Das Vibrieren und leise Poltern wurde mehr und mehr zu einem harten
Dröhnen, das sich rasend schnell zu nähern schien. Heglen-Tur stieß
unbewusst einen heiseren Schrei aus, als unvermittelt die Toten zum Leben
erwachten.
Männer auf Pferden überzogen die Kuppe der gegenüberliegenden Düne.
Männer mit grünen Umhängen und grünen Rundschilden, mit wehenden
gelben Rosshaarschweifen an den Helmen und mit langen Lanzen in den
Händen.
Sie verharrten reglos auf der Düne und starrten auf die Tote Wache hinab.
Heglen-Tur krallte die Hände in den Sand, wandte den Kopf zur Seite und
blickte dann erneut zu der Erscheinung hinüber. Aber seine Sinne täuschten
ihn nicht.
Die Pferdemenschen kehrten in ihre alte Heimat zurück.
Es waren nicht so viele Reiter, wie die Tote Wache einst umfasste, aber
diese hier mit ihren grimmigen Gesichtern und den großen Pferden machten
auf den Jungmann einen furchterregenden Eindruck. Fieberhaft überschlug
Heglen-Tur die Anzahl der Feinde und kam auf etwa hundert Reiter und
Pferde. Aber wer konnte wissen, ob dies nicht nur eine Vorhut war?
Heglen-Tur wurde plötzlich bewusst, welche Gefahr seinem Clan und allen
anderen drohte. Er sah, wie die Männer ihre Pferde antrieben. Nein, diese
Reiter kehrten nicht um, sie kamen in die Wüste hinein, vielleicht, um Rache
für eine verlorene Schlacht zu nehmen.
Heglen-Tur warf einen letzten kurzen Blick auf den Beritt der Pferdelords,
dann rutschte er die Düne hinunter und lief in schnellem Trab der Heimstatt
entgegen. Es galt, eine Botschaft zu überbringen. Die Toten lebten wieder.
Die Pferdelords kehrten zurück.
Kapitel 4
Der Baum war alt. Niemand hätte zu sagen vermocht, wie alt er war. Sein
Stamm war auch von vierzig Männern nicht zu umfassen, und doch wirkte er
schlank, denn er ragte hoch auf. Seine breit ausladenden Äste und Zweige
filterten ein seltsames Spiel von Licht und Schatten auf den darunterliegenden
Boden. Es gab viele solcher Bäume in diesem ausgedehnten Wald, und hier,
im Zentrum des Waldes, waren sie besonders hoch und standen weit
voneinander entfernt.
Zwischen den Zweigen einiger Bäume waren ungewöhnliche Strukturen zu
erkennen, die sich jedoch harmonisch in das Astwerk fügten, ganz als seien
sie auf natürlichem Wege gewachsen und Bestandteil des sie tragenden
Baumes. Die Strukturen waren groß und dennoch zierlich, man konnte Wände
und Treppen ausmachen, die sich in den einzelnen Baumkronen und sogar
zwischen ihnen erstreckten. Kleine Balkone sprangen zwischen den Zweigen
hervor und bildeten Plattformen, die einen unvergleichlichen Ausblick boten.
Die Balkone, Treppen und Wege wurden von Geländern eingefasst, deren
Streben und Stützen sorgsam gedreht und verziert waren und deren Handläufe
derart fein gearbeitet und zudem im Verlauf unendlicher Jahre abgegriffen
waren, dass sie wie poliertes Steinholz wirkten. Die hölzernen Stege
bestanden aus verschiedensten Hölzern, die zu abwechslungsreichen Mustern
kombiniert waren. Zahlreiche Fenster waren aus der Nähe zu erkennen, mit
doppelten Flügeln und fein gefertigten Rahmen. Nur selten war Metall zu
sehen, und warme Farben beherrschten das Bild.
Das Volk der Elfen lebte im Einklang mit der Natur; es nutzte ihre
Schönheit, ohne sie zu schädigen, und die Natur schien sich dafür bei den
Elfen mit ihrer üppigen Vielfalt revanchieren zu wollen. Zu den Grüntönen
der Nadeln und Blätter gesellten sich lange Ranken und Lianen, die
verschlungene Muster zu bilden schienen, und das Grün setzte sich in dem
Moos und Gras auf dem Boden fort. Pilze und Blumen boten eine prachtvolle
Farbenvielfalt, angereichert durch summende Insekten und andere Tiere des
Waldes.
Die Tiere schienen ebenso wenig Scheu vor dem elfischen Volk zu
empfinden, wie die sie umgebende Natur, in der sie alle lebten. Es war, als
wüssten die Tiere, dass die Elfen ihnen nur deshalb Leid zufügten, damit sie
selbst überleben konnten. Fleisch gehörte zum Lebensunterhalt des elfischen
Volkes, doch machte es nur einen geringen Bestandteil aus, denn die
Pflanzenwelt und die nahe Küste boten genug Nahrung.
Die Elfen lebten in großen Gemeinschaften, die sie als Häuser
bezeichneten. Neben den Häusern des Waldes gab es die der See, die sich an
der Küste befanden. Jedes der Häuser beherbergte viele Angehörige des
Volkes und hatte ein eigenes Symbol.
Die Lilie war das Symbol des Hauses Elodarions, eines der ältesten
Elfenhäuser. Es war älter als die Bäume, die es beherbergten, und älter als die
Geschlechter der Menschen.
Der Elfenmann, der langsam über das Gras zwischen den Bäumen schritt,
war groß und schlank und äußerlich in den besten Jahren. Seine Gesichtszüge
waren glatt, und nur die Augen gaben einen Eindruck von der Weisheit, die er
in vielen Jahrtausenden erlangt hatte. Das Haar des Mannes war weißblond
und lang, wie es für Elfen typisch war, und die Haare fielen weit über den
Rücken, obwohl sie im Nacken von einer schimmernden Spange
zusammengehalten wurden. Die Spange hatte die Form einer Lilie, und auch
der schmale Stirnreif des Mannes wies dieses Zeichen auf. Der Elf war
barfüßig; er hatte seine Schuhe abgelegt, um das Gras an seinen Zehen spüren
zu können. Das seidig schimmernde, geschmeidige Gewand, das er trug,
schien seinen Körper zu umfließen, und seine Schultern waren von dem
typischen zartblauen Umhang der Elfen bedeckt.
Elodarion plagten sorgenvolle Gedanken, obwohl er sich eigentlich
glücklich schätzen konnte. Vor fünfhundert Jahren hatte seine Frau Eolyn
zwei