herabzustürzen.
Davor saßen die erfahrensten Krieger des Clans und blickten den
Eintretenden ausdruckslos entgegen. Aber Heglen-Tur achtete nicht auf die
Kämpfer. Sein Blick galt einzig der imposanten Gestalt in der Mitte des
Schädelhauses: Heldar-Turiko, dem Oberhaupt des Nagerclans, der eine
lebende Legende des Sandvolkes war.
Als einziger Krieger trug der Turiko einen Helm auf seinem Kopf. Er war
hoch, mit einem golden schimmernden Kamm und einer fein gearbeiteten
Figur am Stirnschutz. Einst hatte er einem Elfen gehört, der jedoch schon
lange keine Verwendung mehr für einen Kopfschutz hatte. Heldar-Turiko
hatte Helm und Schädel in einem bemerkenswerten Kampf erfochten.
Niemand würde es wagen, den Mut des Turiko anzuzweifeln, und so konnte
er den Kopfschutz als Zeichen seiner Würde tragen.
Doch nicht nur der Mut Heldar-Turikos war bemerkenswert. Auch sein
Haar war es. Die Menschen des Sandvolkes hatten für gewöhnlich schwarze
Haare, doch die des Turiko schimmerten in der Farbe der Sonne, so wie es bei
vielen Menschen des Pferdevolkes vorkam. Damals, als das Reitervolk
besiegt worden war, hatte man einige ihrer Weiber genommen, denn die
eigenen Verluste waren hoch gewesen, und man brauchte neue Krieger.
Einige der aus diesen Verbindungen hervorgegangenen Kinder waren ebenso
blond gewesen wie der Turiko, doch im Laufe von Generationen waren die
Sonnenhaare immer seltener geworden. Es hieß, der Turiko sei der einzige
Mann des Sandvolkes, der noch das Sonnenhaar besaß.
»Tritt vor, Heglen-Tur«, sagte der Clanchef. Seine Stimme war leise, und
doch schien sie das Schädelhaus auf seltsame Weise zu erfüllen.
Bimar-Turik stieß den Jungmann auffordernd an. »Geh schon und zeige
deinen Respekt!«
Heglen-Tur trat rasch vor, näherte sich dem Clanchef und sank dann auf
die Knie. Respektvoll neigte er sich vor und bot dem Turiko den
ungeschützten Nacken dar. »Meine Trophäe gehört dem Turiko im Zeichen
des Nagers«, sagte er heiser und bemühte sich, seiner Stimme einen festen
Klang zu geben.
Heldar-Turiko nahm seine Schädelkeule und legte sie symbolisch in den
Nacken des Fünfzehnjährigen. »Dein Schädel sei dir erhalten, damit du dem
Clan Ehre machst und viele Schädel in sein Haus bringst.«
Die Keule hob sich wieder aus Heglen-Turs Nacken, und er richtete sich
langsam auf, ohne jedoch den Blick vom Boden zu nehmen.
Heldar-Turiko sah nacheinander die Männer an, die um ihn herumsaßen.
»Ein Jungmann will zum Krieger werden und seinen ersten Schädel lösen. Es
ist wohl an der Zeit, ihm diese Ehre zuteil werden zu lassen. Doch zuvor
brauchen wir den Beweis, dass er ihrer würdig ist.«
Der Clanchef richtete den Blick auf Heglen-Tur. »Willst du Ehre erlangen,
musst du auch Ehre erweisen, Heglen-Tur. Bist du bereit dazu?«
»Meine Trophäe gehört dem Turiko im Zeichen des Nagers«, wiederholte
Heglen-Tur ehrerbietig.
Der Clanchef schmunzelte leicht. »Ich frage nicht nach deinem Schädel,
sondern nach dem, was du darin hast.«
Einige der Krieger lachten auf, und Heglen errötete. Der Turiko bemerkte
die Verlegenheit des Jungmannes und nickte verständnisvoll. »Bevor du den
Schädel eines Lebenden als Trophäe nimmst, musst du denen Ehre erweisen,
deren Schädel wir einst lösten.«
Heglen-Tur begriff. Der Clanchef meinte damit die »Tote Wache«.
»So kämpften Ross und Mann des Pferdevolkes, bis der letzte Schädel
gelöst war«, zitierte der Turiko mit leiser Stimme. »Und sie gereichten dem
Volk der Pferde zur Ehre und auch dem Volk des Sandes. So wird es
besungen.«
»So wird es besungen«, echoten die Anwesenden.
Heldar-Turiko richtete Heglen-Tur an den Schultern auf. »Einen Zehntag
lang wirst du der Wache des Pferdevolkes die Ehre erweisen. Einen Zehntag
lang wirst du nichts essen und nur den Saft der Stachelpflanze zu dir nehmen.
Einen Zehntag lang wirst du deine Kraft der Ehre der Toten widmen. Dann,
Heglen-Tur, wirst du zu den Nagern zurückkehren. Und danach wirst du die
Krieger des Clans auf deinem ersten Streifzug begleiten. Nun geh, Heglen-
Tur, und erfülle die Pflicht der Ehre. Mögen dir künftig reichlich Schädel
beschieden sein. So sei es besungen.«
»So sei es besungen«, murmelten die Versammelten.
Heglen-Tur erhob sich unsicher. Es hatte geklungen, als sei er nun
entlassen, und dies bestätigte sich, als der narbige Bimar-Turik ihn am Arm
packte und aus dem Schädelhaus hinauszog.
»Einen Zehntag lang, Heglen-Tur«, brummte der alte Krieger. »Und
trödele nicht bei den Weibern herum. Du wirst sie früh genug besteigen
können.« Das Gesicht des Kriegers verzog sich auf grässliche Weise und
Heglen-Tur begriff, dass der Turik lächelte. »Glaube mir, Heglen-Tur, du
wirst bald merken, dass dies mehr Arbeit bedeutet, als zu leisten dir möglich
erscheint. Doch nun geh. Halte dich nicht bei den Zelten auf. Was du
brauchst, trägst du am Leibe. Hier, nimm dieses Bündel. Auch das wirst du
benötigen. Geh nun und erfülle die Pflicht der Ehre.«
Heglen-Tur nickte und nahm von dem alten Krieger ein fest geschlossenes
Bündel entgegen, dann wandte er sich um und sprang mit einem Satz von der
Plattform des Schädelhauses auf den Sand hinunter.
»Bist du verrückt?«, schrie Bimar-Turik wütend auf. »Willst du einen
Sandwurm herbeirufen?«
Heglen-Tur errötete erneut und bot schuldbewusst seinen Nacken dar. Der
alte Krieger nahm die Entschuldigung mit einem verächtlichen Schnauben an
und wandte sich wieder der Hütte zu. Der Fünfzehnjährige