Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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von der Stelle rücken oder in solche

       Brocken brechen, daß sie den Strom ganz sperren und

       unschiffbar machen sollten; da stemmte er nun seinen

       Rücken an den Lurleifels und hob und schob und rüttelte

       am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu

       wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang,

       und es wurde ihm seltsam zumute. Er hielt inne

       mit seiner Arbeit und hielt es fast nicht länger aus.

       Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren

       und geholt, aber er hatte keine Macht über sie,

       wurde aber von Liebe so heiß, daß er dampfte. Als

       der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen;

       er hatte schon gedacht, an den Fels gebannt bleiben

       zu müssen. Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o

       Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen,

       in die Felswand schwarz eingebrannt,

       womit er sein Andenken bei der Lurlei verewigte.

       Nachher hat sich der Teufel sehr gehütet, der Sirene

       des Rheins wieder nahe zu kommen, und hat gefürchtet,

       wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen

       Geschäften große Unordnung und Unterbrechung

       zu erleiden.

       Die Lurlei aber singt immer noch in stillen ruhigen

       Mondnächten, erscheint immer noch auf dem Felsengipfel,

       harrt immer noch auf Erlösung. Aber die Liebenden,

       die sich von ihr betören ließen, sind ausgestorben;

       die heutige Welt hat keine Zeit, ihren Fels zu

       besteigen oder im Nachen sich in Mondnächten diesem

       zu nahen. Der Räderumschwung des raschen

       Dampfschiffes braust ohne Aufenthalt vorüber, und

       durch sein Rauschen dringt keine Sang- und Sagenstimme

       mehr.

       96. Sankt Goars Wunder

       Aus dem Lande Aquitanien kam ein frommer Mönch

       in die Rhein- und Mosellande. Auch an der Lahn

       nahm er eine Zeitlang den Aufenthalt, predigte, breitete

       das Christentum aus und übte manches Wunder.

       Ein Fels unterhalb der Lurlei zeugt noch von ihm;

       man erblickt in diesem Felsen eine ausgehauene viereckige

       Vertiefung und nennt dieselbe St. Goars Kanzel

       oder auch St. Goars Bett. Dort soll der heilige

       Mann lange Zeit gelebt und gewohnt haben, das

       Evangelium zu verkünden und verunglückenden

       Schiffern beizustehen. Noch ist, und für alle Zeiten,

       des Heiligen Name fortlebend in den einander gegenüberliegenden

       Ortschaften St. Goarshausen und St.

       Goar am Rhein, und zu Pfalzfeld in der Nähe hinter

       St. Goar soll ihm eine Denksäule errichtet worden

       sein. In seiner Zelle zu St. Goar soll der Heilige verstorben

       sein, worauf die Andacht ihm eine Kapelle

       dort errichtete, die schon zu Kaiser Karl des Großen

       Zeiten stand und berühmt war als ein Haus freigebiger

       Milde und Gastlichkeit gegen Reisende, Schiffer,

       Pilger und Wallfahrer. In der Gruft der von einem

       Grafen von Katzenellenbogen, denen diese Landschaft

       gehörte, erbauten Kirche steht die Bildsäule

       des Heiligen lebensgroß, und waren auch sonst viele

       Heiligtümer dort aufbewahrt, sind aber hinweggekommen.

       Manche nennen St. Goar den Apostel von

       Trier. Dorthin beschied ihn einst der Bischof Rusticus

       durch Sendboten; dieser hatte von des Heiligen Wundern

       gehört und konnte sie nicht glauben. St. Goar

       folgte den Boten, aber der Weg war völlig wüst und

       unwirtbar, es gebrach an Zehrung, und die Sendboten

       sprachen: Wenn kein Wunder hilft, so verschmachten

       wir. Da übte St. Goar gleich ein Wunder. Er rief in

       den Wald hinein, und es kamen drei milchende

       Hirschkühe, ließen sich melken, und ihre Milch rettete

       die Botschafter. Als der heilige Mann zu Trier vor den

       Bischof Rusticus geführt wurde, war ihm warm vom

       Gange, denn es war heiße Sommerzeit, und er sah

       sich im Versammlungssaale nach einem Ort oder

       Nagel um, seinen Mantel dahin zu hängen, gewahrte

       aber keinen solchen, und da hing er den Mantel auf

       einen Sonnenstrahl, der schrägwärts herein in den

       Saal fiel. Alle erstaunten, der Bischof aber zweifelte

       noch immer, und da ward ein Säugling hereingetragen,

       welcher am selben Tage gefunden worden war.

       Lasse uns, o heiliger Mann, so du es vermagst, aus

       dieses armen Säuglings Munde vernehmen, wer sein

       Vater ist! sprach der Bischof. Da rührte St. Goar mit

       dem Finger des Säuglings Lippen an, und die Versammlung

       vernahm deutlich aus des Kindes Munde

       die Worte:

       Pater meus:

       Rusticus,

       Episcopus!

       Da glaubte der Bischof ganz still an die Wundergabe

       St. Goars und versuchte ihn nicht weiter, wünschte

       auch nicht, daß der Säugling ferner spreche. –

       Einst fuhr Kaiser Karl der Große von seinem Palast

       in Ingelheim gen Koblenz, an St. Goars Zelle vorüber,

       ohne dort vorzusprechen, das nahm der Heilige

       übel und schuf einen so dichten Nebel, daß Karl landen

       und auf freiem Felde eine Nacht zubringen mußte.

       Seinen Söhnen hingegen, Karl und Pipin, welche

       einen Haß gegeneinander trugen und zufällig in St.

       Goars Zelle zusammentrafen, goß der Heilige Versöhnung

       in das Herz. Auch heilte er mildiglich auf ihr

       Anrufen des großen Kaisers Gemahlin Fastrada von

       heftigem Zahnweh. Karl der Große schenkte dankbar

       dem gastlichen Kapellenhause ein Faß guten Weines.

       Dieses segnete der Heilige mit der Kraft des Nimmerversiegens.

       Einst vergaß, vermutlich, weil er diese

       Kraft allzusehr erprobt, ein Pater Kellermeister den

       Hahn richtig zu schließen, so daß er stark tropfte, da

       kam eine Spinne daher, die webte so eifrig unter der

       Hahnöffnung fort und fort, bis sie das Gewebe so

       dicht gemacht,