Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik. Miriam Preußger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miriam Preußger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000508
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nach Gesundheit, also derjenigen Gesundheit, die über basales Wohlergehen hinausgeht und nicht selten mit Perfektion (so suggeriert es der Titel Der Traum vom perfekten Kind) verwechselt wird, als einendes, die gesamte Elternschaft betreffendes Moment artikuliert (Unterkapitel 3.1). In Differenz zu bekannten Narrationen, in denen die Exklusivität des Eigenen stolz und abgrenzend betont wird, erscheint die Artikulation des natürlichen Wunsches nach Gesundheit des Kindes als elterngemeinschaftliche Universalie konstruiert. Universalität wird aber dennoch nicht eingelöst. Es werden parallel diskursive Elemente dargeboten, die Eindeutigkeit, Klarheit im Umfeld von Pränataldiagnostik drastisch unterlaufen. Aus diesem Grund werden ferner Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge im Umfeld pränataler Diagnostik untersucht (Unterkapitel 3.2). Was bedeutet es nun aber, wenn vielerorts – sowohl wissenschaftlich in der Forschungsliteratur und praktisch in zahlreichen konkreten Beispielen – Unsicherheit integriert und kommuniziert ist? Zur Beantwortung dieser Frage werden zunächst unterschiedliche Konfigurationen familienpolitischer Unsicherheit in unserer Medienkultur herauspräpariert (Unterkapitel 3.3). Anschließend werden die vielfältig zusammenspielenden Kategorien Unsicherheit, Schuld, Ich-Verarmung, Narzissmus und Schamlosigkeit in unserer Medienkultur gemeinsam in Anschlag gebracht (Unterkapitel 3.4). In Anlehnung an den diskursanalytischen Untersuchungsstil Foucaults91 kann gefolgert werden: Mütter und Väter verweilen in der Rolle von Gesundheitsminister_innen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbstidentisch die Reziprozität zwischen Gesundheit und Krankheit verdrängen. Dieser Verdrängungsprozess ist unbetrauerbar und politisch. Wie begründet sich aber die Verwendung des Begriffs Gesundheitsminister_innen? Minister_innen sind erstens Leiter_innen eines eigenständigen Geschäftsbereichs sowie einem übergeordneten Verbund (beispielsweise dem Bundestag) zugehörig und gegenüber diesem auch verantwortlich. Im Französischen und Englischen ist zweitens eine Verbindung zum religiösen Bereich vorhanden. Der ministre du culte und der minister sind Priester, Seelsorger, kurz Geistliche. Das Verb to minister bedeutet gerade dienen, betreuen oder einen Gottesdienst abhalten. Gesundheitsminister_innen üben demnach wie die Regierungsmitglieder eine (gesundheitliche) Führungsaufgabe aus und sind gleichzeitig einem übergeordneten Ganzen, nämlich den Gesundheitsidealen der Zeit, verpflichtet und verantwortlich. Wie die Priester betreiben sie Fürsorge und Betreuungsarbeit. Dabei dienen sie gleichzeitig einer autoritären Instanz respektive einem nicht zu hinterfragenden Ideal. Zudem sind sie Repräsentant_innen dieses Ideals und halten Gesundheitsdienste. Die Verleugnung jener konstitutiven Verbindung zwischen Krankheit und Gesundheit in unserer Gesundheitsmelancholie funktioniert aber nur vermeintlich. Gesundheitsminister_innen werden nämlich von einem unbotmäßigen, gärenden Rest eingeholt. Dieser Rest zeigt sich in Form vehementer Unsicherheit, von Ich-Verarmung und in der Erfahrung von Schuldgefühlen. Zudem erscheint die Selbst-Thematisierung der Gesundheitsminister_innen narzisstisch und schamlos. Neben der Kommunikation von Trauer als subversivem Mittel zur Unterbrechung der Gesundheitsmelancholie wird anhand einiger Sequenzen aus Scrubs die ambivalen­te Potenzialität von Lachen konturiert (Unterkapitel 3.5).

