Tentakeln und den pfeilförmigen Kopf wahr, in dem das riesige Auge ruhte. Es handelte sich zweifellos um ein Luvium, einen riesigen Oktopoden, einer Kopffüßerart, die an den Küsten Avenors selten geworden war. Stamarinas gab es noch zur Genüge, man musste nur wissen wo. Mir selbst war noch kein Luvium untergekommen, aber ich war überzeugt, hier vor einem Vertreter seiner Art zu kauern.

      Vorsichtig zog ich mich zurück. Mein Jagdtrieb flammte auf, welcher sich mindestens ebenso schwer unterdrücken ließ wie Kristers. Ich brauchte die Harpune! Unbedingt!

      Zurück am Pool fand ich die inzwischen reglose Yarunda in einer hellrosa Pfütze aus ihren eigenen Körpersäften liegend, aber keine Spur von Krister. Ich rief nach ihm.

      „Was ist?“ Er tauchte hinter einem der vielen Backenzahnfelsen auf, die Harpune fest in der Rechten.

      „Frag nicht!“ Ich lief zu ihm hinüber. „Gib mir die Harpune und ich besorge uns ein Abendessen, das du nie mehr vergisst.“

      Krister zog die Harpune aus meiner Reichweite. „Später“, meinte er kurz angebunden.

      Mein aufgebrachter Blick überzeugte ihn dann doch und er reichte mir die Waffe, wenn auch zögerlich. „Wozu brauchst du sie?“

      „Wenn mich nicht alles täuscht, liegt dort unten am Strand ein Luvium“, sagte ich aufgeregt. „Es ist riesig, allein das Auge ist so groß wie mein Kopf.“

      „Ein Luvium? Bist du sicher? Ich habe noch nie eines gesehen. Sind sie nicht ausgestorben?“

      „In der Bay of Islands mit Sicherheit. Aber hier, wo kein Mensch normalerweise einen Fuß hinsetzt, gibt es sie anscheinend noch.“

      „Wo ist es?“

      „Ja, das könnte dir so passen. Nein, mein Freund, das ist mein Luvium, ich habe es zuerst gesehen. Und ich werde es erlegen.“ Damit schnappte ich die Harpune und rannte zurück. Krister folgte dicht auf den Fersen. Langsam pirschten wir uns an die Stelle heran, an der ich das riesige Tier zuletzt gesehen hatte.

      „Mit der Harpune werden wir es wohl kaum töten können“, gab Krister zu bedenken. „Selbst wenn du es triffst, wird es in Richtung offenes Meer abhauen und dort verrecken.“

      Daran wagte ich nicht einmal zu denken. Wahrscheinlich war das Vieh sowieso längst fort. Nach allem was ich über das Luvium wusste, handelte es sich um eine besonders wachsame Spezies, die den Menschen wie die Pest mied. Aber ich sah mich eines besseren belehrt. Es war noch da und hatte sich allem Anschein nach auch keinen Zentimeter bewegt. Kristers Atem kam stoßweise. Ich wusste, was in seinem Kopf vorging, und er wagte es auch noch in Worte zu fassen.

      „Gib mir die Harpune. Du triffst ja doch nicht!“

      „Vergiss es!“

      „Du musst es genau ins Auge treffen, hörst du? Schlag mit aller Kraft zu, vielleicht gelingt es dir, das Biest festzupinnen! Meine Güte, wie riesig es ist. Hast du die Fangarme schon gesehen? Die sind meterlang.“

      Krister ignorierend holte ich weit aus und zielte auf das Auge, das mich weiterhin nichtsahnend und unschuldig anstarrte. Wie kam er dazu, mir zu sagen, was ich tun sollte? Als würde ich das nicht selbst wissen!

      In dem Moment, als ich die Harpune schleuderte, explodierte das Wasser um uns herum. Ein halbes Dutzend Tentakel schossen aus der seichten Brühe auf uns zu. Der folgende Schlag ins Gesicht warf mich um. Unsanft landete ich auf scharfen Felskanten und schlug mir Ellenbogen und Rücken blutig. Einen Sekundenbruchteil später stand ich aber auch schon wieder auf den Füßen und stürzte auf das Luvium zu.

      Doch es war weg. Die Harpune steckte im Fels. Auf ihrer tödlichen Reise hatte sie jedoch einen Fangarm abgetrennt.

      „Du hättest es mich machen lassen müssen!“ hörte ich Krister klagen. „Ich hätte das Vieh erlegt, sauber und schnell.“

      Ich sah ihn gereizt an.

      „Immerhin haben wir einen Fangarm. Sieh nur, er ist bestimmt zwei Meter lang!“

      Ich ging in die Knie und ergriff den armdicken Tentakel mit beiden Händen.

      Ein Fehler.

      Wie eine Würgeschlange – und mindestens genau so schnell – wickelte sich das amputierte Körperteil um meinen rechten Arm und saugte sich augenblicklich fest. Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich der Schmerz, bis ich laut schrie.

      Krister reagierte geistesgegenwärtig. Er zog sein Messer, verbat es mir, mich zu bewegen (was unter den gegebenen Umständen beinahe unmöglich war) und schnitt an mehreren Stellen tief in den Tentakel hinein, bis dieser die mörderische Umklammerung aufgab. Der Schmerz ebbte ab. Dafür begann ich am ganzen Körper zu zittern.

      „Du sollst dich nicht bewegen!“ Kristers ungeduldige Worte ließen mich zur Salzsäule erstarren. Mit der scharfen Klinge hob er die Saugnäpfe ab, welche sich wie Stanzen in meine blaurot verfärbte Haut gegraben hatten. Zurück blieben kreisförmige Wundmale von gut fünf Zentimetern Durchmesser, die sich allmählich mit Blut füllten.

      Ich starrte auf die Blessuren, unfähig, ein Wort von mir zu geben. Die Tatsache, dass es dem Biest gelungen war zu entwischen, schmerzte allerdings am meisten.

      Krister resümierte nur lakonisch: „Lektion Nummer eins: Trau keinem Luvium, nicht mal einem Teil von ihm.“

      Damit ließ er mich stehen und machte sich unerschüttert wieder auf die Jagd nach Yanduras.

      Als wir Luke später von dem riesigen Oktopoden erzählten, befiel ihn eine eigenartige Aufregung. Er wollte es gar nicht glauben, doch überzeugte ihn meine Trophäe restlos. Ehrfurchtsvoll untersuchte er den Tentakel von allen Seiten. Auch meine inzwischen dunkelblau angelaufenen Wundmale nahm er mehrfach in Augenschein.

      „Dieses Tier muss wahrhaftig gigantisch groß gewesen sein, wenn sein Auge wirklich so riesig war, wie du sagst. Ich tippe auf eine Körperlänge von zehn bis fünfzehn Metern.“

      „Möglich“, gab ich knapp von mir, immer noch an der Tatsache knabbernd, den Fang meines Lebens vergeigt zu haben.

      Zusammen mit den Yanduras brieten wir auch den Fangarm in der offenen Glut. Das geröstete Muskelfleisch erwies sich deutlich zäher als jenes der Stamarinas, doch gab es keinen echten Grund, seine Qualität anzuzweifeln. Dennoch blieb der weitaus größte Teil ungegessen liegen, kein Wunder, nicht einmal uns