IV. Eurojust
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Zusätzlich zu den genannten Instrumenten wurde mit Eurojust eine zentrale Stelle geschaffen,[1] bei der Vertreter der Justizbehörden aller Mitgliedstaaten angesiedelt sind. Sie hat den Auftrag, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden im Falle grenzüberschreitender schwerer Kriminalität zu unterstützen und zu verstärken (Art. 85 Abs. 1 AEUV). Ihre Aufgaben nimmt Eurojust entweder durch betroffene nationale Mitglieder oder durch das sog. Kollegium war, wobei die Mitgliedstaaten jedoch häufig ein Vorgehen auf Basis von Übereinkommen bevorzugen. Die Zuständigkeit von Eurojust orientiert sich an derjenigen von Europol und erfasst darüber hinaus auch andere Straftaten, die zusammen mit derartigen Delikten begangen werden. Allerdings kann Eurojust auch bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit von Europol fallen, unterstützend tätig werden (Art. 4 Eurojust-Beschluss). In der Praxis befasst sich Eurojust hauptsächlich mit unterschiedlichen Erscheinungsformen betrügerischer Handlungen (fraud), etwa Umsatzsteuerkarussellen.
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Eurojust ist aufgebaut als weisungsunabhängige justizielle Einrichtung der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit und dient im Wesentlichen als eine „Dokumentations- und Clearingstelle“ zur Erleichterung grenzüberschreitender Strafverfolgung.[2] Das Personal besteht v.a. aus abgeordneten Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten der Mitgliedstaaten. Diese können im Rahmen des nationalen Rechts ihres Heimatstaates strafprozessuale Befugnisse ausüben und haben zudem Zugriff auf nationale Informationssysteme, was einen effektiven Informationsaustausch begünstigen soll. Auch wenn Eurojust über keine eigenen Ermittlungskompetenzen verfügt, können die Mitglieder die Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten veranlassen (Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 lit. a AEUV).
Anmerkungen
Beschluss des Rates vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (2002/187/JI), ABlEU Nr. L 63/1 v. 6.3.2002 (Eurojust-Beschluss), geändert durch Beschluss des Rates vom 16.12.2008 zur Stärkung von Eurojust und zur Änderung des Beschlusses 2002/187/JI über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (2009/426/JI), ABlEU Nr. L 138/14 v. 4.6.2009 (Eurojust-Änderungsbeschluss).
Satzger § 10 Rn. 13.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › C. Verfahren der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen
C. Verfahren der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen
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Eine Reihe von Instrumenten regelt die allgemeine justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Dabei ist zwischen der horizontalen und der vertikalen Rechtshilfe zu differenzieren. Während die horizontale Rechtshilfe die klassischen Instrumente zwischenstaatlicher Kooperation betrifft, u.a. das Auslieferungsrecht, beschreibt der Begriff der vertikalen Rechtshilfe die Zusammenarbeit der nationalen Justizbehörden mit zwischen- und überstaatlichen Einrichtungen. Je nach Verfahrensstufe stehen unterschiedliche Mechanismen zur Verfügung.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › C. Verfahren der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen › I. Auslieferung von Personen
I. Auslieferung von Personen
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Das europäische Auslieferungs- und Rechtshilferecht ist von einer fast unüberschaubaren Vielzahl an Rechtsnormen gekennzeichnet und deshalb mitunter schon als „normative Anstiftung zur Rechtsbeugung“ beschrieben worden.[1] Betrachtet man allein die Auslieferung, mithin das Ersuchen eines Staates an einen anderen um die Übergabe einer Person, die sich im ersuchten Staat aufhält und vom ersuchenden Staat zur Strafverfolgung oder -vollstreckung gesucht wird, offenbart sich ein mehrschichtiges Normensystem sowie ein komplexes Verfahren.
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Im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten sowie zu Israel stellen das Europäische Auslieferungsübereinkommen des Europarates (EuAlÜbk)[2] sowie seine beiden Zusatzprotokolle[3] die zentralen Regelwerke dar. Daneben bestehen bilaterale Auslieferungsverträge und deliktsspezifische Europaratsübereinkommen. Von großer Bedeutung für die „Schengen-Staaten“ sind die Art. 59-66 SDÜ, die den Auslieferungsverkehr weiter vereinfachen. Diese Bestimmungen aus Titel III Kap. 4 SDÜ wurden zwar formal durch die Bestimmungen des RbEuHb ersetzt (Art. 31 Abs. 1 lit. e RbEuHb), werden aber aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 31 Abs. 2 RbEuHb bis auf weiteres noch angewendet. Schließlich beanspruchen mehrere Instrumente der früheren dritten Säule der EU nach wie vor Geltung, darunter das Übereinkommen vom 27.9.1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EUAuslÜbk)[4] und das Übereinkommen vom 10.3.1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EUVereinfAuslÜbk).[5]
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Da die Leistung von Rechtshilfe die Grundrechte des jeweils Betroffenen tangiert, erfordert nahezu jede derartige Maßnahme gegenüber dem ersuchenden Staat eine Ermächtigungsgrundlage. Gegen die einzelne Maßnahme muss dem Betroffenen aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes zustehen. Das Auslieferungsverfahren gliedert sich in zwei Stufen, das sog. Zulässigkeits- und das Bewilligungsverfahren.
1. Voraussetzungen der Auslieferung
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Eine Auslieferung setzt nach dem Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit zunächst voraus, dass das Verhalten eines Verfolgten, das zum Gegenstand des Ersuchens gemacht wurde, auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar und in beiden Staaten mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bedroht ist (§§ 2, 3 IRG; Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk).[6] Letzteres ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Von der erforderlichen Höchststrafendrohung bestehen mehrere Ausnahmen. So erklärt z.B. Art. 2 Abs. 1 EUAuslÜbk auch Handlungen für auslieferungsfähig, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats mit Höchststrafe von mindestens sechs Monaten Freiheitsentzug bedroht sind. Parallel zur erforderlichen Höchststrafendrohung kann die Auslieferungsfähigkeit im Fall der Vollstreckungshilfe an eine Mindestvollstreckungsdauer geknüpft sein (z.B. Art. 3 Abs. 1 lit. c. ÜberstÜbk). Zu beachten sind aber die vereinzelten Durchbrechungen dieses Prinzips. So erklärt etwa Art. 10 Abs. 4 des Übereinkommens vom 17.12.1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (IntBestÜbk) die aktive Bestechung ausländischer Amtsträger (einschließlich Abgeordneter) zur Erlangung von Vorteilen im internationalen Geschäftsverkehr und damit zusammenhängende Buchführungsdelikte für auslieferungsfähig, ohne dass es auf eine beiderseitige Strafbarkeit ankäme.[7]
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Die Auslieferung hängt zusätzlich von der Gegenseitigkeit ab, dass also der ersuchende Staat im vergleichbaren umgekehrten Fall ebenfalls zu Rechthilfe bereit ist, wobei dieser Aspekt hauptsächlich im vertragslosen Bereich eine Rolle spielt (vgl. § 5 IRG; vgl. aber auch