„Dort vorne ist die Lagune“, hörte ich Luke endlich rufen. Der Kanal verbreiterte sich nun zusehends. Die Sonne brach durch die Wolken. In allen vorstellbaren Türkistönen schimmerte das ruhige Wasser der Lagune, und als das Boot in sie hinein glitt, sprang Krister auf die Füße und setzte das Segel. Während ich beide Ruder einholte, übernahm er flink das Steuer und drehte nach backbord ab. Wohin es nun ging, wusste nur er. Bald steuerten wir auf eine winzig kleine, mit schneeweißem Sand gesäumte Bucht zu.
„Da ist sie!“ hörte ich Krister mit entrückter Stimme sagen. „Savas Bucht.“
Ich war bestürzt. Er war also schon einmal mit ihr hier gewesen! Ich musste ihn so merkwürdig angesehen haben, dass er meinen Gedanken erriet. „Keine Sorge, Jack, ich habe die Bucht nur nach ihr benannt, sie selbst hierher zu bringen, hätte ich nie gewagt.“
Warum mich diese Worte erleichterten, begriff ich selbst nicht.
Wir warfen alles Gepäck in den strahlend weißen Muschelkalk, der die kleine Bucht säumte. Hier würde es sich vorzüglich schlafen lassen! Kaum ruhte das Boot sicher und fest, begann Krister im Schatten einer der wenigen Bäume, die hier Wurzeln zu schlagen wagten, zu graben. Wenig später brachte er eine eiserne Harpune zu Tage, die er mir stolz in die Hand drückte. Sie maß anderthalb Meter, und ich erstarrte, als ich den kalten Stahl in den Händen spürte.
„Sie ist aus Eisen!“ Ich sah ihn mit offenem Mund an. „Wo hast du sie her?“ Die Kunst des Eisengießens war im Großen Krieg verloren gegangen, eine Fähigkeit, die die Menschen erst seit kurzem wieder zu erlernen begannen. Eisenerz kam in Avenor nicht vor. Man fand es jedoch sehr wohl in den sogenannten Kupferbergen, die das nordöstliche Ende des Zentralmassivs bildeten, nahe der Grenze zwischen Aotearoa und Laurussia, dort, wo das Gebiet der Opreju begann. Unter normalen Umständen wagte sich niemand dorthin. Das wenige Eisen, das in Avenor kursierte, wurde zum größten Teil durch Einschmelzen alter Waffen aus dem Großen Krieg gewonnen, die sich immer wieder auf den ehemaligen Schlachtfeldern fanden. Aber auch das Verarbeiten von qualitativ schlechterem Sumpferz war weit verbreitet.
„Wo hast du sie her?“ fragte ich.
Krister grinste breit. „Ich fand sie vor vielen Jahren in einem Wrack an der Mündung des Sawyer. Ein uraltes Wrack, wohlgemerkt. Keines aus unserer Zeit. Ein Handelsschiff aus Van Dien, wie ich annehme. Vielleicht eines der Schiffe, die Lake Sawyer und die alte Hauptstadt miteinander verband. Wie auch immer, als ich das Wrack zufällig fand, musste ich natürlich hinuntertauchen.“
„Mit wem warst du dort?“ fragte ich. Mir war sofort klar, dass er niemals alleine in ein unbekanntes Wrack tauchen würde. Ich traute Krister zwar sehr viel zu – vielleicht zu viel – aber eines war er bestimmt nicht, sträflich leichtsinnig.
„Mit Rob natürlich“, erwiderte Krister.
„Er hat mir nie etwas davon erzählt“, murmelte ich und fühlte mich betrogen.
„Es gibt so manches, was du nicht weißt. Ich tauchte also hinunter, ein altes Wrack, halb im Schlamm versunken. Es lag tief und mir blieb nicht viel Zeit. Ich wühlte ein wenig hier und ein wenig da und fand diese eiserne Harpune. Mit ihr habe ich der Yandurakolonie hier schon das Fürchten gelehrt. Das Eisen geht durch ihre Panzer hindurch wie nichts.“
„Da kannst du drauf wetten.“ Die Waffe wog schwer in meinen Händen. „Ihr tatet gut daran, sie hier zu verstecken. Zuhause hätten sie sie euch sofort abgenommen.“
„Ja klar, und irgendeinen Scheiß daraus gegossen für die Landwirtschaft oder was weiß ich was“, argwöhnte Krister angewidert. „So etwas Edles darf man einfach nicht zerstören.“ Er nahm mir die Harpune wieder ab und prüfte die Schärfe der Spitze. Augenblicklich floss Blut. „Gut, sie ist noch messerscharf. Na dann, ich kann es kaum erwarten. Kümmert ihr euch ums Feuer?“ Und schon lief er los. Wohin konnte ich nur ahnen. Wohl zu den nur ihm und Rob bekannten Fanggründen.
