Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749215
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Kind, und

       sprachen untereinander: Was kann diese Frau verbrochen

       haben? Und was hat sie uns getan? Sollte ihr zu

       sterben bestimmt sein, brauchen wir ihr doch nicht

       das Leben zu nehmen. Wir wollen dem Hund, der da

       mit uns läuft, die Zunge ausschneiden und Golo zeigen,

       zum Wahrzeichen, daß wir die Frau getötet, und

       sie gehen lassen.

       Und so taten die Knechte und ließen die arme Genofeva

       mit ihrem Kinde trostlos und weinend und betend

       in öder Wildnis zurück. Das Kind nannte Genofeva

       Schmerzenreich, es zählte noch keine dreißig

       Tage, und der Schmerz vertrocknete alle Milch in sei-

       ner Mutter Brust. Da flehte die arme junge Mutter zur

       Mutter aller Schmerzen und aller Seligkeiten, und die

       ewige Jungfrau neigte der Verlassenen liebend ihre

       Gnade zu. Aus dem Waldesdickicht trat eine Hindin,

       die lagerte sich vor Genofeva hin, und Genofeva legte

       ihr Söhnlein an die Zitzen des Tieres, sich selbst aber

       nährte sie mit dem, was der Wald bot, und baute auch

       für sich und ihren Sohn eine Hütte aus Holzstämmen,

       Reisig, Dornen und Moos, da blieb sie sechs Jahre

       und drei Monate und sah kein anderes Wesen als die

       treue Hindin.

       Da geschah es, daß der Pfalzgraf Siegfried einmal

       in dieser Gegend des Waldes jagte, und da trieben die

       Hunde die Hirschkuh auf, welche mit ihrer Milch Genofeva

       und ihren Knaben ernähren half. Jäger und

       Hunde folgten dem Wild, und die Hinde floh zur

       Hütte Genofevas und kniete zu dem Knaben hin, und

       Genofeva wehrte mit einem Stock die nachhetzenden

       Hunde ab. Jetzt kam der Pfalzgraf, mit Staunen sah er

       das Weib im Walde, fast aller Kleidung entblößt

       durch diese lange Zeit, und der Pfalzgraf vermeinte, es

       sei etwa ein verlaufenes heidnisches Weib oder eine

       Zigeunerin, und rief sie an: Bist du eine Christin? –

       Sie antwortete: Ich bin eine Christin, aber gib mir deinen

       Mantel, daß ich mich bedecke. Das tat Siegfried

       und fragte sie, warum sie keine Kleider habe und so

       einsam im wilden Walde hause. – Meine Kleider sind

       vor Alter zerschlissen, sagte sie. – Wie lange wohnest

       du in diesem Walde? Und wes ist dieser Knabe? Wer

       ist sein Vater? Und wie heißest du? – Auf diese Fragen

       antwortete Genofeva: Sechs Jahre und drei Monate

       wohne ich einsam in diesem Walde! Der Knabe ist

       mein Sohn, und seinen Vater kennt Gott so gewiß, als

       ich ihn kenne. Und Genofeva ist mein Name! – Bei

       diesem letzten Wort erschrak der Pfalzgraf, und ein

       Kämmerling trat zu ihm und sprach: Herr, trügt mich

       nicht die Erinnerung, so ist das wahrhaftig unsere

       Frau, die schon so lange gestorben sein soll – schaut

       doch nach dem Muttermal an ihrem Halse. – Und

       siehe – sie hatte das Mal. Der Pfalzgraf war abseit getreten

       und wußte nicht, was er beginnen solle, und

       sprach: Sehet doch, ob sie auch den Trauring noch

       trägt! – Und sie trug ihn noch. Und es kam über den

       Pfalzgrafen ein unsaglicher Schmerz und eine tiefe

       Reue, und er eilte zu Genofeva hin, und schlang die

       Arme um sie, und küßte sie, und herzte den Knaben,

       und rief: Ja, das ist mein Weib! Das ist mein Sohn! –

       Und Genofeva erzählte, wie es ihr ergangen durch

       Golos Teufelstücke und Verrat, und da kam dieser,

       sich nichts von diesem Ereignisse versehend, da zürnten

       ihm die Mannen des Pfalzgrafen und wollten ihn

       niederstoßen. Aber der Pfalzgraf gebot ihnen Einhalt

       und sagte, daß dieser Verräter des Todes von Ritterhand

       nicht wert sei. Vier Ochsen, die noch an keinem

       Pfluge gezogen, wurden genommen, und an jeden Fuß

       und an jede Hand des Missetäters wurden Seile gelegt

       und an die Ochsen gespannt, und diese dann nach vier

       Seiten getrieben. So ward Golo lebendigen Leibes in

       vier Teile zerrissen.

       Nun wollte Siegfried seine Gemahlin auf sein

       Schloß führen und aller Ehren teilhaft werden lassen,

       allein sie willigte nicht ein, sondern sprach: Hier an

       diesem Ort hat die heilige Jungfrau mich beschirmt

       und behütet, die wilden Tiere unsichtbar abgewehrt,

       durch die Hinde mein Kind erhalten, dieser Ort soll

       meine Stätte bleiben und der Königin aller Engel geweiht

       werden. Dem willfahrete der Pfalzgraf Siegfried,

       sandte zu Hildulf, dem Bischof, und ließ durch

       ihn die Stätte weihen und ordnete auf Genofevas Bitten

       den Bau einer Kirche an. Die Pfalzgräfin wohnte

       nun unter besserm Dach, allein sie konnte keine

       künstliche Speise mehr vertragen, sondern nur die gewohnte

       Waldkost, und lebte nach dem Wiederfinden

       nur noch wenige Tage; sie starb froh und selig, und

       ruhte in der neu erbauten Waldkapelle zu Unser Frauen

       Kirche, ohnweit Mayen, und es sind allda manche

       Wunder geschehen, und ist die Geschichte von der

       frommen Genofeva durch alle Lande gegangen. Aber

       nicht allein in Pfalzel, sondern auch in Mayen, das im

       Maifelde liegt, wird ein Genofeventurm gezeigt, und

       die Frauenkirche alldort soll die rechte sein. Biswei-

       len soll man noch Genofeva hinter dem Hochaltar sitzen

       und spinnen sehen.

       93. Die Weingötter am Rhein

       Zu Bacharach am Rhein, wo nach altem deutschen

       Reimspruch der besten Weine einer wächst, soll vorzeiten

       ein Altar des Bacchus, des Weingottes, gestanden

       haben, und des Ortes Name soll von diesem

       Altar, Bacchi ara, herrühren, diesen Altarstein nannten

       die Winzer umher auch den Elterstein. Dort ist

       auch ein Fels im Rhein, der wird nur bei ganz kleinem

       Rhein, bei großem Wassermangel und heißem dürren

       Sommerwetter, sichtbar und stets für eine dem Weinjahr

       günstige Prophezeiung genommen, denn