Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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allmählich seine

       Freunde wieder sah, da merkte er an ihrem sondern

       Wesen, daß sie etwas Heimliches gegen ihn auf den

       Herzen hatten, und endlich sagte ihm einer: Mich

       nimmt viel Wunders, daß du dein Weib wieder daheim

       funden hast, sie muß deine Heimkunft gerochen

       haben. Ein fremder Mann war oft und lange bei ihr,

       und endlich ist sie ihm nachgefahren und zwölf Monate

       außen blieben und nur kurz vor dir wiederkommen.

       – Da ward der Ritter sehr zornig, lud seine

       Freunde und Verwandten zu einem Mahl und fragte

       dann dabei sein Weib öffentlich, warum sie so untümlich

       lange Zeit ihr Haus verlassen, und wo sie denn in

       der Welt herumgereist sei nach fahrender Fräulein

       Art. – Da stund die getreue Florentina schweigend

       vom Tische auf, ging in das Zimmer nebenan und

       kam als Pilgrim mit der Harfe wieder und reichte ihm

       das Stücklein Leinwand aus seinem Hemd. Da hob

       der Ritter seine Hände auf und rief: Vergib, du

       Himmlische, du Reine! Du befreitest mich aus Sklavenbanden,

       aus dem Joche am Pfluge, und fiel ihr

       weinend um den Hals und bat sie um Verzeihung, und

       jede Anklage verstummte auf immerdar.

       88. Triers Alter

       Trier und Solothurn sollen die ältesten Städte in Europa

       sein. Eintausendunddreihundert Jahre vor Christus

       habe Trier schon gestanden, wie alte Reimverse aussagen,

       ja Trier war lange die zweitgrößeste Stadt in

       der alten Welt, Rom die erste, und die Alten nannten

       es das reichste Trier, das beglückteste Trier, das

       ruhmwürdigste, das ausgezeichnete Trier – und dies

       schon zur Römerzeit, und zur Zeit des deutschen Mittelalters

       war Trier des Christentums Wiege, das zweite,

       das deutsche Rom. Triers frühe Kulturblüte brachen

       zuerst die Gallier durch eine dreimalige Verheerung

       und schufen aus der Stadt nur einen großen Totenhof.

       Dennoch verlangten einige dem Verderben

       entgangene Nobili noch blutige Zirkusspiele, wie sie

       in Rom stattfanden zur Zeit des tiefsten Sittenverfalles

       dieser Weltstadt. Die Astrologen nannten übrigens

       das Triersche Gebiet die Planetengasse, weil es dort

       so überaus häufig regnen soll. Man sagt auch von

       einem See in diesem Gebiete, darin sich zuzeiten ein

       wunderbarer Fisch soll sehen lassen, und wenn dies

       geschehe, bedeute es voranzeigend den Todesfall des

       jedesmaligen Landesherrn. Das schönste unter den

       vielen Baudenkmalen uralter Zeit ist der Dom zu

       Trier; lange zeigte man in ihm ein Horn, das die Ein-

       wohner die Teufelskralle nannten, und erzählten, der

       Erbauer des Doms habe allein nicht zustande kommen

       können und den Teufel zu Hülfe genommen und diesen

       überlistet, da habe der Teufel in seiner Wut die

       Altäre umreißen wollen, es sei ihm aber nicht gelungen,

       und habe er noch dazu eine Kralle lassen müssen.

       Im Dom zu Trier wird auch der ungenähte heilige

       Rock aufbewahrt, den Christus der Herr getragen

       haben soll, und um den die Kriegsknechte gewürfelt,

       weil er zu schön, als daß sie ihn hätten zerschneiden

       mögen. Es ist ein Mannsrock mit langen Ärmeln, aus

       zartem Linnenstoff, aus subtilen Fäden buntfarbig gewirkt.

       Die heilige Helena war es, welche diesen Rock

       mit einem Stücke des heiligen Kreuzes und einem

       Nagel, mit welchem Christus an das Kreuz geheftet

       war, nach Trier schenkte, wohin sie den frommen Bischof

       Agritius von Antiochia sandte. Dieser Rock genießt

       der andächtigsten Verehrung von vielen Millionen

       Gläubigen, die an seiner Echtheit nicht zweifeln,

       obschon an vielen Orten mehr derselbe Rock und

       doch nicht derselbe für echt gezeigt wird.

       89. Sankt Arnulfs Ring

       Von besonders hohem Alter ist auch zu Trier die Moselbrücke,

       ein dauerbares Gebäu von Steinen ungeheurer

       und ungewöhnlicher Größe, auf jeden Fall ein

       Bauwerk aus Römerzeiten; der Kaiser Nero soll

       schon über diese Brücke gezogen sein, um alles Land

       bis Köln zu erobern. Wo sich die Bogen der Brücke

       miteinander schließen, stehen Säulen, welche über die

       Brustwehr der Brücke emporragen, darauf sollen

       heidnische Götterbilder gestanden haben. Einst fühlte

       der heilige Arnulf sein Gewissen belastet, und da er

       von ohngefähr über die Moselbrücke ging, sah er in

       des Wassers Tiefe nieder, zog einen kostbaren Ring

       vom Finger und warf ihn voll Vertrauen auf Gottes

       Allmacht und Barmherzigkeit hinab in die Mosel,

       indem er rief: Wenn ich hoffen darf, daß meine Sünden

       mir verziehen werden, so werde ich diesen Ring

       wiederbekommen. Es vergingen wenige Jahre und der

       heilige Arnulf wurde unterdes Bischof zu Metz. Da

       lieferte eines Tages ein Fischer in die bischöfliche

       Küche einen großen Fisch, und da der Koch diesen

       zubereitete für die Tafel seines Herrn, fand er voller

       Verwunderung im Eingeweide des Fisches einen

       schönen Ring und brachte den Ring zum Bischof. Da

       sahe dieser, daß es sein Ring war, den der Fisch, ihn

       wohl für eine Speise haltend, beim Fallen hinabgeschlungen

       und einige Jahre bei sich behalten – und

       pries Gott in Demut für dieses Gnadenzeichen und tat

       sich aller sündigen Gedanken ab, um dieser Gnade

       sich wert zu erzeigen.

       90. Frevel wird bestraft

       Als im Jahre 1673 die Franzosen Trier belagerten,

       machten sie ringsum vor der Stadt alle Klöster der

       Erde gleich. Dem Kommandanten wurde auf das beweglichste

       zugeredet, nicht also zu verfahren, und ihm

       zu verstehen gegeben, keinem gehe es gut aus, der

       sich an Gotteshäusern und frommen Stiftungen mit

       frevelnder Hand vergreife. Der Kommandant aber