Heglen-Tur spürte ein intensives Jucken zwischen den Beinen, wo einer
der plagenden Sandflöhe Unterschlupf vor der Tageshitze gesucht hatte. Auch
das Jucken ignorierte er mannhaft, bis sich offensichtlich ein zweiter Sandfloh
hinzugesellte und der Reiz übermächtig wurde. Möglichst unauffällig hob
Heglen-Tur sein Hemd an und kratzte sich ausgiebig zwischen den Beinen,
wobei er auch einen der Flöhe fand und ihn zerquetschte. Errötend bemerkte
er eine ältere Frau, die auf sein entblößtes Geschlecht sah und einen
anerkennenden Pfiff ausstieß, der sofort die Aufmerksamkeit weiterer Weiber
auf ihn lenkte, sodass sich Heglen-Tur beeilte, seine Männlichkeit wieder zu
bedecken.
Er tat, als bemerkte er die Blicke und Kommentare der Weiber nicht, und
sah erneut zum Schädelhaus im Zentrum der Heimstatt hinüber. Ihm blieb
nichts anderes übrig, als zu warten, denn kein Jungmann näherte sich
unaufgefordert dem Sitz des Kriegerrates.
Missmutig wechselte er das Pfeilrohr in die andere Hand. Es maß eine
halbe Länge, bestand aus kostbarem Holz und war außen mit Fasern der
Stachelpflanze umwickelt. Ein Atemstoß reichte aus, um einen Stachelpfeil
durch das Rohr zum Feind zu tragen. Und wenn der Atem kräftig war und der
Stachel gut und gerade, konnte dieser noch über hundert Längen hinweg sein
Ziel finden. Heglen-Tur war stolz auf sein Pfeilrohr, denn er hatte es selbst
gefertigt, und es war gut, wie auch seine Stachelpfeile scharf und gerade
waren. Neben dem Pfeilrohr trug er noch die schwere Schädelkeule, ein mit
Pflanzenfasern an einen langen Oberschenkelknochen gebundener Stein, mit
dem man den Schädel eines Feindes zertrümmern konnte. Aber kein guter
Clankrieger würde das tun, wenn es sich vermeiden ließ. Die Keule musste
vielmehr den Nacken des Gegners treffen, um die Halswirbel zu
zertrümmern, damit die kostbare Schädeltrophäe unbeschädigt blieb.
Einzig das gezackte Messer, das in Heglen-Turs aus Pflanzenfasern
geflochtenem Gürtel steckte, war aus gutem Metall. Mit ihm ließen sich Tiere
ausnehmen, Stachelpflanzen roden und Hälse abschneiden. Sein Messer hatte
noch keinen Hals durchtrennt, aber bald, hoffentlich bald, würde auch dies
geschehen.
Seine empfindlichen Ohren nahmen ein leises Klingen wahr. Instinktiv
wandte er sich um und blickte zwischen dem Außenring der Pfahlzelte
hindurch zur nächsten Wachplattform. Aber der Wächter verhielt sich ruhig.
Hätte er das Wühlen eines Sandwurms bemerkt oder einer der anderen
Wächter Alarm gegeben, so würde er sich anders verhalten haben. Heglen-
Tur entspannte sich wieder und blickte erneut voller Ungeduld zum
Schädelhaus des Kriegerrates.
Endlich war dort Bewegung zu erkennen.
In dem Heglen-Tur zugewandten Eingang erschien die Gestalt von Bimar-
Turik, und als der alte Krieger Heglen-Tur erblickte, hob er einen Arm und
winkte ihn heran. Heglen-Tur hatte sich vorgenommen, mit würdevollen
Schritten hinüberzugehen, aber seine Aufregung war zu groß, und so verfiel
er in den typischen arhythmischen Trab des Sandvolkes, der einen Krieger
rasch durch die Wüste zu tragen vermochte. Dabei bemühte er sich,
wenigstens den richtigen Schrittwechsel vorzunehmen, damit der alte Krieger
keinen Grund zur Kritik fand.
Bald war es so weit, bald würde Heglen-Tur sich endlich Heglen-Turik
nennen dürfen.
Der Fünfzehnjährige erreichte einen der aufragenden Pfosten, auf denen
das Schädelhaus ruhte, schwang sich behände hinauf und blieb in
ehrerbietiger Haltung vor dem Krieger Bimar-Turik stehen. Bimar-Turik bot
keinen schönen Anblick. Sein Gesicht wies zahllose Narben auf, denn als
Kind war er in eine Stachelpflanze gestürzt, deren Dornen ihn übel
zugerichtet hatten. Er hatte viel Spott ertragen müssen, nachdem die Wunden
verheilt und hässliche Narben zurückgeblieben waren. Dieser Spott hatte
wohl dazu beigetragen, dass der Clankrieger als ebenso humorlos wie mutig
galt. Keiner hatte mehr Schädel genommen als Bimar-Turik, wenn man von
Heldar-Turiko einmal absah, dessen Namensendung auf seinen Status als
Clanchef hinwies.
»Der Turiko will dich sehen«, knurrte Bimar-Turik und musterte Heglen
ironisch. »Warte einen Moment, bis du nicht mehr so schwer atmest. Hat dich
der Anblick der Weiber so erregt oder der kurze Lauf so angestrengt?«
Heglen-Tur errötete ein wenig. »Mein Atem ist leicht wie ein Sandkorn im
Wind.«
Der ältere Krieger ließ seinen Blick von Kopf bis Fuß über den Jungmann
gleiten. »Fehlt es dir an Respekt, oder bist du nur zu dumm, um nicht zu
wissen, wann du zu schweigen hast?« Sein Blick wurde kalt. »Noch hast du
keinen Schädel genommen und nicht das Recht, deine Stimme einem
erfahrenen Krieger gegenüber zu erheben. Und wenn du so laut schnaufst,
wirst du nie nahe genug an einen Feind herankommen, um seinen Schädel zu
erhalten.«
Heglen-Tur schwieg, denn er spürte, dass der alte Krieger ihn auf die
Probe stellen wollte. Bimar-Turik zupfte an Heglen-Turs Knochenpanzer und
Gurt und klopfte an den Beinschutz. »Wenigstens siehst du halbwegs so aus
wie ein Clankrieger der Wüstennager«, brummte er. »Also lass uns
hineingehen und schnaufe nicht so, damit der Turiko wenigstens glauben
kann, er hätte einen künftigen Krieger vor sich.«
Der narbige Kämpfer schob den innerlich kochenden Heglen-Tur durch
den Eingang in das Schädelhaus. Von der sonnenüberfluteten Hitze des Tages
traten sie in den dämmerigen Schatten der riesigen Halbkugel, und Heglen-
Turs Augen mussten sich erst auf das seltsame Zwielicht einstellen. Zum
ersten Mal betrat er das Haus des Kriegerrates, und der Anblick der vielen
Schädel raubte ihm den Atem. So sorgsam waren sie entlang der