Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik. Miriam Preußger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miriam Preußger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000508
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und Gentechnologien – im Unterschied zur Heilung – geht (S. 107). Als besonders bedeutsam erweist sich auch ihre Feststellung, dass Reproduktionsprozesse zunehmend ärztlich begleitet werden (S. 248). Von Wülfingens Metaphernanalyse hat ergeben, dass die Diskurs­stränge ›Unfreiheit durch naturgegebene Bedingungen‹ und ›Befreiung durch Neue Reproduktions- und Gentechnologien‹ zentrale Verhandlungsmomente sind (S. 108). Nur durch gesetzte respektive angenommene Biologisierung erhalten Neue Gen- und Reproduktionstechnologien den Status von ›Befreiungstechnologien‹ (S. 107).8 Der sich manifestierende Argumentationsgang wird als dialektisch konturiert (S. 306). Ihre Studie ist von Interesse, weil sie den Stellenwert von Visionen und Fiktionen zum Ausdruck bringt sowie Strategien der Naturalisierung berücksichtigt. Mit der Autorin ist davon auszugehen, dass das, »was diskursiv präsent«, auch »ernst zu nehmen«9 ist. Während von Wülfingen auf eine »Untersuchung neuer Denkbarkeiten«10 (S. 23) abzielt, geht es mir um die Untersuchung von Elementen, die medial zeigbar sind. In deutlicher Differenzsetzung zu von Wülfingens Arbeit fokussiere ich aber gerade auf eine weitere, funktional bestimmte Objektebene. Die hier erarbeitete mediensyntagmatische Haltung konzentriert sich nicht vorweg auf Aushandlungen in Publikumsmedien und von Expertenstimmen.

      Die kulturwissenschaftliche Medienanalyse Reproduziertes Leben. Biomacht in Zeiten der Präimplantationsdiagnostik (2011) von Julia Diekämper fokussiert innerhalb einer klar abgegrenzten Objektebene diskursanalytisch auf ein zeitlich und räumlich definiertes medial Sagbares: »Ich untersuche, was zu einer bestimmten Zeit (1995 bis 2010) an einem bestimmten Ort (Printmedien) anlässlich von bestimmten Ereignissen (im weiteren Sinne: Reproduktionstechnologien) sagbar war.«11 In Auseinandersetzung mit Diekämpers Arbeit lassen sich nun explizit methodologische Säulen herauspräparieren, die meine Studie mit bereits existierenden kultur- und medienwissenschaftlichen Arbeiten teilt bzw. mit denen die vorliegende medienkulturwissenschaftliche Untersuchung andere und neue Wege geht. Wie Diekämper gehe ich davon aus, dass »Medien als Reflektions- und Initiationsorgan eine markante Schlüsselposition zu[kommt]« (S. 21). Ebenso ist ihrer Auffassung, dass mediale Aushandlungen Normen hervorbringen (S. 20), vollends zuzustimmen12. Daneben verweist die Autorin auf machtförmige Kräfteverhältnisse im Reproduktionsdiskurs (S. 21). Wenn sie ankündigt, »ganz vom Material auszugehen« (S. 20), dann ist darin wohl eine Ähnlichkeit mit meiner Analyse von »Impressionen in situ« auszumachen. Diekämpers »Grundannahme«, »dass es keine klare Trennlinie […] zwischen einer ›reinen‹ Wissenschaft und der in den Printmedien auftau­chen­den vermeintlichen Populärwissenschaft [gibt]« (S. 15), liegt auch der vorliegenden Untersuchung zugrunde. Und dennoch: Meine medienkulturwissenschaftliche Haltung kann (in deutlicher Differenz zu Diekämpers Studie) auf keine homogene Objektebene fokussieren, schon gar nicht sich auf Printmedien beschränken. Der größte Unterschied besteht darin, dass in meiner Kopplung von Medienkulturwissenschaft und diskursanalytischen Werkzeugen nicht aussagenorientiert vorgegangen wird. Denn zu der zitierten Untersuchung »liefern Aussagen das Rohmaterial, weil sie die Möglichkeit einer systematischen Darstellung diskursiver Strategien bieten.«13 Hier dagegen soll es nicht darum gehen, dass »sich in den manifesten Sagbarkeiten (und Unsagbarkeiten) Normen ablesen lassen« (S. 104), sondern darum, dass disparate mediale Manifestationen herausgehoben, arrangiert-verdichtet, letztlich ostentativ Familienpolitik zeigen. Anders formuliert: Nicht »[m]ediale Sagbarkeit« (S. 26), sondern mediale Zeigbarkeit interessiert hier. Zwar gibt es sicherlich Interpenetrationszonen zwischen medialer Zeigbarkeit und Sagbarkeit – so formuliert Diekämer: »Exemplarisch zeigt sich anhand der Medien dann etwa, was zu einer bestimmten Zeit sagbar ist.«14 Wenn Diekämper jedoch einigermaßen verwundert festhält, dass die »diskursiven Nebenwirkungen der Pille […] sogar bis in die Unterhaltungsindustrie hinein[wirkten]« (S. 56) und ein Lied als Beispiel dafür zitiert wird, dann frage ich mich schon, was daran – zumindest vor dem Hintergrund eines funktionalen Medienbegriffs – denn nicht zu erwarten war, so suggeriert es zumindest das Adverb sogar. Zeigbarkeit ist in der vorliegenden Arbeit funktional und unstornierbar an (disparate) Medien in dem für unsere Medienkultur als charakteristisch anzunehmenden Mediensyntagma gebunden. Auch in Diekämpers Arbeit ist zu lesen, dass printmediale Medienbeiträge etwas »veranschaulichen« (S. 166) und »Debatten« unterschiedliche Wahrnehmungen sichtbar machen (S. 165). In meiner Studie sind aber die Zeigbarkeiten strikt methodologisch grundiert, an neue Medientheorien, an ein Mediensyntagma und an Medienkultur gebunden.

