Orten beließ, wo ihr Blut ein letztes Mal den Sand der Wüste bedeckt hatte.
Nur die Schädel der im ehrenhaften Kampf gefallenen Gegner löste man als
Trophäe vom Rumpf. Die Waffen und Rüstungen hingegen beließ man ihnen,
so kostbar das Metall auch war, denn es wäre nicht statthaft gewesen, es von
den Toten zu rauben. So verrotteten die Überbleibsel jenes Kampfes im
Wüstensand, wurden von ihm bedeckt und wieder freigelegt. Einmal im Jahr,
wenn die Nacht am längsten währte, tranken die Krieger im Schädelhaus
gegorenen Pflanzensaft auf die Ehre der eigenen und der genommenen
Schädel. Und mancher dieser Tapferen hatte am folgenden Tag das Gefühl,
auch sein eigener Schädel sei bei diesem Ritual gelöst worden.
Die Lieder besangen die Kraft der Pferdelords, die einst bezwungen
worden waren, und die Kraft der Krieger, welche dies erreicht hatten. Um die
Toten des Pferdevolkes zu ehren, die den letzten Kampf gefochten hatten,
erinnerte man sich ihrer auf eine besondere Weise. Ihre Leiber hatte man
nicht einfach liegen lassen, sondern in mühevoller Arbeit aufgerichtet. Nun
konnten sie nach Osten blicken, dorthin, wohin ihr Volk zurückgewichen war,
dessen Überleben sie mit ihrem eigenen Tod gesichert hatten.
Das Sandvolk nannte sie die »Tote Wache«, und es hatte Opfer gekostet,
ihr Andenken zu bewahren. Bis die Körper verfallen waren, hatten das
verrottende Fleisch und der Gestank ganze Rudel von Fleckbeißern angelockt.
Das Sandvolk hatte eigene Leben opfern müssen, um die Toten zu
verteidigen. Doch nun gab es nichts mehr, was Fleckbeißer hätte anlocken
können, und so war die Ehrenwache mittlerweile weniger gefährlich.
Heglen-Tur trug die typische Tracht der Männer des Sandvolkes. Knochen
und die Fasern der Stachelpflanze bildeten die Grundstoffe seiner Kleidung.
Ein Blick auf sein ärmelloses Hemd aus gut durchgekauten Pflanzenfasern
bestärkte Heglen-Tur in dem Wunsch, bald ein Weib zu besteigen. Denn
musste er als Jungmann den Rohstoff noch selbst bearbeiten, würde das Weib
dem gebundenen Krieger die unangenehme Aufgabe des Kauens abnehmen
und sie vermutlich weitaus sorgfältiger durchführen. Dieses Hemd jedenfalls
war nicht richtig weich und anschmiegsam, ja, es kratzte sogar. Aber Heglen-
Tur ertrug es mit stoischer Miene. Er wollte sich vor den Frauen und
Mädchen des Clans keine Blöße geben. Das Hemd reichte bis über das Gesäß
und ließ die Beine frei. Durch den Speichel waren die Fasern beim Kauen
ausgeblichen, und so hatte das Hemd die Farbe des Sandes, was eine gute
Tarnung bot.
Zu dem kragenlosen Oberteil trug Heglen-Tur einen selbst gefertigten
Brustpanzer aus Knochen. Meist benutzte man die leicht erhältlichen Gebeine
der Sandwühler, aus denen sich ein passabler Panzer fertigen ließ. Sie wurden
mittels geflochtener Pflanzenfasern miteinander verbunden und bildeten einen
annehmbaren Schutz gegen die Klinge eines Schwertes oder einer Axt,
vorausgesetzt, der Hieb wurde nicht allzu kräftig geführt. Lanze und Pfeil
hingegen würden ihn durchschlagen, damit musste man sich abfinden, bis
man ein passendes Metallteil fand, das den Panzer verstärken konnte. Metall
wurde jedoch stets unter dem Knochenpanzer getragen, denn es schimmerte
verräterisch und konnte seinen Träger schon auf große Entfernung entlarven.
Es gab einige Stellen in der Wüste, an denen sich das kostbare Erz finden
ließ. Diese Orte waren allen Clans bekannt, aber nicht immer waren sie
zugänglich, denn es konnte vorkommen, dass die Wüste sie bedeckte. Das
Gesetz der Clans schrieb vor, das genommene Erz gerecht zu teilen, und wer
etwas fand und mitnahm, bewahrte den Anteil der anderen Heimstätten daran
auf, bis der Rat der Clans sich traf. Während die Turikos über die Belange der
Clans entschieden, tauschten die Turik das kostbare Metall. Es gab keinen
Streit zwischen ihnen, denn kein Clan übervorteilte den anderen. Sie hatten
gelernt, im Notfall zusammenzustehen, und so auch das Pferdevolk
bezwungen.
In jeder Heimstatt gab es das Zelt des Schmelzers. Es war besonders stabil
gebaut und hatte auf seiner Plattform eine besonders große Steinplatte. Auf
ihr formte man aus Sand den Schmelzkegel und brannte ihn. Dann wurde der
Kegel beheizt und das Erz von oben hineingegeben. Der Schmelzer und seine
Gehilfen achteten viele Sonnen lang auf die richtige Temperatur. Wenn die
rechte Zeit gekommen war, zerbrach man den Kegel. Dann hatten sich
Schlacke und Metall geschieden, und aus dem Metall wurden Wurmwarner,
Messer oder die eisernen Brustplatten der Harnische geschmiedet.
Weitaus wichtiger als der Schutz der Brust war dem Sandvolk der Schutz
von Bein und Fuß. An den Beinen hatte Heglen-Tur die knielangen
Überzieher aus den unvermeidlichen Pflanzenfasern angelegt, die vor den
Stacheln der Pflanzen schützten. Ihre dicken Sohlen bestanden aus der
mehrfach gefalteten und vernähten Haut der Sandwühler.
Heglen-Tur trug keinen Helm. Niemand vom Sandvolk tat das. Es war
unschicklich, den Schädel zu bedecken, denn es galt als Zeichen mangelnden
Mutes. Man bot dem Feind den Schädel dar, mochte er ruhig versuchen, ihn
zu nehmen. Allein die Stärke des Kriegers sollte darüber entscheiden, wer am
Ende wessen Trophäe nehmen würde.
Der Fünfzehnjährige blickte schweigend zwischen den Hütten des zweiten
Kreises der Heimstatt hindurch zum Zentrum hinüber. Einige der Frauen
beobachteten ihn, denn sie spürten die Ungeduld, die er verbergen wollte. Ein
Sandwühler suchte Schutz vor zwei vergnügt kreischenden Kindern und
rannte quiekend zu ihm hinüber. Doch Heglen-Tur ignorierte die kleinen
Wesen, die um seine Beine herumtollten, und versuchte sich den Anschein
von Gelassenheit zu geben, was ihm jedoch immer schwerer fiel. Als er schon
kurz davor stand, mit dem Fuß nach dem störenden Sandwühler zu treten,
rannte der Insektenfresser endlich davon,