»Wünscht Ihr zu speisen?«, fragt der Mann, der vermutlich sogar ein paar Jahre älter ist als ich. »Man hat mir gesagt, dass die Echsen in einer halben Stunde fertiggegart sind. Ich kann Euch in der Zwischenzeit Suppe und Brot organisieren.«
»Das ist sehr freundlich von Euch, aber nicht notwendig.«
Bestürzung zeigt sich in seinem Blick. Er tritt näher an mich heran. »So dürft Ihr mich nicht ansprechen. Ich bin nur ein einfacher Soldat, während Ihr der Vertreter des Großen Zaubermeisters seid.«
Müde unterdrücke ich ein Seufzen und nicke. »Es tut mir leid. Natürlich hast du recht. Ich werde auf meine Worte achten.«
Man muss mir meine Erschöpfung ansehen, denn Janifik schiebt mich zu einem Holzstamm und deutet mir, mich zu setzen. Meine Knochen protestieren. Jetzt kann ich nichts für sie tun. Morgen wartet zusätzlich noch eine längere Wanderung auf mich.
Janifik sieht mich fragend an. »Darf ich Euch Euren Tee bringen?«
Ich nicke. »Danke für Eure … deine Mühe.«
»Es ist mir eine Ehre, Euch zu dienen.« Er deutet eine Verbeugung an und verschwindet.
Würden wir diese Unterhaltung nicht jeden Tag führen, hätte ich mich durch seine Worte eingeschüchtert gefühlt. Doch da er die gleiche Floskel morgens, mittags und abends wiederholt, hat sie ihre beängstigende Bedeutung verloren.
Er sieht in mir einen Helden. Er denkt tatsächlich, er wäre dadurch geehrt, zu meinem Diener ausgewählt worden zu sein.
»Janifik erkennt das Feuer in dir«, sagt Elevander, der sich leise genähert hat. »Schau nicht so finster, weil er dir seine Ehrerbietung so deutlich zeigt.«
»Solltest du nicht bei deiner Einheit bleiben?«
»Nicht heute Abend. Nicht in den Stunden, in denen du dich auf das Zusammentreffen mit diesem Monster vorbereitest.« Mit einer geschmeidigen Bewegung nimmt er neben mir Platz.
Unsere Schultern berühren sich, weil auf dem Holzstamm so wenig Platz ist. Diese Nähe hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Wieder einmal ist Elevander gekommen, um meine Seele aus der Dunkelheit zu retten.
»Woher nimmst du nur immer deine Selbstsicherheit?«, frage ich. »Woher stammt deine Fähigkeit, in allem und jedem etwas Gutes zu sehen?«
Mehrere Minuten lang schweigt er. Ich weiß, dass er über die richtige Antwort auf meine Fragen nachdenkt. Er gibt keine leichtfertigen Erklärungen, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben gibt.
»Die Liebe meiner Eltern ist die Kraft, aus der ich jeden Tag schöpfe«, sagt er schließlich. »Sie haben mir immer das Gefühl gegeben, ich könnte sie niemals enttäuschen. Was auch immer ich tue, wie auch immer ich mein Leben gestalte, solange ich dabei glücklich bin, werden sie mich unterstützen. Das ist die Erklärung für meine Selbstsicherheit und möglicherweise auch der Grund, weshalb ich mich im Licht wohler fühle. Ich habe niemals so Schreckliches erlebt wie du.«
»Der Tod meiner Eltern hat mich schwer getroffen«, gebe ich zu.
»Du gibst dir tief in deinem Inneren die Schuld. Den Grund dafür verstehe ich nicht. Du warst bei dem Kutschunglück nicht mit dabei. Du hast der Reitechse nicht befohlen, vom Weg abzuweichen und vor der Klippe nicht Halt zu machen.«
Sein ruhiger, besonnener Tonfall lässt das, was geschehen ist, so harmlos klingen. Ich weiß, dass er absichtlich die Gefühle aus seiner Stimme gestrichen hat. Trotzdem trifft er mich direkt ins Herz.
»Vielleicht hätte ich mit ihnen sterben sollen«, murmle ich und starre in das Feuer vor uns.