      Die Überlegungen von Rapp fungieren als symptomatische Belege für (all) die wissenschaftliche Konturierung von Kontextualität (und all ihren Varianten wie Situativität, Interpretativität etc.) im Umfeld von Reproduktion. Es war Rayna Rapp, die mit Testing Women, Testing the Fetus15 eine Untersuchung vorgelegt hat, in der intervieworientiert facettenreichste, kontextbasierte, glaubensspezifische, multiperspektivische, lokale und globale, kategorienabhängige (unter anderem class, age, gender) Diversität, Komplexität, Verflechtung, Differentialität bei Fragen rund um die Anwendung von Fruchtwasserpunktion beleuchtet wird. So konstatiert sie:

      »To understand each negotiation, we would need a different, fuller context within which to situate the meaning of this particular pregnancy in light of community values, reproductive histories, and the trajectory of each particular woman and her partner. Such a grounding would provide more ample space for examining the contradictory social relations and limits each pregnant woman faces, and the constrained agency she exercises in her reproductive choices« (S. 100).

      Dabei fokussiert sie auf Entscheidungsprozesse sowie verschiedene Grenzziehungen und fragt nach den basalen Konstitutionsbedingungen für die Notwendigkeit entschiedenen Grenzziehens. Die Bedeutung etwa von Kontextualität, Situativität oder Interpretativität bei Fragen rund um Familie kann nicht überschätzt werden. Dennoch gehe ich über die (bloße) Feststellung und Einforderung von Kontextualität, Situativität oder Interpretativität deutlich hinaus, indem ich mithilfe eines erkenntnisleitenden Medienbegriffs zeige, dass Kontextualität in unserer Medienkultur ostentativ vorliegt.

      Insgesamt betrachtet erweisen sich die jüngeren Sammelbände Soziologie der Geburt. Diskurse, Praktiken und Perspektiven16; Mütter – Väter: Diskurse, Medien, Praxen17; Das Imaginäre der Geburt. Praktiken, Narrationen und Bilder18 und Geburt in Familie, Klinik und Medien. Eine qualitative Untersuchung19 sowie Tanja Nussers Monografie »wie sonst das Zeugen Mode war«. Reproduktionstechnologien in Literatur und Film20 als echte Meilensteine, insofern als dort diskursive, kulturell-symbolische, narrative, historisch-gesellschaftliche, rituelle, praxisbezogene und mediale Aspekte sowie ihre Verschränkungen beleuchtet und interpretiert werden. Barbara Thiessen und Paula-Irene Villa heben beispielsweise hervor, dass TV-Formate wie nachmittägliche Talkshows »alles andere als unseriöse populärkulturelle Details«21 sind. Explizit führt auch der Sammelband Techniken der Reproduktion. Medien – Leben – Diskurse22 »aktuelle biotechnologische und biopolitische Entwicklungen mit kultur- und medienwissenschaftlichen Diskursen zusammen, die sich mit der Reproduktion von Texten und Identitäten befassen.«23

      Die jüngst erschienene Monografie Kinder machen24 von Andreas Bernard fokussiert auf die Geschichtlichkeit assistierter Empfängnis und bezieht Literatur (Huxley: Schöne neue Welt, Zola: Fruchtbarkeit, Goethe: Die Wahlverwandtschaften etc.) und Filme (etwa Cholodenko: The Kids Are All Right) in den Deutungshorizont mit ein. Dabei geht der Autor von familialer Kontinuität aus: »Die mit Unterstützung der Reproduktionstechnologien entstandenen Familien sind schlichtweg die zeitgenössische Ausprägung eines traditionellen Lebensmodells« (S. 482). Besonders beeindruckend erscheint mir die Berücksichtigung des topografischen Arrangements in Samenbanken: »In allen Samenbanken und Reproduktionszentren […] ist dieses Masturbations-Ensemble nahezu identisch zusammengestellt. Es ruft in Erinnerung, dass auch der leidenschaftslosesten, maschinellsten Gewinnung des männlichen Ejakulats so etwas wie Erregung des Mannes vorangehen muss« (S. 99). Bernards Arbeit ist von Bedeutung, weil durchwegs auf das historische Gewordensein von Fa­mi­lia­li­tät fokussiert wird. Ferner berücksichtigt sie mediale und räumliche Aushandlungen, ohne kulturpessimistisch zu verfahren. Meine Studie stellt dennoch eine Erweiterung dar, indem topographische Arrangements wie etwa ein Messe-Aufbau stärker in das Mediensyntagma der Fa­mi­lia­li­tät integriert werden.

      Die vorliegende Arbeit kann an die im vorigen