      Kapitel 4 zielt darauf ab zu illustrieren, wie Medien familienpolitische Diversität/Komplexität/Mehrdeutigkeit und auch deren unterschiedliche Eingrenzung herausgehoben arrangieren. Das folgende Kapitel stellt demnach eine metapraktische Erweiterung derjenigen einschlägigen Studien dar, die Diversität und reduktive Einschränkung im Kontext von Fa­mi­lia­li­tät lediglich deskriptiv behandeln. Familiale Mehrdeutigkeit in unserer gegenwärtigen Medienkultur ist bestenfalls tolerante Vielfalt und schlechtestenfalls Oxymorie. Bevor die gegenwärtige medienkulturelle Konfiguration familienpolitischer Vielfalt (und Eingrenzung) anhand verschiedener Medien dokumentiert wird (Unterkapitel 4.2 und 4.3), werden zunächst diejenigen Elemente herausgearbeitet, die autokonstitutiv mit dem Diskursphänomen Familienpolitische Mehrdeutigkeit bis hin zu Oxymorie verbunden sind (Unterkapitel 4.1). Es sind die Elemente Unsicherheit, Sorge und Angst, die für Unbehagen im Kontext von Fa­mi­lia­li­tät verantwortlich zeichnen. Inwiefern aber, warum und auf welche Weise erscheint Fa­mi­lia­li­tät der Gegenwart unbehaglich? Um familiale Malaise charakterisieren zu können, werden Begründungshorizonte im Umfeld von Pränataldiagnostik untersucht und analysiert. Als Grundlage hierfür dienen Erzählungen von Eltern und Experten im Dokumentarfilm Am Anfang – Vor der Geburt. Um allerdings einen diskursiven Einblick in familiales Unbehagen der Gegenwart gewährleisten zu können, wird die Objektebene erweitert. Die Gemeinsamkeit der betrachteten Aushandlungen (Artikelüberschriften, Sachtexte und der Roman Angst) besteht darin, dass sie einen konstitutiven Bezug zu familialer Unbehaglichkeit aufweisen. In Links’ Dokumentarfilm (Unterkapitel 4.2) wird Hybridität bei Fragen rund um Schwangerschaft ostentativ visualisiert. Welche filmischen Strategien und welche kommunikativen Elemente ermöglichen die Heraushebung von Hybridität? Um die familienpolitische Hybridität der Gegenwart in unserer Medienkultur besser fassen zu können, wird Bruno Latours Theorie in seinem Essay Wir sind nie modern gewesen herangezogen. Die von Frischs Protagonisten Walter Faber kommunizierte Klarheit, seine eindeutige Positionierung im Hinblick auf den Schwangerschafts­abbruch (»Schwangerschaftsunterbrechung: eine Konsequenz der Kultur, nur der Dschungel gebärt und verwest, wie die Natur will«92) ist in unserer gegenwärtigen Medienkultur unter familientechnologischen Bedingungen unterlaufen. Aber was ist geschehen? – kann mit Latour gefragt werden? Eingetreten ist jene wissenschaftlich vielerorts konturierte Vermischung von Gegensätzen, die sich metapraktisch auch zeigt. So fokussiere ich im Rückgriff auf neueste Medientheorien auf den existenten, manifesten, ja auf den ostentativen Charakter der familienpolitisch ambivalenten Zwischenräume in unserer Medienkultur. Ein interessantes zwischenräumliches Spektakel ist etwa das Schaufenster93 im Seed Brand Store München. Weiterhin bildet die Babywelt-Messe (MOC Veranstaltungscenter) eine Topografie mehrdeutiger Vielfalt. Die Babywelt-Messe ist somit ein Konzentrat der bunten konzeptionellen Diversität von Fa­mi­lia­li­tät. Diese komplexe Vielfalt zeigt sich gleichfalls, ist demnach augenfällig, ostentativ und herausgehoben. Butler zufolge macht gelebte Fa­mi­lia­li­tät in komplexer Daseinsform die Idealität der Norm zunichte94. Familiale Komplexität mündet in Entgrenzung und impliziert (produktive) Mehrdeutigkeit. Abschließend (Unterkapitel 4.3) wird problemorientiert ein Kalender mit Texten von der Ärztin Maya Fehling und Illustrationen von der Schauspielerin Ina Gercke zur Veranschaulichung der Manifestationen familienpolitischer Diversität und zur Vergegenwärtigung machtförmiger familienpolitischer Reduktionismen herangezogen und analysiert. Dieser Kalender für das Jahr 2016 stellt »12 Wege zum kindlichen Glück« aus.

      Kapitel 5 zeigt in Fa­mi­lia­li­tät eingeschobenes Konfliktpotenzial, welches strenggenommen dramatisch ist. In den Unterkapiteln wundere ich mich diskuranalytisch darüber, dass und wie95 persistent das Funktionieren von Fa­mi­lia­li­tät in unserer Medienkultur unterlaufen wird. Was sich anhand der jeweiligen Medienangebote illustrieren lässt, sind Konfliktfelder in ihren je spezifischen Kontexten. Kälter als der Tod, eine Episode der TV-Krimiserie Tatort entfaltet in mehrfacher Hinsicht Familiendramen (Unterkapitel 5.1). Er fungiert in einer Gesamtsicht als ein Medium, das familiale Problemhorizonte als Problemhorizonte antinormativ verhandelt. Hinsichtlich der Analyse der Tatort-Episode lässt sich gerade kein Fazit formulieren: Weder lassen sich Aussagen über soziale Elternschaft noch über biologisch-leibliche Verwandtschaft machen. Jener schlussfolgernde Gestus bezüglich Fa­mi­lia­li­tät ist filminhärent ausgehebelt. Schmerzlich und narratologisch brillant dargeboten ist jedoch Fa­mi­lia­li­tät als katastrophales Monster. Familiale Monstrosität beinhaltet Ausgrenzung und Entgrenzung, Gewalt, Idealität, Naturalisierung, Macht, Verschleierung und Maskerade, Verleumdung, Perfektion und Bürgerlichkeit. Es wird filmanalytisch illustriert, dass die Tatort-Episode vordergründig diese Monstrosität als eine chiastisch-antithetische Familienkonstellation inszeniert, die in ihrer Tragik und Drastik verdeutlicht, dass familiale Positionen synchron eben nicht eindeutig bestimmbar sind. Weiterhin zeigt sich, dass fehlende familiale Positionalität als katastrophal aushandelbar ist. Im Rekurs auf die Butlersche Lévinas-Lektüre wird die These formuliert, dass die visuelle Darstellung der Familienmitglieder (speziell von Lydia Sanders) deren erfahrenes (Familien)Leid verdeutlicht. Das Gewahrwerden des Gesichts des Anderen ermöglicht die Berücksichtigung der Verletzlichkeit