Sekret weiterer Sandstecher noch ein Extrakt aus dem Saft der Stachelpflanze,
der dafür sorgte, dass das Gift nicht aushärtete, sondern zäh blieb. Durch das
Schütteln wurde beides miteinander vermischt.
Heglen-Tur betrachtete seine bisherige Ausbeute und nickte zufrieden.
Bei einem Angriff konnte er die Stachelpfeile seines Pfeilrohres in die
Flüssigkeit tauchen. Es reichte aus, die Spitze zu benetzen, und jeder Gegner,
der von dem Stachel auch nur geritzt wurde, war des Todes. Aber das Volk
setzte diese Pfeile nur gegen Fleckbeißer und Sandwürmer ein, denn es wäre
unehrenhaft gewesen, einen zweibeinigen Gegner damit niederzustrecken.
Einen Schädel zu nehmen, war nur ehrenvoll, wenn sein Träger auch darum
kämpfen konnte.
Bevor es ganz dunkel wurde, suchte sich der Jungmann einen passenden
Schlafplatz. Er prüfte die Windrichtung und wählte die dem Wind
zugewandte Seite einer Düne aus, um nicht im Schlaf vom Sand bedeckt zu
werden. Der Wind würde ihm, zumindest aus der Richtung, aus der er blies,
auch den Geruch eines Fleckbeißers zutragen, und seine geschärften Sinne
würden Heglen-Tur rechtzeitig wecken. Er zog sein Messer aus der Scheide,
steckte diese in den Boden und legte das Messer selbst flach darüber. Auch
die Vibrationen eines weit entfernten Sandwurms würden dazu führen, dass
die Klinge herunterfiel und ihn zuverlässiger weckte als die Empfindsamkeit
seines Körpers.
Schließlich trank er noch etwas Wasser, nahm den Behälter mit dem
kostbaren Nass in die Armbeuge und rollte sich zum Schlaf zusammen, um so
der Kälte der Nacht zu trotzen. Denn es würde kalt werden, sehr kalt.
Schützte man das Wasser nicht mit der Wärme des eigenen Körpers, so
konnte es gefrieren und ein gebranntes Gefäß sogar zum Platzen bringen.
Wenngleich Heglen-Turs Wasserschlauch dehnbar war, schützte er ihn aus
Gewohnheit.
Die Nacht verging ungestört. Nur einmal durchbrach ein fernes Bellen die
Stille und ließ Heglen-Tur aus dem Schlaf schrecken. Aber der Fleckbeißer
war weit entfernt, und so war der Jungmann wieder eingeschlafen. Früh am
Morgen erhob er sich, steckte das Messer wieder ein und nahm zwei Schlucke
aus dem Wasserschlauch, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
Am frühen Nachmittag erreichte er die Tote Wache, und obwohl er sie
schon oft gesehen hatte, fühlte er erneut einen erregenden Schauder, als er die
Reihen der toten Reiter vor sich sah. Heglen-Tur verfiel in langsamen Schritt
und näherte sich ihnen andächtig. Aus der Ferne schienen die gefallenen
Krieger noch immer auf geisterhafte Weise von Leben erfüllt, und Heglen-
Tur konnte sich gut vorstellen, wie kraftvoll die Männer des Pferdevolkes
einst auf ihren Pferden gewesen sein mussten und welch guten Kampf sie
geliefert hatten. Aber je näher er ihnen kam, desto deutlicher waren die
Spuren des Verfalls zu erkennen.
Der Fünfzehnjährige rückte das Bündel zurecht, das Bimar-Turik ihm in
der Heimstatt überreicht hatte. Es bestand aus sorgfältig aufgewickelten
Pflanzenfasern, die Heglen-Tur helfen würden, der Toten Wache Ehre zu
erweisen. Knochen und Rüstungsteile von vielen der Skelette hatten sich
gelöst, sodass er sie neu würde binden müssen.
»So kämpften Ross und Mann der Pferdemenschen, bis der letzte Schädel
gelöst war«, murmelte er andächtig. »Und sie gereichten dem Volk der Pferde
zur Ehre und auch dem Volk des Sandes. So wird es besungen.«
Heglen-Tur nahm sich die Zeit, zwischen den Reihen der Toten
entlangzulaufen, und staunte wieder einmal, wie groß die Männer auf ihren
Pferden gewesen waren. Schließlich öffnete er das Bündel und begann
systematisch, die schlimmsten Schäden zu beheben.
Ein Zehntag klang nach einer langen Zeit, aber Heglen-Tur wusste, dass
sie rasch vergehen würde, denn es gab viel zu tun. Obwohl das Sandvolk die
stützenden Pfähle fest aufgestellt und die einzelnen Teile gut miteinander
verbunden hatte, forderte der Wind seinen Tribut. Aber die Mächte des
Schicksals hielten ihre schützenden Hände über die Toten. Kein starker Sturm
hatte sie je getroffen und ihre Gebeine über die Wüste verstreut. Doch wenn
dies einmal geschehen sollte, so berichteten es die Legenden des Sandvolkes,
würden die Toten der Pferdemenschen sich erheben und erneut den Kampf
aufnehmen. Ein Gedanke, der jeden aufrechten Krieger mit Schrecken
erfüllte, denn wie sollte man einen Toten bezwingen, dessen Schädel bereits
genommen war? Aber es war wohl nur eine Legende, die entstanden war,
damit die Turiks gewissenhaft darauf achteten, dass den Toten Ehre erwiesen
wurde. Heglen würde dies tun, so wie die Tradition es verlangte.
Mit geübtem Blick und kundigen Händen widmete er sich seiner Aufgabe,
bis er unvermittelt aufschreckte. Er spürte eine schwache Erschütterung des
Bodens, und sofort schärften sich seine Sinne.
Behutsam ging er in die Knie und legte das Ohr auf den Sand. Die
Erschütterung war nun deutlicher wahrzunehmen, ein rhythmisches Pochen.
Es klang fast wie das Graben eines Sandwurms, und doch war es anders.
Irritiert versuchte Heglen-Tur das leise Schwingen zu deuten. Doch dann
wurde ihm bewusst, dass die Schwingungen nicht aus dem Boden zu ihm
drangen, sondern auch durch die Luft an seine Ohren getragen wurden.
Das war kein Sandwurm.
Heglen-Tur richtete sich auf, sah sich überrascht um und erkannte hinter
einer Düne im Osten eine aufsteigende Staubfahne, die sich rasch näherte.
Automatisch ergriff er die Reste seines Bündels und rannte zu der Düne
hinüber, die er überquert hatte, um die Tote Wache zu erreichen. Er lief im
schnellen Trab und schob sich dann auf dem Bauch hinter den Kamm.
Während er seine Augen gegen das grelle Sonnenlicht abschirmte, versuchte
er