»Unsinn. Oremazz hat sich dir gegenüber niemals verhalten, als wärest du sein Enkel. Ich glaube, du erinnerst ihn an seinen Sohn. Meine Mutter sagt ständig, dass du deinem Vater unglaublich ähnlich siehst. Vielleicht hat der Große Zaubermeister Angst, dich zu nahe an sich heranzulassen.«
»Weil er mich ebenfalls verlieren wird, wenn ich bei dieser Aufgabe scheitere.«
Elevander lacht leise auf. »Nein, du erinnerst ihn an seinen größten Verlust. Ich bin mir sicher, dass er dich tief in seinem Herzen liebt.«
Ich gebe ein Schnauben von mir. »Dann ist sein Herz tiefer als die tiefste Schlucht.«
»Manchen Menschen fällt es schwer, ihre wahren Gefühle zu zeigen.« Jetzt klingt mein Freund, als würde dieser Satz auch wieder eine geheime Bedeutung haben.
»Was bedrückt dich?« Die Traurigkeit auf seinem Gesicht lässt mich nicht kalt.
Einen Moment lang scheint es, als würde er mir etwas anvertrauen wollen. Doch er blinzelt bloß und lächelt. »Nichts. Unsere Welt ist ein dunkler Ort geworden. Ich vermisse das Licht.«
»Du bist das Licht«, flüstere ich. »Du erhellst meine Dunkelheit. Was würde ich nur tun, wenn ich nicht dein bester Freund sein dürfte?«
»Vermutlich würdest du noch mehr an dir zweifeln.«
»Das ist kaum möglich. Eigentlich sind wir noch mehr als Freunde. Es fällt mir allerdings immer noch schwer, das anzuerkennen. Es jagt mir Angst ein.«
Elevander holt hörbar scharf Luft. »Was meinst du?«
»Du bist mein Bruder. Deine Eltern … Sie waren so gut zu mir. Ich bin ihnen unendlich dankbar dafür, dass sie mich bei sich aufgenommen haben. Trotzdem fällt es mir schwer, sie auch als meine Familie zu sehen. So viele Jahre habe ich bei ihnen leben dürfen. Dennoch kann ich ihnen immer noch nicht zeigen, wie viel sie mir bedeuten.«
»Bruder?« Elevanders Stimme klingt seltsam, als er das Wort wiederholt.
»Deine Mutter nennt mich Sohn, wenn sie mich tadelt. Ja, wir sind Brüder. Obwohl nicht das gleiche Blut in unseren Adern fließt, sind wir untrennbar miteinander verbunden. Das geht weit über Freundschaft hinaus.« Ich blicke zu Elevander und suche in seinem Gesicht nach Bestätigung. »Das siehst du doch genauso, nicht wahr?«
Langsam nickt er. Es scheint, als wäre er nicht gänzlich überzeugt. Ich kann seine Miene nicht deuten.
Besorgt runzle ich die Stirn. »Trete ich dir damit zu nahe? Ich habe nicht vor, dir deine Eltern wegzunehmen. Natürlich bist du für immer ihr einziger wahrer Sohn. Diese Position will ich dir nicht streitig machen. Ich dachte bloß …«
»Nein, nein«, unterbricht Elevander mich rasch. »Natürlich sind sie auch deine Eltern. Du wohnst inzwischen so lange bei uns, dass es keinen Zweifel daran gibt. Die Wortwahl hat mich überrascht, weil du die Formulierung noch niemals benutzt hast.«
»Wie du vorhin gesagt hast. Manchen Menschen kommt nicht leicht über die Lippen, wie sie wirklich empfinden. Ich hätte deinen Eltern vor unserer Abreise mitteilen sollen, dass ich sie liebe. All die Jahre, die sie für mich gesorgt haben, konnte ich mich ihnen nicht öffnen. Ein Teil von mir flüstert mir immer noch zu, dass ich meine leiblichen Eltern verleugne, wenn ich deine in mein Herz lasse. Hätte ich mich allerdings nicht so vehement dagegen gewehrt, mehr als Dankbarkeit zu empfinden, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, die Meinung meines Großvaters über mich nicht zu meiner einzigen Wahrheit zu machen.«
»Meine Eltern wissen, wie viel sie dir bedeuten.« Elevander unterbricht den Blickkontakt.
Irgendetwas beschäftigt ihn. Das kann ich an den Schwingungen seiner Aura erkennen. Er scheint mir nicht verraten zu wollen, was wirklich in ihm vorgeht, aber möglicherweise sehe ich lediglich Schatten, die gar nicht existieren. Vermutlich lässt auch ihn das, was vor uns liegt, nicht so gleichgültig, wie er mich glauben lassen will.
Janifik tritt in den Feuerschein. Er hat einen Becher und eine Kanne bei sich. Den Becher drückt er mir in die Hand und füllt ihn mit einer heißen, duftenden Flüssigkeit. »Wünscht Ihr ebenfalls einen Tee?«, fragt er an Elevander gewandt.
Der