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Durch den Europol-Beschluss des Rates vom 6.4.2009[4] war Europol auf eine neue sekundärrechtliche Grundlage gestellt worden. Es hatte sich gezeigt, dass die aufwändigen Ratifizierungen bei der Änderung der bis dahin bestehenden völkerrechtlichen Grundlage keine rasche Anpassung an neue kriminalpolitische Bedrohungslagen erlaubten.[5] Europol wurde zu einer „Stelle der Union“, mithin zu einer Agentur umgestaltet. Als solche ist das Europäische Polizeiamt nicht mehr eine bloße internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit[6] im Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit, sondern steht als Institution der EU gleichberechtigt neben der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union (EUROJUST, vgl. unten unter Rn. 46 f.) und der Europäischen Polizeiakademie (CEPOL).
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Inzwischen wurde von der Ermächtigung in Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV Gebrauch gemacht und im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens die Europol-Verordnung vom 11.5.2016[7] erlassen, um die operative Effizienz des Amtes zu verbessern. Die neue Verordnung hebt u.a. den Europol-Beschluss von 2009 auf und tritt als neue Rechtsgrundlage der Agentur an dessen Stelle. Anlässlich dieser umfassenden Neuordnung wurde das deutsche Europol-Gesetz aktualisiert und erheblich verschlankt.[8]
3. Struktur
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Leitungsorgane von Europol sind zunächst der Verwaltungsrat, zusammengesetzt aus je einem hochrangigen Vertreter aller Mitgliedsstaaten sowie der Europäischen Kommission (Art. 10 ff. Europl-VO) und der Exekutivdirektor als gesetzlicher Vertreter des Amtes, der – ebenso wie seine drei Stellvertreter – vom Rat der EU ernannt wird (Art. 16, 54 Europol-VO).
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Als Verbindung zwischen Europol und den Mitgliedstaaten dienen nach dem sog. Liaison-Modell die nationalen Stellen (Art. 7 Abs. 2 Europol-VO), in Deutschland gem. Art. 2 § 1 EuropolG das Bundeskriminalamt. Grundsätzlich haben die Länder also nur einen geringen unmittelbaren Einfluss auf die zwischenstaatliche Kooperation. Über die nationalen Stellen – in begrenztem Umfang auch in Form direkter Behörden-Kontakte (Art. 7 Abs. 5 Europol-VO) – geben die Mitgliedstaaten auf eigene Initiative Informationen an Europol weiter, eine entsprechende Verpflichtung zur Übermittlung besteht jedoch nicht.[9]
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Die nationalen Stellen entsenden darüber hinaus Verbindungsbeamte, die die Interessen des jeweiligen Mitgliedstaates durch die sog. Verbindungsbüros vertreten (Art. 8 Europol-VO). Allerdings dürfen Europol und seine Bediensteten von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder nicht Europol angehörenden Personen Weisungen entgegennehmen oder anfordern.[10] Weisungsbefugt ist damit allein der Direktor von Europol.[11] Die Verbindungsbeamten kooperieren stattdessen untereinander durch permanenten elektronischen Informationsaustausch, wobei ihnen sowohl die behördlichen Datenbanken ihres Heimatstaates als auch die automatisierten Informationssammlungen von Europol (Art. 8 Abs. 4 Europol-VO) zur Verfügung stehen.
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Europol untersteht dem Personalstatut für EU-Institutionen wird aber nun nicht mehr aus dem Gesamtbudget der Union finanziert, sondern verfügt über einen eigenen Haushalt (Art. 57 ff. Europol-VO).
