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In sonstigen Fällen, in denen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit erforderlich ist, darf zusätzlich bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 IRG). Zulässig bleibt die Auslieferung auch ohne beiderseitige Strafbarkeit, wenn der ersuchende Mitgliedstaat die Auslieferung wegen einer in Deutschland nicht strafbaren Tat nicht isoliert begehrt, sondern akzessorisch in Zusammenhang mit einer auslieferungsfähigen Straftat.[14] Beachtlich ist zudem, dass die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates (§ 81 Nr. 4 IRG).
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Schließlich ist die Auslieferung zur Strafvollstreckung bzgl. eines deutschen Verfolgten nur dann möglich, wenn dieser nach Belehrung in einem richterlichen Protokoll zustimmt (§ 80 Abs. 3 IRG).
b) Ausländer mit gewöhnlichem Inlandsaufenthalt
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Praktisch häufiger als die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger aufgrund von EuHb sind Ersuchen anderer Mitgliedstaaten um die Auslieferung nichtdeutscher Staatsangehöriger, die in der Bundesrepublik ihren gewöhnlichen und rechtmäßigen Aufenthalt haben. Der gewöhnliche Aufenthalt besteht an dem Ort, an dem sich jemand freiwillig, ständig oder für längere Zeit, wenn auch nicht ununterbrochen aufhält.[15] Ausländer mit gewöhnlichem Inlandsaufenthalt sind deutschen Verfolgten weitgehend gleichgestellt, denn die Bewilligung einer solchen Auslieferung kann gem. § 83b Abs. 2 IRG in zwei Fällen von der zuständigen Behörde abgelehnt werden, nämlich wenn (1) die Auslieferung eines deutschen Verfolgten nicht unzulässig wäre[16] und (2) der Verfolgte bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt. Allerdings indiziert das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 83b Abs. 2 lit. b IRG bereits ein Auslieferungshindernis, so dass eine Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten nur ausnahmsweise in Betracht kommt.[17]
c) Ausländer ohne gewöhnlichen Inlandsaufenthalt
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Fehlt es bei einem ausländischen Verfolgten an einem gewöhnlichen und rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, so richten sich die formellen Voraussetzungen einer Auslieferung nach § 83a Abs. 1 IRG. Demnach ist v.a. eine hinreichend konkrete Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, erforderlich. Dazu gehört insb. die Tatzeit, der Tatort sowie die Tatbeteiligung der gesuchten Person (§ 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG). Eine Auslieferung trotz unpräziser Darstellung des Tatvorwurfs im EuHb stellt eine Verletzung des Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG dar.[18]
Anmerkungen
Erwägungsgründe 1, 11 und 31, ABlEU Nr. L 190/1 v. 18.7.2002.
Vgl. Ambos § 12 Rn. 46.
Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI), ABlEU Nr. L 190/1 v. 18.7.2002.
Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 21.7.2004, BGBl I S. 1748.
BVerfGE 113, 273.
BGBl I S. 1721.
OLG Köln NStZ 2006, 112, 113.
Vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß NStZ 2006, 663, 665. Ausf. zum Auslieferungsverfahren Hackner/Schierholt Rn. 62 ff.
OLG Stuttgart NJW 2010, 1617 ff.
Sieber/Brüner/Satzger/v. Heintschel-Heinegg § 37 Rn. 34.
Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1024, 14.
Vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß NStZ 2006, 663, 666.
Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg § 37 Rn. 42.
OLG Karlsruhe 28.12.2009 – 1 AK 85/09.
Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg § 37 Rn. 48.
Vgl. § 80 Abs. 1 und 2 IRG. Folglich darf die Strafverfolgung keinen maßgeblichen Inlandsbezug aufweisen und im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe muss gewährleistet sein, dass der Verfolgte auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung nach Deutschland zurücküberstellt wird.
OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 107, 109.
BVerfG