„Vergiss es“, erwiderte ich sofort. „Ich komme natürlich mit.“
„Ja, geht nur“, gab Luke von sich, der der kostbaren Harpune wenig abgewinnen konnte. Er wirkte beinahe froh ob der Aussicht, uns für eine gewisse Zeit loszuwerden.
Krister und ich kraxelten das Kliff hinauf, das uns über eine Art Grat steil nach oben führte. Von dort aus blickten wir zurück auf Savas Bucht, auf das kleine Boot, das im Sand ruhte. Krister winkte Luke zu, der sich, soweit ich das sehen konnte, ganz und gar dem Sammeln von Treibholz hingab.
„Der Träumer hört und sieht jetzt nichts mehr“, sagte Krister kopfschüttelnd. „Ist wieder mal eins mit seiner geliebten Natur. Aber wenigstens tut er, was man ihm sagt, darauf kommt es an. Und er tut es gewissenhaft. Ah, siehst du? Hier drüben ist schon die Nachbarbucht, wir haben sie einst Krisberts Bucht getauft.“
„Krisbert?“ Ich erriet die Umstände der Namensgebung und fand sie überaus albern.
„Ja, ein toller Name, nicht wahr?“
„Ja, echt toll.“ Entweder nahm Krister meinen Spott nicht wahr oder bevorzugte es schlicht und einfach ihn zu überhören. Auf flinken Beinen arbeitete er sich das Kliff hinunter. Ich folgte dicht hinterdrein.
„Krisberts“ Bucht besaß keinen Strand. Merkwürdig geformte Felsen, die wie zerklüftete monströse Backenzähne aussahen, ersetzten den weißen Sand, der Savas Bucht ein so anmutiges Aussehen verlieh. Ein kleines Rinnsal sickerte gurgelnd das Kliff hinab und bildete hier und da kleine Pools. Süßwasser! Hier konnten wir also unseren Vorrat an Trinkwasser auffüllen. Das bedeutete mir mehr als eine Yandura zum Abendbrot.
Krister hatte bereits das Ufer erreicht und untersuchte die zahlreichen Spalten im Fels, die wie kleine Kanäle aussahen und jetzt bei Hochwasser geflutet waren. Später, wenn die Ebbe einsetzte, würde sich das Meer zurückziehen und aus den Kanälen isolierte Wasserlöcher formen, in denen allerlei Getier Zuflucht fand. Krebse und kleinere Fische ließen sich dann leicht erbeuten, doch waren wir deswegen nicht hierher gekommen. Unsere Jagd galt einer anderen Spezies.
Yanduras ähneln in ihrem Aussehen den von den ersten Siedlern eingeführten Langusten, einer – wie ich aus den Aufzeichnungen von Radan gelernt hatte – Tiergattung Vestans, die sich jedoch in der Tethys nicht behaupten konnte und wieder verschwand. Die Lagune wimmelte nach Kristers Erzählungen nur so von Yanduras. Es handelte sich hier offenbar um einen bevorzugten Laichgrund. Jetzt so früh im Jahr durfte es noch nicht so weit sein und ich fragte mich gerade, ob Krister nicht sehr enttäuscht mit ein paar auf dem offenen Feuer gebratenen Krebsen Vorlieb nehmen musste, als ich ihn auch schon die Harpune schleudern sah.
Die Waffe verschwand geräuschlos in einem der größeren, bereits vom offenen Meer abgetrennten Wasserlöcher. Von meiner Warte aus gesehen handelte es sich um ein beträchtlich tiefes Wasserloch und tatsächlich hörte ich Krister triumphierend schreien, als er sich die Schuhe abstreifte und kopfüber in den Pool sprang. Kurz darauf tauchte er wieder auf, die Harpune in der Rechten haltend, an deren Spitze eine wild zappelnde Yandura steckte. Ich sprang hinunter und half ihm beim Sichern seiner Beute, während er wieder aus dem Wasserloch herauskletterte.
„Ein Prachtexemplar“, sagte ich bewundernd.
Die Yandura war einen guten halben Meter lang. Ihr schuppiger Schwanz rollte sich frenetisch auf und wieder ein, vier Beinpaare strampelten wie verrückt, zwei furchterregend lange, fingerdicke Fühler schlugen wie Peitschen um sich. Die Harpune hatte das unglückliche Tier genau an der Stelle zwischen Kopf und Rumpf durchbohrt, an der beide Panzerglieder aufeinander trafen und eine verräterische Lücke aufwiesen. Krister hätte die Yandura aber auch überall treffen können, der natürliche Schutz des Tieres hätte dem kalten Eisen der Harpune nichts entgegensetzen können, auch nicht an seiner mächtigsten Stelle.
„Nummer eins!“ Der erfolgreiche Jäger taxierte seine Beute. „Schön fett und