4. Funktion und Zuständigkeiten
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Das moderne Europäische Polizeiamt unterstützt die Tätigkeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie deren gegenseitige Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der transnationalen schweren Kriminalität und des Terrorismus, sofern zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder gemeinsame Interessen der EU-Politik betroffen sind. Welche Kriminalitätsformen gemeint sind ergibt sich aus einem umfangreichen Katalog (Art. 3 i.V.m. Anhang I Europol-VO). Europol dient dabei in erster Linie als permanente Serviceeinrichtung und Informationsdienstleister für die nationalen Strafverfolgungsbehörden, indem es relevante Informationen erhebt, speichert, verarbeitet, analysiert und austauscht. Dazu unterhält Europol ein automatisiertes Informationssystem (Art. 17 ff. Europol-VO). Die darin enthaltenen Daten – v.a. über Personen, die einer Straftat im Zuständigkeitsbereich von Europol verdächtig oder wegen einer solchen Tat verurteilt sind oder bei denen die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat besteht – dürfen insb. zu Analysezwecken verarbeitet werden (Art. 18 Europol-VO). Welche Kategorien personenbezogener Daten von welchen Kategorien betroffener Personen erhoben und verarbeitet werden dürfen, ergibt sich ebenfalls aus einem umfassenden Katalog (Art. 18 Abs. 5 i.V.m. Anhang II Europol-VO).
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Zudem soll Europol die nationalen Behörden durch Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungs- und operativen Maßnahmen unterstützen (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Europol-VO). Der ausdrücklichen Beschränkung in Art. 88 Abs. 3 AEUV wird dadurch Rechnung getragen, dass solche Maßnahmen ausschließlich gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Zusammenhang mit gemeinsamen Ermittlungsgruppen durchgeführt werden dürfen und Europol bei der Durchführung ihrer Aufgaben keine Zwangsmaßnahmen anwenden darf (Art. 4 Abs. 5 Europol-VO).
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Weitere Aufgaben von Europol sind gem. Art. 4 Europol-VO das Erstellen von strategischen und operativen Analysen sowie allgemeinen Lageberichten, die Vermittlung von kriminalistischem Fachwissen, die Zusammenarbeit mit OLAF, die Weiterentwicklung des Europäischen Zentrums zur Bekämpfung der Cyberkriminalität und die Bekämpfung von Internetkriminalität. Schließlich fungiert Europol auch als Zentralstelle zur Bekämpfung der Euro-Fälschung (Art. 4 Abs. 4 Europol-VO).
5. Verfahren
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Während die Mitgliedstaaten auch einen direkten Zugriff auf die in den Informationssystemen von Europol gespeicherten Daten haben (Art. 20 Abs. 1 Europol-VO), erhalten Eurojust und OLAF lediglich einen indirekten Zugriff nach dem Treffer/Kein-Treffer-Verfahren (Art. 21 Abs. 1 Europol-VO). In Deutschland sind etwa die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst sowie die Landespolizeibehörden befugt, auf die Analysedatenbanken zuzugreifen (§ 3 Abs. 1 EuropolG). Die Übermittlung personenbezogener Daten an Unionseinrichtungen durch Europol ist zulässig, soweit dies für die Erfüllung der Aufgaben von Europol oder der betroffenen Unionseinrichtung erforderlich ist (Art. 24 Europol-VO). Für die Übermittlung an Drittstaaten, internationale Organisationen und private Dateien müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein.
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In Ermangelung eigener Strafverfolgungsbefugnisse kann Europol die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten lediglich über deren nationale Stelle um die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen über eine unter die Ziele von Europol fallende Straftaten ersuchen (Art. 6 Abs. 1 Europol-VO). Die nationalen Behörden dürfen ein solches Ersuchen grundsätzlich nur unverzüglich und mit Begründung ablehnen (Art. 6 Abs. 3 Europol-VO).
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Allerdings können Europol-Beamte nach Maßgabe von Art. 5 Europol-VO zusammen mit nationalen Beamten an gemeinsamen Ermittlungsgruppen (vgl. unten unter Rn. 61 ff.) teilnehmen. Nur in dieser Form dürfen sie auf dem Gebiete der Mitgliedstaaten tätig werden, wobei sie dem während derartiger Einsätze dem nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates unterliegen. Sind die Europol-Beamten in eine gemeinsame Ermittlungsgruppe eingebunden, sind ihre Handlungen deshalb der führenden nationalen Strafverfolgungsbehörde zuzurechnen und hinsichtlich